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08. Mai 2006, von Michael Schöfer
Trauerkultur einmal anders


Kürzlich war ich mit einer Bekannten auf dem Friedhof, weil sie das Grab ihrer Familie besuchte. Friedhöfe erzeugen eine eigenartige Atmosphäre, zumindest ich empfinde das so. Vielleicht, weil sie uns den Spiegel der eigenen Vergänglichkeit vor Augen halten. Im Vorübergehen las ich beiläufig die auf den Grabsteinen eingemeißelten Daten: "Frederike Schilling *14.02.1849 - † 23.06.1924" oder "Bernd Klinger 1973 - 2003". Wenn ein Leben nur sechs Monate währte, kann noch auf ein tragisches Ereignis geschlossen werden. Bekanntlich ist der Verlust des Kindes für Eltern das Schlimmste, was sie in ihrem Leben zu erdulden haben. Mehr erfährt man nicht.

Ich mußte an die vielen Leben denken, die hinter diesen kargen Daten stehen. Das waren einst alles Menschen, die notgedrungen mit ihren kleinen und großen Sorgen zurechtkommen mußten, aber vermutlich auch die kleinen und großen Freuden genießen durften. Sie aßen, sie tranken, sie atmeten, sie verliebten und trennten sich, erfuhren Momente höchsten Glücks und erlitten bittere Tiefpunkte - wie wir auch. Die Informationen darüber haben allerdings nicht überdauert. Genausowenig wie die Ansichten, die sie vertraten. Ob politisch rechts oder links orientiert, ob religiös oder atheistisch - all das bleibt uns bedauerlicherweise verborgen. Dabei sind die persönlichen Überzeugungen in meinen Augen das Wichtigste überhaupt. Denn nur sie geben einen Eindruck davon, was diesen Mensch einmal charakterisiert hat.

Gräber sind wichtig für die Trauerarbeit der Angehörigen, sie haben wenigstens einen Ort der Besinnung. Wenn diejenigen, die die Verstorbenen persönlich gekannt haben, ebenfalls gestorben sind, weiß freilich niemand mehr von den hinter den spärlichen Angaben stehenden Personen zu berichten. Die meisten sind dann schlicht vergessen. Es sei denn, sie haben etwas Außergewöhnliches geleistet und dadurch Berühmtheit erlangt. Wissenschaftler, Schriftsteller oder Politiker. Aber was ist mit dem sogenannten "Otto Normalverbraucher"? Ich bin davon überzeugt, daß eigentlich jeder etwas mitzuteilen hat. Doch der Durchschnittsbürger nimmt alles Berichtenswerte mit ins Grab. Es fällt somit, wie sein Urheber, der Vergessenheit anheim.

Wäre es nicht schön, wenn in den Grabsteinen kleine Bildschirme integriert wären, die uns auf Knopfdruck etwas vom Leben des Verstorbenen verraten würden? Zum Beispiel eine bebilderte Biographie oder die eingescannte Sammlung schriftlicher Hinterlassenschaften. Natürlich ist das viel zu aufwendig und nicht zu realisieren. Bleibt also noch das "world wide web", und zwar Internet-Friedhöfe. Dort erhält jeder Webspace für Informationen, die sein irdisches Dasein ein Weilchen überdauern.

Ein virtueller Friedhof findet sich beispielsweise hier. Unter Umständen ist es sogar möglich, die Ausgestaltung vor seinem eigenen Tod, sofern er nicht überraschend kommt, selbst in die Hand zu nehmen. Daß meine Homepage meine irdische Existenz überdauert und den nach mir Kommenden davon kündet, was ich gedacht habe, wäre mir offen gestanden sehr wichtig. Ich will nicht bloß mit ein paar dürftigen Daten auf einem Grabstein abgespeist werden. Damit ist keinem gedient.

Selbstverständlich ist das Ganze nicht so einfach umzusetzen. Soll man seinem Provider das Geld für die nächsten 50 Jahre im voraus überweisen? Oder soll man sich besser einem eigens dafür vorgesehenen "Platz für Bestattungen im Internet" anvertrauen? Und was passiert, wenn der Betreiber keine Lust mehr hat und sein Geschäft aufgibt? Oder wenn er Pleite macht bzw. selbst das Zeitliche segnet? Am 30.05.1999 stellte uns Heise-online einen virtuellen Friedhof vor: "Auf einem Friedhof im Internet kann jetzt jeder seinen verstorbenen Angehörigen ein kostenloses Denkmal setzen. Erfinder des sogenannten "Friedparks" ist der Steuerberater Bernd Schröder aus Bissendorf bei Osnabrück. Auf Friedhöfen und aus Todesanzeigen hat er Tausende von Namen und Daten gesammelt und die Datenbank schließlich zum virtuellen Friedhof ausgebaut. Unter der Adresse www.friedpark.com kann jeder eine Grabstätte anlegen und mit persönlichen Trauertexten oder einem Foto des Toten ausstatten." Klickt man die Site an, kommt jedoch folgender Hinweis:



Offenbar hat der Platz für das "kostenlose Denkmal" nicht allzu lange überdauert, Inhalte finden sich dort nicht mehr. Im Gegensatz zu richtigen Friedhöfen sind virtuelle also vergleichsweise flüchtig. Das eigene Denkmal kann somit recht schnell im elektronischen Nirvana verschwinden. Die Idee ist im Grunde gut, die konkrete Ausführung wirft indes zahlreiche Fragen auf. Alles in allem wäre es äußerst wünschenswert, wenn von den vielen gelebten Leben irgendwo auf diesem Planeten ein paar Informationen überdauern würden. Jedenfalls mehr als Grabsteinen gemeinhin zu entnehmen sind.