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26. Januar 2008, von Michael Schöfer
Bruce Allmächtig


Dem amerikanischen Genforscher Craig Venter ist es gelungen, das Erbgut eines Bakteriums im Labor nachzubauen, die DNA wurde komplett aus künstlich produzierten Bausteinen zusammengesetzt. Es ist das erklärte Ziel von Venter, künstliches Leben zu erschaffen. Auf dem Weg dahin ist ihm nun offenbar ein Durchbruch gelungen. Was noch fehlt, ist lediglich die Übertragung des Erbguts in eine lebende Bakterienzelle. Wie üblich wird die Absicht, Gene zu manipulieren, mit der Bekämpfung von Krankheiten, der Herstellung von Biokraftstoffen, der einfachen Entsorgung giftiger Substanzen oder der Beseitigung des Treibhausgases CO2 etc. gerechtfertigt. Und zweifellos bietet die Technik gewaltige Chancen, beinhaltet aber auch unbestreitbar furchtbare Risiken.

Vor 200 Jahren wäre der Gedanke, dass sich ein künstlich hergestellter Gegenstand, der 590 Tonnen auf die Waage bringt, in die Lüfte erhebt, völlig absurd erschienen. Heute ist das mit dem Airbus A380 Realität geworden. [1] Die Saturn V, die die Astronauten der Apollo-Missionen in den Orbit brachte, hatte sogar ein Startgewicht von 2.934 Tonnen. [2] Genausowenig wie sich die damaligen Zeitgenossen eine Flugreise über den Atlantik vorstellen konnten, können wir uns heute die Konsequenzen ausmalen, was es bedeutet, vielleicht schon bald Leben zu erschaffen. Homo sapiens spielt Gott, und Adam heißt ab sofort Bruce Allmächtig. Ob das wirklich gut geht? Zwar kann man unter Umständen demnächst tatsächlich Bakterien erzeugen, die unsere Energieprobleme lösen oder die Klimakatastrophe verhindern. Doch Eingriffe in die Natur haben, selbst bei guten Vorsätzen, oft überraschende Nebenwirkungen.

Ein Beispiel: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Australien keine Kaninchen, sie wurden jedoch von den britischen Siedlern bewusst eingeführt, weil ihnen die Pflanzen und Tiere in Australien fremd vorkamen. Die Auswanderer wollten lieber von vertrauten Lebewesen ihrer europäischen Heimat umgeben sein. Mit diesem durchaus verständlichen Wunsch erzeugten sie ungewollt eine Kaninchenplage, deren verheerende Auswirkungen immer noch spürbar sind. Wie sich herausstellte, passten Kaninchen nicht zur australischen Tier- und Pflanzenwelt. Oder andersherum: Aus der Perspektive der Kaninchen betrachtet waren sie hervorragend für die australische Umwelt geeignet, was ihr enormer Fortpflanzungserfolg beweist. Von der Warte der ursprünglichen Tier- und Pflanzenwelt aus betrachtet sah die Sache allerdings ganz anders aus.

Deshalb ist bei der Manipulation des Erbguts größte Skepsis angebracht, ob sich ähnliche Katastrophen überhaupt vermeiden lassen. Wenn schon harmlose Kaninchen, in eine andere Ökosphäre verpflanzt, furchtbare Schäden anrichten, wie mag sich das dann erst bei künstlich erzeugten Lebewesen verhalten. Haben die Barrieren zwischen den einzelnen Arten, die die Evolution in den vergangenen Jahrmilliarden aufgebaut hat, nicht ihren Sinn? Wenn man das Genom eines Insekts zumindest potentiell mit dem eines Säugetiers kreuzen kann (etwas, das in der Natur absolut ausgeschlossen ist), rücken bislang undenkbare Katastrophen in Reichweite. Ein künstlicher Mikroorganismus könnte unbeabsichtigte Nebenwirkungen zeigen, ist dann aber wahrscheinlich nicht mehr rückholbar (d.h. zu kontrollieren). Und das wäre mehr als nur ein Kollateralschaden.

Außerdem könnte diese Technik für böse Zwecke missbraucht werden. Heutige Biowaffen sind möglicherweise gegenüber einem künstlich erzeugten Organismus geradezu als harmlos zu bezeichnen. In Südafrika wurde während der Apartheid vom Generalstab der Streitkräfte das "Project Coast" gestartet. Im Rahmen dieses geheimen Projekts wurden zahlreiche Giftstoffe und Krankheitskeime hergestellt: Pest, Gelbfieber, Cholera, Pocken, Hepatitis A, Botulinum, Tularämie, Staphylococcus-Enterotoxin, E. coli, Ebola, Marburg, Rift Valley, HI-Viren, Ricin, Nekrotisierende Fasciitis, Organophosphate, hoch konzentrierte Gifte von Mambas und Skorpionen, dazu Nervengase, Sarin, VX und Milzbrand. Es wurden ferner Überlegungen angestellt, rassespezifische Erreger einzusetzen, also Krankheitsverursacher, die ausschließlich die schwarze Bevölkerungsmehrheit getroffen hätten. [3] Soweit wir wissen, scheiterte Letzteres an den seinerzeit zur Verfügung stehenden technischen Fähigkeiten. Zum Glück.

