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12. Januar 2008, von Michael Schöfer
Legaler Betrug


Das Rentenniveau der gesetzlichen Rente wird kontinuierlich sinken. Das müsste zwar nicht unbedingt sein, ist aber politisch gewollt. Weil die Menschen im Alter schließlich von etwas leben müssen, hat die damalige rot-grüne Bundesregierung kurzerhand die sogenannte "Riester-Rente" erfunden. Seit 2002 kann man nebenher privat fürs Alter vorsorgen, und der Staat unterstützt dies mit Zuschüssen.

Seit 2003 gibt es außerdem die bedarfsorientierte Grundsicherung, sie regelt den Lebensunterhalt von Älteren und dauerhaft erwerbsunfähigen Personen. Die Grundsicherung ist ähnlich wie die Sozialhilfe aufgebaut. "Wenn Ihre Einkünfte im Alter oder bei voller Erwerbsminderung nicht für den notwendigen Lebensunterhalt ausreichen, können Sie die Grundsicherung beantragen. Darin sind alle Leistungen enthalten, die auch nach Sozialhilferecht gezahlt werden. Ob Sie eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, spielt dabei keine Rolle. Und der Sozialhilfeträger greift hier auch nicht auf das Einkommen Ihrer Kinder und Eltern zurück - es sei denn, deren Einkommen erreicht im Jahr 100.000 Euro", schreibt die Deutsche Rentenversicherung in ihrer Broschüre.

"Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung haben bedürftige Menschen, die entweder das 65. Lebensjahr vollendet haben oder dauerhaft voll erwerbsgemindert und mindestens 18 Jahre alt sind. Zu den Voraussetzungen für eine Bewilligung der Grundsicherung zählt vor allem, dass Sie ein so geringes Einkommen oder Vermögen haben, dass es für den Lebensunterhalt nicht oder nicht ganz ausreicht. (...) Als Faustregel gilt: Wenn Ihr Einkommen unter 700 Euro liegt, sollten Sie prüfen, ob Sie Anspruch auf Grundsicherung haben." Der durchschnittliche Grundsicherungsbedarf bei über 65-Jährigen liegt derzeit bei monatlich 627 Euro. [1]

Wer also eine kleine Rente bezieht, hat eventuell Anspruch auf die Grundsicherung. Das die letzte Auffanglinie, unter die man nicht fallen kann. "Die Grundsicherung soll der 'verschämten Altersarmut' entgegenwirken. Oftmals haben in der Vergangenheit die Anspruchsberechtigten den Weg zum Sozialamt aus Angst davor gescheut, dass auf ihre Kinder beziehungsweise Eltern wegen bestehender Unterhaltsverpflichtungen zurückgegriffen wird. Durch die beitragsunabhängige Leistung der Grundsicherung soll die Zahlung von Sozialhilfe vermieden werden", sagt die Rentenversicherungs-Behörde. [2] So weit, so gut.

Natürlich werden bei der Grundsicherung (analog zur Sozialhilfe) Einkommen und Vermögen angerechnet: z.B. Erwerbseinkommen, Renten und Pensionen, Kindergeld, Krankengeld, Elterngeld (wenn es 300 EUR übersteigt), Miet- und Pachteinnahmen sowie Zinserträge. Zum Vermögen zählen: Bargeld, Wertpapiere, Sparguthaben, Haus- und Grundvermögen, Kraftfahrzeuge.

Die bedarfsorientierte Grundsicherung ist prinzipiell eine gute Sache, doch in der Kombination mit der Riester-Rente sind die Auswirkungen manchmal fatal, weil sie die Riester-Rente unter Umständen vollständig aufzehrt. Gerade Geringverdiener, die häufig bloß eine Minirente zu erwarten haben, bringt die zusätzliche private Altersvorsorge überhaupt nichts, da sie bei der Grundsicherung als Einkommen angerechnet wird. Müssen Minirenten-Bezieher Grundsicherung beantragen, erhöht sich nämlich nicht das ihnen zur Verfügung stehende Geld, vielmehr verringert sich die staatliche Leistung. Mit anderen Worten: Man spart heute mühsam Riester-Rente an, damit der Staat später weniger Grundsicherung zahlen muss. Die Rentner selbst haben davon nichts. Wer folglich das Geld ausgibt, anstatt es fürs Alter anzusparen, hat keinerlei Nachteile. Grundsicherung bekommt man allemal.

