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22. Februar 2006, von Michael Schöfer
Wenn zwei das gleiche tun...


In den dänischen Botschaften haben sich die Rauchwolken der Brände, die von radikalen Moslems wegen der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in der Zeitung "Jyllands-Posten" gelegt wurden, kaum verflüchtigt, schon gibt es abermals Anlaß, ungläubig den Kopf zu schütteln. Doch diesmal nicht über die brutale Gewalt fanatisierter Massen, sondern über die Heuchelei unserer Politiker. Es ist nicht einmal 14 Tage her, da haben westliche Volksvertreter die Meinungs- und Pressefreiheit vehement gegen jeden Zensurversuch verteidigt. Es komme gar nicht in Frage, erklärten sie unisono, sich für die Mohammed-Karikaturen zu entschuldigen, selbst wenn man deren Qualität in Zweifel ziehe. Die Presse hierzulande sei frei, man lasse sich von Islamisten nicht vorschreiben, was Zeitungen publizieren dürfen.

Momentan läuft in den deutschen Kinos der türkische Film "Tal der Wölfe". Der Streifen ist ein Action-Thriller der Marke "Rambo", bloß daß die Bösewichte ausnahmsweise mal die Amerikaner sind, türkische Soldaten hingegen die Guten. Wie bei den Mohammed-Karikaturen kann man über die Qualität des Films geteilter Meinung sein. Die Reaktionen darauf sind allerdings völlig anders, und zwar diametral entgegengesetzt zur kurz vorher vertretenen Auffassung, als es um die vermeintliche Beleidigung des Islam ging.

"Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) hat in der Bild am Sonntag die Absetzung des Films gefordert. 'Dieser unverantwortliche Film fördert nicht die Integration, sondern sät Hass und Misstrauen gegen den Westen', wird Stoiber in der Zeitung zitiert." Er fordert "die Kinobetreiber in Deutschland auf, diesen rassistischen und antiwestlichen Hass-Film sofort abzusetzen." [1]

"CSU-Generalsekretär Markus Söder forderte 'die türkische Politik' auf, sich klar von dem Film zu distanzieren. Andernfalls 'stellt man wohl eher fest, dass der Film gut geheißen wird. Und so jemand kann nicht in die Europäische Union', sagte Söder dem Sender Phoenix." Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer sprach sich dagegen aus, in Deutschland "mit Antisemitismus und mit Antiamerikanismus" Geschäfte zu machen. [2]

Kurze Inhaltsangabe: "In dem Streifen 'Tal der Wölfe' foltern entmenschlichte amerikanische Soldaten gefangene Iraker - wie in Abu Ghraib. Doch es kommt noch viel, viel schlimmer: Die Täter, Christen, werden praktisch ausnahmslos zu Bestien stilisiert; unterm Kreuz ersinnen sie immer neue Schandtaten. Ein jüdischer Arzt sucht die Opfer aus, denen Organe bei lebendigem Leib entnommen werden, um sie Empfängern in den USA, in Israel und Großbritannien einzupflanzen. Edle Kämpfer - Turkmenen, Araber, Kurden, die sich ihrer gemeinsamen Wurzeln im Osmanischen Reich besinnen - bieten den Aggressoren die Stirn." [3]

Wie gesagt, man kann über die Qualität des Films durchaus streiten, aber das konnte man seinerzeit auch über die "Rambo"-Filme mit Sylvester Stallone. Damals hat sich jedoch niemand über die simpel gestrickte Story aufgeregt respektive von einem "Hass-Film" gesprochen. In "Rambo" waren die Bösewichte nämlich Vietnamesen und Russen. Lag es vielleicht daran? Wenn sie zu folternden und mordenden Monstern verzerrt werden, geht das offenbar völlig in Ordnung. Doch Amerikaner? Das ist natürlich etwas völlig anderes, hier hört die künstlerische Freiheit schlagartig auf.

Jetzt spielt man selbst die beleidigte Leberwurst. Nun soll sich die türkische Regierung entschuldigen und distanzieren, so als sei sie für den Film des Regisseurs Serdar Akar verantwortlich. Haben Stoiber und Söder den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen wegen den Mohammed-Karikaturen zu einer Entschuldigung oder Distanzierung aufgefordert? Natürlich nicht. Denn da hieß es noch, die Regierung sei in einer Demokratie nicht für Veröffentlichungen in Zeitungen verantwortlich zu machen. Zu Recht. Doch wenn zwei das gleiche tun...

Beim "Clash of Civilizations" wissen manche augenscheinlich nicht, für welche Werte sie eintreten. Auch wenn einem "Tal der Wölfe" nicht gefällt, der fundamentale Unterschied zu den islamischen Staaten ist eben, daß der Film bei uns gezeigt werden darf. Eine Demokratie garantiert die Meinungsfreiheit nicht nur für genehme Auffassungen. Im Gegenteil, unter besonderem Schutz steht gerade die abweichende Meinung, die Mehrheitsmeinung braucht diesen in der Regel nicht. Von Einbürgerungswilligen verlangt man einen Sprachkurs. Wie wäre es mit einem Grundkurs in Demokratie für unsere Politiker? Er ist offenkundig genauso notwendig.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 20.02.2006
[2] Frankfurter Rundschau vom 22.02.2006
[3] Oberbayerisches Volksblatt vom 17.02.2006