Mit Craig Venters Durchbruch ist diese Möglichkeit nähergerückt. Das Apartheid-Regime, so es denn heute noch bestünde, könnte Südafrika in kurzer Zeit womöglich komplett von Nichtweißen "säubern" - einfach durch die Freisetzung eines tödlichen Erregers, der nur bei Farbigen wirksam ist. Undenkbar? Sagen Sie das nicht. Die Kombination aus Venters Technologie und dem Charakter vom Schlage eines Adolf Hitler reicht hierfür vollkommen aus. Gewissenlose Wissenschaftler gibt es ja genug, skrupellose Politiker ebenso. Anfangs kursierten nach Ausbruch der AIDS-Epidemie nachweislich falsche Verschwörungstheorien, die unterstellten, das HI-Virus sei gezielt zur Dezimierung von Homosexuellen oder Schwarzen hergestellt worden. In zwanzig Jahren spiegeln solche Behauptungen eventuell die Realität wider.

Erfindungen sind häufig janusköpfig, können sich daher als genauso segensreich wie verhängnisvoll erweisen. Venters neuartige Methode öffnet der Manipulation des Lebens Tür und Tor, ist also unter Umständen gefährlicher als jede bislang angewandte Technologie. Der Mensch spielt Gott - ohne zugleich über dessen Weisheit zu verfügen. Fluch oder Segen, das ist hier die Frage. Schicksalsfragen der Menschheit dürfen nicht einem Wissenschaftler allein überlassen werden. Wir sollten erwägen, angesichts des unbestreitbaren Risikos von vornherein auf Craig Venters Technologie zu verzichten. Das impliziert logischerweise den Verzicht auf die positiven Entwicklungsmöglichkeiten.

Hin- und hergerissen zwischen den denkbaren Chancen und den befürchteten Risiken müssen wir rasch ein Urteil fällen, das sich später, wie immer es heute ausfallen mag, als falsch herausstellen könnte. Doch wir müssen uns festlegen - pro oder contra. Die Entscheidung duldet keinen Aufschub, in ein paar Jahren könnte es nämlich bereits zu spät sein. Wir müssen nicht alles tun, wozu wir fähig sind. Weisheit besteht zuweilen aus Verzicht. Diese Abwägung gilt natürlich speziell in Bezug auf die Gentechnik. Die embryonale Stammzellenforschung ist in meinen Augen vertretbar. Einem fünf bis sieben Tage alten Zellklumpen mit weniger als 70 Zellen Menschenrechte oder eine Seele (an die ich ohnehin nicht glaube) zuzuschreiben, halte ich für einen Irrweg. Bei der künstlichen Erschaffung von Leben sieht das angesichts der Gefahren völlig anders aus, hier überwiegen eindeutig die Bedenken. Meines Erachtens öffnen wir damit die Büchse der Pandora.

Entscheidungen über Wege, deren Ende wir zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht überblicken, sind gewiss schwierig. Keine Seite, weder Befürworter noch Gegner, kann ihren Standpunkt mit Beweisen untermauern. Was bleibt, sind notwendigerweise Vermutungen. Die Abschätzung von Risiken ist eine mit Unsicherheit behaftete Prognose. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das liegt in der Natur der Sache. Vor 200 Jahren hätte man die Herstellung eines 590 Tonnen schweren Flugzeugs vermutlich verworfen. Damals Hybris, heute Normalität. Und bekanntlich wurden vor dem Bau von Eisenbahnen Befürchtungen laut, der menschliche Körper könne die ehedem für Wahnsinn gehaltene Geschwindigkeit von 30 km/h kaum heil überstehen. Wir können darüber bloß noch schmunzeln. Auch wenn sich diese Ängste letztlich als unbegründet herausgestellt haben, andere Befürchtungen, beispielsweise die in Bezug auf die Herstellung der Atombombe, haben sich leider bewahrheitet.

Es ist verführerisch, Bruce Allmächtig zu spielen, doch wir könnten uns dabei am Ende als Dr. Frankenstein entpuppen. Die künstliche Erschaffung von Leben sollte deshalb meiner Ansicht nach verboten werden.

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[1] Wikipedia, Airbus A380
[2] Wikipedia, Saturn V
[3] Die Zeit Nr. 03/2002, Dossier: Der Giftmischer der Apartheid