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11. Mai 2008, von Michael Schöfer
Charakterschwäche


Die gesellschaftliche Anerkennung in unserer Gesellschaft erfolgt hauptsächlich über das Einkommen. Ein hohes Einkommen verleiht einen entsprechend hohen sozialen Status. "Hast Du was, bist Du was", schon von jeher brachte dieser kurze Satz zum Ausdruck, worum es im Leben geht: Mein Auto, mein Haus, meine Yacht! Und, beim männlichen Teil der Bevölkerung, natürlich auch schöne Frauen (Geld macht sexy). Statussymbole eben. Nun ist ein hohes Einkommen nicht leicht zu erzielen, man muss schon etwas dafür tun. Geschenkt bekommt man nämlich nichts. Jedenfalls gilt das für die meisten von uns. Daher ist es am besten, wenn man - unabhängig von der jeweiligen Leistung - über sein Einkommen selbst bestimmen kann. Bei den Bundestagsabgeordneten ist das der Fall, was sie weidlich ausnutzen. Das belegen zumindest die Fakten. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie nachfolgend mit ein paar Zahlen langweilen muss.

1992 bekamen die Bundestagsabgeordneten Diäten in Höhe von monatlich 5.300 Euro, 2003 waren es bereits 7.009 Euro. Bis 2008 mussten die Volksvertreter jedoch vier Nullrunden hinnehmen. Anfang des Jahres hatte die Durststrecke freilich ein Ende, die Diäten stiegen auf 7.339 Euro (ein Plus von 4,7 Prozent). [1] 2009 sollen sie dem aktuellen Gesetzentwurf zufolge auf 7.946 Euro (ein Plus von 8,3 Prozent) und schließlich 2010 abermals auf 8.159 Euro (ein Plus von 2,7 Prozent) steigen. [2] Insgesamt sind das dann seit 2003 beachtliche 16,4 Prozent, seit 1992 sogar üppige 53,9 Prozent.


Diätenerhöhungen
1992 5.300 € / Monat
1996 5.778 / Monat
1997 6.046 / Monat
1998 6.314 / Monat
1999 6.583 / Monat
2000 6.623 / Monat
2001 6.749 / Monat
2002 6.878 / Monat
2003 7.009 / Monat
2008 7.339 / Monat
2009 7.946 / Monat
2010 8.159 / Monat

Wohl dem, der sein Gehalt selbst festsetzen kann. Die Arbeitnehmer und Rentner können das nicht. Das Bruttoarbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer ist seit 1992 um 26,1 Prozent und seit 2003 um lediglich 2,4 Prozent gestiegen. [3] Ausdruck der von den Politikern propagierten Lohnzurückhaltung. Den Rentnern erging es noch schlechter. 2003 bekamen sie eine Rentenanpassung in Höhe von 1,4 Prozent, danach (2004-2006) gab es jeweils eine Nullrunde. Zum 01.07.2007 stiegen die Renten um magere 0,54 Prozent, am 01.07.2008 werden es 1,1 Prozent sein. 2009 sind dann möglicherweise 2 Prozent drin. Letzteres ist aber nicht sicher, denn Beschlüsse gibt es dazu noch keine. [4] Wer beschließt über die Rentenanpassungen? Die gleichen Politiker, die sich, sobald es um ihre eigenen Einkünfte geht, wesentlich großzügiger zeigen.

Bruttoarbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer
1992 26.593 € / Jahr
1993 27.679 € / Jahr
1994 28.489 € / Jahr
1995 29.500 € / Jahr
1996 29.877 € / Jahr
1997 30.103 € / Jahr
1998 30.388 € / Jahr
1999 30.726 € / Jahr
2000 31.320 € / Jahr
2001 31.812 € / Jahr
2002 32.246 € / Jahr
2003 32.747 € / Jahr
2004 32.884 € / Jahr
2005 32.856 € / Jahr
2006 33.105 € / Jahr
2007 33.535 € / Jahr

Rentenanpassungen
1. Juli 2003 +1,04 % (Westdeutschland) +1,19 % (Ostdeutschland)
2004 Nullrunde
2005 Nullrunde
2006 Nullrunde
1. Juli 2007 +0,54 %
1. Juli 2008 +1,1 %
1. Juli 2009 möglicherweise 2 %

