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23. Mai 2006, von Michael Schöfer
Mehr Rechtsradikalismus - kein Wunder


Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye erntete kürzlich mit seiner Äußerung über den grassierenden Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft heftigen Widerspruch. "Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen", sagte Heye. [1] Als hätte er es geahnt, Tage später dokumentierte der Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht die Zahl der politischen Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund. Danach wurden im vergangenen Jahr 15.361 Fälle registriert, das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um beängstigende 27,5 Prozent. 2004 waren es nämlich noch 12.051. [2] Auch wenn es vielen nicht gefällt, Heye hat vollkommen recht. Die Zahlen belegen es.

Bedauerlicherweise handeln manche Politiker nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Uwe-Karsten Heye wurde etwa vorgeworfen, kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft dem Ansehen Deutschlands zu schaden. Wie wenn der, der die schlechte Botschaft überbringt, für deren Inhalt verantwortlich wäre. Heye sei ein Nestbeschmutzer, las man zwischen den Zeilen. Einfach absurd. Der Überfall auf den türkischstämmigen Berliner Linkspartei-Politiker Giyasettin Sayan, der am 19. Mai im Berliner Bezirk Lichtenberg brutal zusammengeschlagen wurde, erregte im ganzen Land großes Aufsehen. Eine erneute Bestätigung von Heyes Ansicht.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble forderte daraufhin alle Bürger auf, sich mehr gegen Rechtsradikalismus zu engagieren. Meinte er das wirklich ernst? Alle Bürger? Wirklich alle? Wohl kaum, denn gleichzeitig ermitteln in Baden-Württemberg Staatsanwälte gegen Nazi-Gegner. Ein Punker-Versand wird dort mit einer Anklage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart konfrontiert. Der Vorwurf: Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Anlaß sind Anti-Nazi-Symbole, die das Unternehmen zum Verkauf anbietet. "Erst vor wenigen Wochen urteilte das Tübinger Landgericht über den Fall eines Studenten wegen Verwendung eines verfassungsfeindlichen Symbols': 50 Euro Geldstrafe, da er einen Button getragen hatte, der nach Verkehrsschildart ein rot durchgestrichenes Hakenkreuz zeigte. Der Versandhandel "Nix Gut" aus Winnenden vertreibt eine ganze Reihe Artikel mit durchgestrichenen Hakenkreuzen", berichtete die Frankfurter Rundschau.

Bravo, vom Bundesinnenminister zum Engagement gegen den braunen Mob ermutigt und dafür zum Dank von Staatsanwälten vor den Kadi gezerrt - sieht so die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus aus? Man greift sich an den Kopf. Kein Wunder, wenn sich die Nazis ermutigt fühlen. Herr Schäuble, was sagen Sie nun?

Der Paragraph § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) stellt zwar in der Tat die Verwendung des Hakenkreuzes unter Strafe, aber "nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient". So sagt es zumindest der Gesetzestext (Abs. 3). Es steht ja wohl außer Frage, daß das Tragen oder Anbieten eines Anti-Nazi-Buttons "der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen" dient. Oder etwa nicht?

Staatsanwälte sehen das offenbar ganz anders. Leider hat sich trotz vieler Proteste, die es schon beim Fall des Tübinger Studenten gab, bislang nichts an ihrer in meinen Augen grotesken Rechtsauslegung geändert. Immer wieder passieren schreckliche Überfälle mit rechtsradikalem Hintergrund, die Öffentlichkeit ist dann zu Recht empört, Politiker rufen großspurig zum Widerstand auf - und die Justiz beschäftigt sich ausführlich mit der Gefährlichkeit von Anti-Nazi-Buttons. So sieht heutzutage in Deutschland die Wirklichkeit aus. Es ist beschämend.

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[1] BZ vom 19.05.2006
[2] Frankfurter Rundschau vom 23.05.2006


Nachtrag (15.03.2007):
"Durchgestrichene oder anderweitig verfremdete Hakenkreuze dürfen gezeigt werden, wenn die Distanzierung zum Nationalsozialismus "offenkundig und eindeutig" ist. Das entschied (...) der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Aktenzeichen: Bundesgerichtshof 3 StR 486/06" [3]

[3] FAZ vom 15.03.2007