Verdeutlichen wir das an einem einfachen Beispiel. Die Grundsicherung einer fiktiven Person sieht folgendermaßen aus:

Grundsicherungsbedarf von Gerda M. in EUR
Regelsatz 345,00
Miete 285,00
Heizung 35,00
Nebenkosten 50,00
Mehrbedarf Gehbehinderung (17 Prozent vom Regelsatz) 58,65
Bedarf gesamt 773,65
Davon werden als Einkommen/Vermögen abgezogen:
Witwenrente

325,00
Für den Bedarf fehlen also (= Grundsicherung) 448,65

Gerda M. erhält vom Staat 448,65 Euro Grundsicherung, hat also insgesamt 773,65 Euro zur Verfügung. Wie sieht die Abrechnung aus, wenn Gerda M. zusätzlich eine kleine Riester-Rente bezieht? Könnte sie Riester-Rente beanspruchen, würde der ihr zur Verfügung stehende Betrag nichtsdestotrotz gleich bleiben. Was sich in diesem Fall ändert, ist allein die staatliche Grundsicherung, diese verringert sich um den Ertrag aus der Riester-Rente. Gerda M. hätte sich demzufolge völlig umsonst die Beiträge für die Riester-Rente vom Munde abgespart.

Grundsicherungsbedarf von Gerda M. in EUR
Regelsatz 345,00
Miete 285,00
Heizung 35,00
Nebenkosten 50,00
Mehrbedarf Gehbehinderung (17 Prozent vom Regelsatz) 58,65
Bedarf gesamt 773,65
Davon werden als Einkommen/Vermögen abgezogen:
Witwenrente
Riester-Rente

325,00
50,00
Für den Bedarf fehlen also (= Grundsicherung) 398,65

Von der Systematik her ist dies korrekt. Dennoch hat es ein Geschmäckle, denn im Allgemeinen wird überall der Eindruck erweckt, die Riester-Rente gäbe es auf jeden Fall obendrauf (on top) und sei vor staatlichen Zugriffen vollkommen sicher. Formal ist das auch richtig, die Riester-Rente geht nicht verloren, sie wird eben bloß angerechnet. Es kommt schon einem "legalem Betrug" gleich, den Menschen die absolute Unantastbarkeit der Riester-Rente vorzugaukeln, um sie dann hinterher überraschend abzuschöpfen. Und da niemand vorhersagen kann, wie seine Erwerbsbiographie verläuft und ob sich daher der Abschluss einer Riester-Rente wirklich lohnt, ist das Ganze schwer zu kalkulieren.

VdK-Präsident Walter Hirrlinger forderte deshalb schon Ende letzten Jahres: "Die Einkünfte aus der Riester-Rente dürfen nicht mehr mit der Grundsicherung verrechnet werden." Die Anrechnung bezeichnete er als skandalös. Der Sprecher des Bundesarbeitsministeriums, Christian Westhoff, lehnte das Ansinnen indes ab, weil die Grundsicherung eine Form der Sozialhilfe sei. "Die Riester-Rente muss daher im Alter verwendet werden." In der SPD sah man ebenfalls keinen Handlungsbedarf. [3] Zudem bezögen heute nur 2,3 Prozent der über 65-Jährigen die Grundsicherung, beschwichtigt das Ministerium. Doch das sind gegenwärtig immerhin 370.000 Personen. Außerdem wird der Anteil derjenigen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in Zukunft durch das sinkende Rentenniveau und die diskontinuierlichen Erwerbsbiographien vermutlich anwachsen. Soviel zur Gerechtigkeitsdebatte bei den Sozialdemokraten.