Schuld an der happigen Diätenerhöhung sei angeblich der gute Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen (die Länder verhandeln bekanntlich separat). Das kann eigentlich gar nicht sein, denn so stark sind die Gehälter dort gar nicht gewachsen. Zur Erinnerung: Am 1. Mai 2004 gab es beim Öffentlichen Dienst die letzte Tariferhöhung (aus dem Tarifabschluss 2002/2003 resultierend). Danach folgten bis zum aktuellen Tarifabschluss drei Nullrunden (Einmalzahlungen wurden nicht berücksichtigt). [5] Im Januar 2008 erhielten die Beschäftigten - sozial gestaffelt - zwischen 4,03 bis 7,11 Prozent, im Januar 2009 folgen weitere 2,8 Prozent (Einmalzahlungen wurden nicht berücksichtigt). [6] Seit 2004 kommen somit beim Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) insgesamt 8,37 Prozent zusammen (Mittelwert aus 4,03 und 7,11 = 5,57 + 2,8 = 8,37). Das ist bloß die Hälfte dessen, was sich die Abgeordneten gönnen. Objektiv betrachtet lässt sich die Behauptung der Abgeordneten, sie folgen bloß der Entwicklung im Öffentlichen Dienst, keinesfalls aufrechterhalten. (Zur unten stehenden Grafik: Sicherlich kommt bei den Rentnern und dem Arbeitnehmer-Durchschnitt bis 2010 ein bisschen mehr dazu. Was genau, ist noch unbekannt. Doch auch danach bleibt der Abstand zu den 16,4 Prozent der Bundestagsabgeordneten immens.)


Es ist eine Charakterschwäche, anderen Wasser zu predigen, aber selbst Wein zu saufen, wenngleich eine weitverbreitete: Der Aufsichtsrat der Stadtwerke München mit OB Christian Ude (SPD) an der Spitze hat den SWM-Geschäftsführern ein Gehaltsplus von 50 Prozent genehmigt. SWM-Chef Kurt Mühlhäuser kommt jetzt auf ein Jahresgehalt von 400.000 Euro. [7] "Folge der Gehaltserhöhung ist auch ein kräftiger Rentensprung: Rund 17.000 Euro stehen dem SWM-Chef nun zu - doppelt so viel wie Kanzlerin Merkel oder OB Ude." [8] Die 2.700 Beschäftigten der Verkehrstochter MVG mussten dagegen im vorigen Jahr auf bis zu 20 Prozent Gehalt verzichten. Ein U-Bahnfahrer klagt, er habe jetzt monatlich 250 Euro weniger.

Die Abgeordneten kalkulieren Proteste in der Bevölkerung von vornherein mit ein, heißt es. Mit anderen Worten: Protestiert nur - wir machen sowieso, was wir wollen. Was soll man zu so viel Unverfrorenheit sagen? Aber irgendwie haben sie damit sogar recht. Wenn Politiker immer wiedergewählt werden, warum sollten sie dann ihr Verhalten ändern? Im Grunde liegt es also an uns Wählern. Wenn wir uns nur echauffieren, aber am Wahltag trotzdem brav unser Kreuz bei den Absahnern machen, wird sich vermutlich auch künftig nicht allzu viel ändern. Jedes Volk hat eben die Volksvertreter, die es verdient.

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[1] Wikipedia, Abgeordnetenentschädigung
[2] Täglicher Anzeiger vom 09.05.2008
[3] Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2007, Tabelle 1.12, PDF-Datei mit 55 kb (1992-2006); Hans Böckler Stiftung, Bilanz des WSI-Tarifarchivs, Pressemitteilung vom 21.01.2008, PDF-Datei mit 63 kb (2007)
[4] Deutsche Rentenversicherung und Tagesspiegel vom 08.05.2008
[5] Hans Böckler Stiftung, PDF-Datei mit 48 kb
[6] Verdi, PDF-Datei mit 315 kb
[7] tz vom 07.05.2008
[8] Süddeutsche vom 09.05.2008