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19. März 2006, von Michael Schöfer
Maulkorberlaß für Westerwelle?


Gerhard Schröder prozessiert gerne, es geht dabei u.a. um so weltbewegende Dinge wie gefärbte Haare. Laut einem Urteil des Hamburger Landgerichts durfte man seit dem 17.05.2002 NICHT mehr behaupten, der damalige Kanzler hätte bei seinem Haarschopf ein bißchen mit Farbe oder Tönung nachgeholfen. Deshalb wird diese nachgewiesenermaßen unwahre Behauptung hier auch keine Wiederholung finden. Einen Schadenersatzprozeß gegen den Ex-Kanzler könnte ich nämlich finanziell kaum durchstehen.

Die Republik war seinerzeit jedenfalls fürs erste gerettet. Puh! Kaum auszudenken, wie es um das Ansehen Deutschlands bestellt gewesen wäre, hätte man die Mär von den gefärbten Haaren wirklich aufrecherhalten dürfen. Leider hat ihm das später, bei der vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005, wenig geholfen. Die Stylisten von Angie, obgleich mit einer ungleich schwierigeren Ausgangslage konfrontiert, waren eben um ein Quentchen - genauer gesagt um 436.348 Zweitstimmen - besser. [1]

Doch nun hat sich Gerhard Schröder mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle angelegt. Dieser soll einen Maulkorb verpaßt bekommen. Der Ex-Kanzler ist es einfach leid, von Westerwelle immer wieder auf seinen lukrativen Job als Aufsichtsratsvorsitzender des Ostsee-Pipeline-Konsortiums hingewiesen zu werden. Westerwelle äußerte in einem Interview: "Und natürlich gönne ich Gerhard Schröder jeden Rubel. Ich finde es allerdings problematisch, dass er als Bundeskanzler einer Firma einen Auftrag gegeben hat und dann wenige Wochen nach Amtsübergabe in die Dienste eben jener Firma tritt." Der Hamburger Anwalt Michael Nesselhauf, der Schröder schon beim Prozeß um die gefärbten Haare vertreten hat, fordert von Westerwelle eine Unterlassungserklärung und Richtigstellung, denn Westerwelles Äußerung sei grob unwahr. [2]

Analysieren wir also, quasi im Vorgriff auf den Prozeß, das Interview:

  • Gerhard Schröder hat einer Firma einen Auftrag gegeben.
Stimmt. Das Gaspipeline-Geschäft wurde definitiv unter seiner Kanzlerschaft mit Männerfreund Wladimir Putin eingefädelt.


  • Gerhard Schröder tritt kurz nach Amtsübergabe in die Firma ein.
Stimmt auch. Es ist unstreitig, daß der Ex-Kanzler ausgerechnet bei dieser eigens für den Bau und Betrieb der Gaspipeline gegründeten Firma Aufsichtsratsvorsitzender wird.


  • Westerwelle gönnt Gerhard Schröder jeden Rubel.

Eindeutig falsch. Der FDP-Vorsitzende mag Schröder vielleicht dessen Salär als Chef des Aufsichtsrats gönnen. Guido ist bekanntlich alles andere als ein Neidhammel. Im Gegenteil, er hat sich wiederholt öffentlich gegen Neidkomplexe ausgesprochen. Aber der Ex-Kanzler wird nun mal mit harten Euronen entlohnt, keinesfalls mit schwindsüchtigen Rubel.

Insofern hat die Klage durchaus Aussicht auf Erfolg. Es wäre einfach besser gewesen, Du hättest Gerhard Schröder "jeden Euro" gegönnt, anstatt "jeden Rubel". Sorry, aber solch ein Fauxpas darf einfach nicht passieren, lieber Guido. Außerdem hinterläßt Du den Eindruck, als würdest Du Dich im Währungsdschungel nicht zurechtfinden. Für die Partei der Besserverdienenden absolut tödlich. Kein Wunder, wenn man Dir einen Maulkorb verpassen will.

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[1] Bundeswahlleiter
[2] Spiegel-Online vom 19.03.2006