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18. Februar 2008, von Michael Schöfer
Beifall von der falschen Seite


Wenn Dir ein CDUler aus der rechten Ecke, mit dem Du normalerweise nichts am Hut hast, laut Beifall klatscht, ist etwas faul im Staate Dänemark. "Danke, Tayyip Erdogan", ruft der nicht gerade als Türkenfreund bekannte Jörg Schönbohm, seines Zeichens Innenminister des Landes Brandenburg, dem türkischen Ministerpräsidenten zu. "Der Hinweis des Ministerpräsidenten zur Sinnhaftigkeit von türkischen Schulen und Universitäten in Deutschland kann, richtig eingeordnet, vernünftig sein. Warum soll eine befreundete Nation nicht mit - selbstverständlich - eigenen Mitteln dafür sorgen, dass die jungen Landsleute vernünftig ausgebildet werden? Wie sollen sie sonst ihren Beitrag für den Ausbau, für die Zukunft der Türkei leisten können? Wenn an diesen Ausbildungsstätten zusätzlich auch noch gut Deutsch gelernt wird, kann dies nur die Beziehungen beider Staaten festigen und entwickeln", schreibt Schönbohm in einem Gastbeitrag in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau.

Ist das der gleiche Schönbohm, der in seiner Zeit als Berliner Innensenator "für Ausländer in Innenstadtbezirken mit hohem Ausländeranteil eine Zuzugssperre erlassen" wollte und hierbei eine "Quotenregelung von maximal 20 Prozent" propagierte? Ist das der gleiche Schönbohm, der einst forderte "Ausländergettos" aufzulösen, der multikulturellen Gesellschaft eine Absage erteilte und manche Viertel in Berlin als "nicht mehr in Deutschland befindlich" bezeichnete? Ist das der gleiche Schönbohm, dem zufolge Deutschland "nicht alle Mühseligen und Beladenen" durchfüttern könne? Ist das der gleiche Schönbohm, der ehedem der rechten Monatszeitung "Junge Freiheit" ein Interview gab und dies damit rechtfertigte, "er habe denen zeigen wollen, dass Teile ihrer Inhalte auch von der CDU vertreten würden"? Und ausgerechnet so einer applaudiert jetzt dem türkischen Regierungschef? Da ist Misstrauen angesagt. Ist der Ex-General plötzlich liberal geworden und neuerdings ein Freund von Multi-Kulti?

"Es besteht kaum die Gefahr, dass Deutschland eine türkische Provinz wird", beruhigt Schönbohm. Sieht er etwa keine Überfremdungsgefahr mehr? Hat er womöglich dazugelernt? Nein, er argumentiert bloß gerissener: "Woher kommt die Gewissheit, dass der überwiegende Teil der derzeit hier lebenden Türken und ihre Kinder auf Dauer in Deutschland bleiben will? (...) Wir machen uns etwas vor, wenn wir Integration mit Einbürgerung verwechseln. Integration ist eine - konfliktfreie - Eingliederung auf Zeit. In der Tat liegt dabei die Betonung auf konfliktfrei", belehrt uns Schönbohm.

Die Betonung liegt bei ihm keineswegs auf "konfliktfrei", sondern auf "Eingliederung auf Zeit". Jörg Schönbohm argumentiert geradewegs so, als würden die hier lebenden Türken tatsächlich irgendwann einmal wieder in die Türkei zurückkehren. Anders ergibt sein Satz "Wie sollen sie [nach ihrer Ausbildung, Anm. d. Verf.] sonst ihren Beitrag für den Ausbau, für die Zukunft der Türkei leisten können?" überhaupt keinen Sinn. Schönbohm macht sich somit die Lebenslüge der Deutschen noch immer zu eigen. Mit anderen Worten: Deutschland ist für ihn nach wie vor kein Einwanderungsland. Die Türken sind für ihn in erster Linie eines: Ausländer - unabhängig davon, ob sie hier geboren und aufgewachsen sind oder nicht. Er verpackt das Ganze nur etwas geschickter, indem er Erdogan Beifall spendet. Substanziell meint er dennoch das Gleiche wie früher.

Und weil wir gerade beim Thema Assimilation sind: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", behauptet Erdogan. Das ist sie natürlich nur, wenn man seinen Satz im Sinne von Zwangsassimilation interpretiert. Ob die Mitbürger türkischer Abstammung die hiesigen Sitten und Gebräuche freiwillig übernehmen, ist ihre Privatangelegenheit. Es ist auch nicht Aufgabe des Staates darüber zu wachen. Dazu gezwungen wird hierzulande jedenfalls keiner. Im Gegensatz zu den Kurden, die in der Türkei zumindest bis vor kurzem mit drastischen Mitteln zwangsassimiliert wurden. Was sie einhalten müssen, sind unsere Gesetze. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Bei Migranten ist die freiwillige Assimilation zudem ein absolut normaler Vorgang. Wer erinnert sich denn noch daran, dass beispielsweise im 19. Jahrhundert viele polnische Bergarbeiter ins damals prosperierende Ruhrgebiet kamen und heute "auf Schalke" mitfiebern, als seien ihre Vorfahren schon immer im "Kohlenpott" ansässig gewesen? [1]

Die Fußballspieler Fritz Szepan (in den dreißiger und vierziger Jahren mit Schalke sechsmal Deutscher Meister, zwischen 1929 und 1939 34-mal für Deutschland als Nationalspieler im Einsatz) und Ernst Kuzorra (in den dreißiger und vierziger Jahren mit Schalke ebenfalls sechsmal Deutscher Meister, zwischen 1927 bis 1938 zwölfmal für Deutschland als Nationalspieler im Einsatz, außerdem Ehrenbürger von Gelsenkirchen) wurden von den Fans in die Schalker Elf des Jahrhunderts gewählt. [2] Sie waren sogar, das ist indes wenig rühmlich, Mitglieder der NSDAP. Den Nazis schienen sie also deutsch genug. Nach Schönbohms Definition hätten sie allerdings Ausländer sein müssen, denn sie stammen von den o.g. polnischen Zuwanderern ab.

Kurzum, die ehemaligen Polen haben sich vollkommen assimiliert. Und das freiwillig. Warum sollte das bei den türkischen Migranten anders sein? In 100 Jahren werden wir sie wahrscheinlich bloß noch am Namen erkennen. Statt Szepan und Kuzorra dann eben Özdemir und Özcan. Übrigens, Özdemir hat die Bedeutung "kerngesund, solide, eiserner Mensch" und Özcan "herzlich, sympatisch, vertraut". [3] Wenn das keine positiven Vorzeichen sind...

Schönbohms Beifall für Erdogan trieft geradezu vor Gift. Er spendet ihm nämlich einzig und allein deshalb Beifall, um seine ausländerfeindlichen Thesen in einem anderen Gewand an den Mann zu bringen. Sein Gastbeitrag in der FR ist gewissermaßen ein Danaergeschenk an den türkischen Ministerpräsidenten.

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[1] vgl. "Ruhrpolen" bei Wikipedia
[2] Wikipedia, FC Schalke 04, Die Schalker Jahrhundertelf
[3] Vaybee!