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14. Mai 2008, von Michael Schöfer
Sie wissen, was sie tun


Die Militärregierung in Birma hat sich, anstatt den Zyklon-Opfern zu helfen, vom Volk eine Verfassungsänderung absegnen lassen. Mit ihrer Hilfe zementieren die Militärs im süd-ost-asiatischen Land auf Jahre hinaus ihren politischen Einfluss: "25 Prozent der Sitze beider Parlamentskammern werden mit handverlesenen, vom Militär ernannten Abgeordneten besetzt. Dem Militär sind die Schlüsselministerien vorbehalten. Auch andere Spitzenjobs - Staatspräsident, Ministerpräsident, Richter - werden direkt oder indirekt durch die Armeeführung besetzt." [1] Für Verfassungsänderungen ist künftig ein Quorum von mehr als drei Viertel der Abgeordneten vorgeschrieben. Mit anderen Worten: Die Militärs besitzen eine Sperrminorität. Außerdem kann die Armeeführung nach einer Notstandsverordnung jederzeit die Macht übernehmen. Die Amnestie für die Junta ist ebenfalls gleich inbegriffen: "Gemäß Artikel 445 dürfen Mitglieder des sogenannten Rates für Frieden und Entwicklung, wie sich die Militärjunta selbst nennt, nicht strafrechtlich verfolgt werden." [2] Demokratie in Birma wird daher bestenfalls als Potemkinsches Dorf existieren, d.h. nur als Fassade.

In den Medien für ein Nein zu werben, war strikt verboten, was die Volksabstimmung von vornherein zur Farce machte. Ein Gesetz sah zudem vor, dass jeder, der die Annahme der Verfassung behindert, mit drei Jahren Gefängnis bestraft wird. Und um ganz sicher zu gehen, wurde das - aus der Sicht der Militärs - anscheinend miserable Abstimmungsergebnis auch noch gefälscht. Zwischen 90 und knapp 100 Prozent Zustimmung habe es gegeben, behauptet die Militärregierung. Die Opposition hat freilich Belege für Wahlfälschung gesammelt. "In einem Wahllokal mit 412 abgegebenen Stimmen sei zunächst öffentlich ausgezählt worden, berichteten die Beobachter. Nachdem 15 Stimmen für und 37 gegen die Verfassung registriert worden waren, sei die Auszählung abgebrochen und hinter verschlossenen Türen fortgesetzt worden." [3] Wahrscheinlich hat das Ergebnis nach der "Auszählung" im Hinterzimmer dann den Erwartungen der Machthaber entsprochen.

Warum eigentlich dieser ungeheure Aufwand? Sollen die Militärs doch sagen: "Nein, wir denken gar nicht daran, die Macht abzugeben. Basta!" Warum fälschen sie mühsam ein Wahlergebnis, das ihnen ohnehin niemand abkauft? Das ist im Grunde vollkommen unsinnig. Andernorts gibt es genauso sinnlose Veranstaltungen. Wenn etwa Robert Mugabe in Simbabwe wählen lässt, obgleich noch nicht einmal massive Wahlfälschungen ausreichen, ihm die Mehrheit zu sichern. Die Stichwahl, heißt es daraufhin aus dem Lager des Verlierers, könnte sich um ein Jahr verzögern (vom Gesetz her müsste sie 21 Tage nach Veröffentlichung des Wahlergebnisses stattfinden). Warum tut der Mann sich das an? Soll er doch offen kundtun: "Mich könnt Ihr gar nicht abwählen. Ich bleib' dran für immer. Basta!" Und warum zensiert die chinesische Regierung alle Meldungen über die Vorgänge in Tibet? Sie setzt sich doch nur dem Vorwurf der Manipulation aus. Wäre es nicht besser, sie würde freimütig zugeben: "Ja, wir unterdrücken die Tibeter. Ja, wir foltern Oppositionelle. Ja, wir haben Hunderte von Demonstranten erschossen und Tausende ins Arbeitslager gesperrt. Was das Ausland dazu sagt, ist uns absolut egal. Basta!" Die Weltmeinung über China würde sich gewiss nicht ändern, da ihnen (den Chinesen) sowieso jeder entsprechende Handlungen unterstellt.

Einen Cent für jeden, der tatsächlich glaubt, die Militärjunta in Birma gebe die Macht aus den Händen. Einen Cent für jeden, der tatsächlich glaubt, Robert Mugabe ließe eine Abwahl zu. Und einen Cent für jeden, der tatsächlich glaubt, die Chinesen würden die kulturellen Rechte der Tibeter beachten. Ich denke, das Ganze kann man aus der Portokasse bezahlen. Deshalb noch einmal die Frage: Warum dieser ungeheure Aufwand? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Es gibt im Prinzip nur eine plausible Erklärung: Die Despoten wissen genau, dass es Unrecht ist, was sie tun. Sie wissen, dass sie gegen die Menschenrechte verstoßen. Sie wissen, dass sie das Gesetz missachten. Sie wissen, dass der Internationale Strafgerichtshof sie zur Verantwortung ziehen könnte. Hätten sie ein reines Gewissen, würden sie nämlich offen zu ihren Taten stehen und könnten auf jede Bemäntelung, sei es durch Zensur, gefälschte Wahlen oder scheindemokratische Zustände, verzichten. Die Folterer geben nicht zu, dass sie foltern. Sie beschönigen die Folter vielmehr als "harte Verhörmethode" (George W. Bush). Alle Despoten sind daher, obwohl sie nach außen gerne den Starken und Überlegenen mimen, im Inneren ihres Herzens verunsicherte Würstchen. Okay, ich korrigiere mich: blutrünstige Würstchen.

Offenbar gibt es, kulturelle Unterschiede hin oder her, tief in uns drin ein Gefühl für das, was Recht und was Unrecht ist. Dies scheint ein Merkmal unserer Spezies zu sein, schließlich sind wir ein zur Empathie befähigtes soziales Wesen. Der jahrtausendelange Kampf um Gerechtigkeit ist hierzu kein Widerspruch. Im Gegenteil, denn er zeugt davon, wie hartnäckig wir Menschen an diesem hehren Gedanken festhalten. So betrachtet besteht immerhin die Hoffnung, dass sich das demokratische Prinzip irgendwann überall durchsetzt. Auch in Birma, Simbabwe oder China.

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[1] Stern vom 10.05.2008
[2] tagesschau.de vom 10.05.2008
[3] Frankfurter Rundschau vom 13.05.2008