Konsequenz: Wem absehbar eine Minirente droht, sollte auf den Abschluss einer Riester-Rente verzichten. Es sei denn, der Gesetzgeber ändert das Gesetz und untersagt die Anrechnung. Große Hoffnungen, ob die Politik so handelt, würde ich mir allerdings trotz der durch den Monitor-Beitrag vom 10.01.2008 aufgeflammten Diskussion nicht machen. Über Gerechtigkeit und Vermeidung von Armut wird viel geredet, aber kaum etwas getan. Es gibt freilich noch einen anderen Weg. Die Frankfurter Rundschau empfiehlt: "Rechtzeitig kündigen. Sollte sich vor dem Beginn der Rentenphase abzeichnen, dass die Riester-Rente auf die Grundrente angerechnet würde, kann der Riester-Vertrag gekündigt werden. Aus dem Vermögen muss dann zwar die Förderung (Zulagen und Steuervorteile) an den Staat zurückgezahlt werden. Doch das Geld, das andernfalls verloren gewesen wäre, steht nun für den privaten Konsum zur Verfügung." [4]

Die Riester-Rente wird von der Politik angesichts von 9,7 Mio. Verträgen als Erfolgsmodell verkauft. Doch genau daran gibt es ernste Zweifel. "Die Förderung hat in erster Linie Mitnahmeeffekte, sagt Giacomo Cornea, Professor für Finanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er hat zusammen mit zwei Kollegen untersucht, ob die Sparneigung von Geringverdienern aufgrund der staatlichen Förderung gestiegen ist. Das Ergebnis der Studie zeigt: Das Sparvolumen hat sich nicht vergrößert; weder die Zahl der Haushalte noch die Sparquote hat sich zwischen 2001 und 2005 erhöht. Die Riester-Rente hat bisher nicht dazu beigetragen, einkommensschwache Haushalte zum Sparen zu bewegen. Die staatlichen Zuschüsse kommen jenen zugute, die ohnehin fürs Alter vorsorgen. Der Staat hat folglich hohe Kosten, auch ohne dass er seinem Ziel näher gekommen ist." [5]

Kein Wunder, gerade Geringverdiener, also ausgerechnet die, die eine zusätzliche Vorsorge fürs Alter am nötigsten hätten, können sich wegen ihres kleinen Einkommens die Beiträge für die Riester-Rente (4 Prozent des Bruttogehalts) oft gar nicht leisten und müssen gezwungenermaßen auf die staatlichen Zuschüsse verzichten. Es kommt somit zu einer gigantischen Fehlallokation von Steuergeldern. Da wäre ein anderes Modell (sofern man den Weg fort von der gesetzlichen Rente überhaupt für sinnvoll hält), etwa eins mit festen Zuschüssen, wesentlich besser gewesen - zumindest für die unteren Einkommensbezieher. Ohnehin werden die Probleme, die aus dem demographischen Aufbau der Bevölkerung resultieren, selbst mit der Riester-Rente nur verlagert. Meiner Ansicht nach hätte man die Beitragsbasis der gesetzlichen Rente auf sämtliche Einkommensarten ausweiten müssen. Oder man wäre gleich zu einem komplett aus Steuermitteln finanzierten Modell gewechselt. Das stete Absinken der gesetzlichen Rente wäre jedenfalls zu vermeiden gewesen.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 12.01.2008
[2] Deutsche Rentenversicherung, Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, PDF-Datei mit 773 kb und Arbeitslos - Keine Rentenlücke im Alter, PDF-Datei mit 626 KB
[3] Der Tagesspiegel vom 30.11.2007
[4] Frankfurter Rundschau vom 12.01.2008
[5] Berliner Umschau vom 12.01.2008