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22. Mai 2005, von Michael Schöfer
Der gläserne Arbeitslose - Orwell im Jahre 2005


Du hast Pech gehabt, denn Du bist arbeitslos. Und das schon seit langem. Die Arbeitgeber wollen partout keine neuen Mitarbeiter einstellen. Im Gegenteil, sie entlassen welche. Schuld hast natürlich allein Du, nicht die miese Binnenkonjunktur oder die gierigen Unternehmer (Deutsche Bank & Konsorten). Das ist doch sonnenklar, mach' uns nichts vor. Unsere Regierung bekämpft Arbeitslose wie Dich (Verzeihung: Faulenzer und Drückeberger) mit der notwendigen Härte und hat deshalb die Sozialgesetze entsprechend verschärft. Als Langzeitarbeitsloser bist Du fortan nur noch ein Mensch mit minderen Rechten. Du beziehst ALG II, besser bekannt als Hartz IV. Im Grunde bist Du auch so noch viel zu teuer. Halte Dir stets vor Augen, wie genügsam die Chinesen sind. Oder die Inder. Oder erst die Vietnamesen. Mit 345 Euro käme dort eine ganze Großfamilie über die Runden. Du könntest also ruhig ein bißchen Dankbarkeit zeigen. Wo sich die Behörden doch so für Dich ins Zeug legen.

Jetzt interessieren sich sie plötzlich für Dich, nachdem sie Dich jahrelang links liegen gelassen haben. Sei glücklich darüber. Doch ein bißchen mußt Du noch mitarbeiten. Du sollst Auskunft geben: über Deine Wohnung, über die Beziehung zu Deiner Frau oder Freundin (neudeutsch: Bedarfsgemeinschaft), über Dein halbverrostetes Auto und über Deine Vermögensverhältnisse. Wenn die Behörden großzügig sind, darfst Du vielleicht in Deiner alten Wohnung wohnen bleiben. Aber nur, wenn sie nicht so teuer ist. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht komfortabel wohnen. Sei froh, wenn Du zu essen hast. Die Lebensversicherung mußt Du allerdings kündigen, zuerst das Gros Deiner sauer ersparten Rücklagen aufbrauchen. Daß Du 30 Jahre lang brav in die Sozialversicherung eingezahlt hast, ist unwichtig. Die Zeiten ändern sich eben, wir können uns Dein Anspruchsdenken und diese längst veraltete Besitzstandsattitüde einfach nicht mehr leisten. Der ganze Sozialklimbim hat unter globalisierten Verhältnissen vollkommen ausgedient, ist überflüssig geworden. Woher, glaubst Du, soll sonst die Ackermann'sche Eigenkapitalrendite kommen? Denkst Du nicht ein einziges Mal an die armen Shareholder? Hab' ich mir schon gedacht. Das ist typisch für Menschen Deines Schlages.

Aber damit noch nicht genug: Die Behörden wollen alles, nicht nur den kleinen Finger. Ist nur zu Deinem Besten. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wird Dich also demnächst einer "eingehenden Befragung" unterziehen. Ihr Fachkonzept will es so. Die Fallmanager (altdeutsch: Arbeitsvermittler) sind außerordentlich neugierig. Wehe, wenn Du nicht spurst. Zu "allen Daten des sozialen Geflechts" sollst Du Auskunft geben: Familienkonstellationen, Freundschaften, Nachbarschaftskontakte, Vereinszugehörigkeit und Wohnsituation. Außerdem wollen sie eine "Bewertung der Beziehungsstärke zu den jeweiligen Personen" erarbeiten. Sitzt Du mit dem Nachbar aus der Erdgeschoßwohnung nicht regelmäßig in der Kneipe? Frag' doch gleich mal Deine "Bedarfsgemeinschaft", ob sie Dich noch liebt. Wie, das interessiert Dich nicht? Den Fallmanager dafür um so mehr. "Persönlichkeitsdaten" (depressiv oder cholerisch?), "Belastbarkeit und Frustrationstoleranz" (tolerierst Du Seitensprünge? unternimmst Du selber welche? wenn ja, wie viele?), "Gesundheitsdaten" (Leberzirrhose oder Fußpilz?), "Arztbesuche" und "Krankenhausaufenthalte" (bist Du Hypochonder oder Simulant?) - alles ist von Interesse. Schließlich wollen sie Dir nur helfen. Damit Du uns nicht noch länger nutzlos auf der Tasche liegst.

Du wirst Dich doch nicht etwa auf Persönlichkeitsrechte, Intimsphäre oder den Datenschutz berufen? Mensch, wo lebst Du denn? Wie sollen wir so den Aufschwung organisieren? Der steht nämlich unmittelbar vor der Tür. Versau' uns jetzt mit Deiner Sturheit bloß nicht die Konjunktur, sonst wird alles noch viel schlimmer.