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31. Januar 2009, von Michael Schöfer
Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber


In der Finanzkrise operiert man mittlerweile mit Horrorzahlen, die aber noch immer mit großer Unsicherheit behaftet sind und ständig nach oben korrigiert werden. So hat etwa der Internationale Währungsfonds (IWF) im April letzten Jahres den Abschreibungsbedarf der Banken zunächst auf 945 Mrd. US-Dollar taxiert [1], im Oktober 2008 waren es schon 1,4 Billionen [2], inzwischen sind daraus 2,2 Billionen geworden [3]. Doch allein bei den deutschen Banken sollen riskante (neudeutsch: toxische) Wertpapiere im Wert zwischen 600 Mrd. und einer Billion Euro schlummern (768,2 Mrd. - 1,28 Bio. Dollar). [4] In Großbritannien sind es angeblich 220 Mrd. Euro (281,7 Mrd. Dollar). [5] Senatsmitglied Charles Schumer schätzt die Kosten einer amerikanischen "Bad Bank", durch die der Steuerzahler die faulen Wertpapiere der Banken übernimmt, auf bis zu vier Billionen US-Dollar. [6]

Wer bietet mehr? Kein Problem! Credit Default Swaps (CDS), das sind handelbare Kreditabsicherungen, wurden erst Mitte der neunziger Jahre von Blythe Masters, einer jungen Angestellten von JP Morgan, erfunden. Das Volumen aller ausstehenden CDS-Verträge betrug im ersten Halbjahr 2008 54,6 Billionen Dollar. [7] Billionen, nicht Milliarden! Das ist ziemlich genau die Höhe des globalen Bruttoinlandsprodukts von 2007 (54,3 Billionen Dollar). [8] Der erfolgreiche Großinvestor Warren Buffet bezeichnete Credit Default Swaps missbilligend als "Massenvernichtungswaffe der Finanzwelt". [9] Wenn da etwas schief läuft, kann man Angela Merkel mit ihrem Rettungsschirmchen und der Garantie für die Spareinlagen vergessen.

Der Staat muss zweifellos eingreifen, denn die finanzielle Absicherung der Bankkunden ist vergleichsweise schwach. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums beträgt das Volumen des Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Deutscher Banken (BdB) lediglich 4,6 Mrd. Euro. [10] Bei einer einzelnen Bank kein Problem. Wenn dagegen zahlreiche Banken gleichzeitig pleitegehen, ist die Absicherung der Einlagen nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht. In diesem Fall wäre der Einlagensicherungsfonds selbst pleite.

Soll nun der Staat sämtliche "toxischen" Wertpapiere in einer sogenannten "Bad Bank" übernehmen? Einerseits treibt es einem die Zornesröte ins Gesicht, wenn Gewinne stets privatisiert und Verluste ständig sozialisiert werden. Doch angesichts des Umfangs der Bedrohung könnte die Gründung einer Bad Bank unausweichlich werden. Bevor das Finanzsystem völlig kollabiert, müssen wir wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Ob sie jedoch wirklich notwendig ist, vermag ich nicht zu beurteilen, denn die tatsächliche Lage der Banken wird ja nicht offengelegt. Sollte eine Bad Bank zur Stabilisierung des Finanzsektors unumgänglich sein, müssten sich jedenfalls die Banken dazu verpflichten, einen Teil ihrer künftigen Gewinne abzutreten (die Rezession wird ja nicht ewig dauern), und zwar zur Abtragung der Verluste, die dem Steuerzahler durch die Bad Bank entstehen.

Aber das ist m.E. nicht die beste Lösung. Die beste Lösung ist in meinen Augen nach wie vor die Verstaatlichung der Banken. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass die Finanzjongleure nach dem Verdauen des Schocks die Weltwirtschaft abermals mit dubiosen Finanzprodukten in den Abgrund reißen. Bankgeschäfte sind nichts für schillernde "masters of the universe", sondern etwas für biedere, aber solide wirtschaftende Buchhalter. Bankgeschäfte müssen langweilig, nicht aufregend sein. Die Verstaatlichung von kurz vor der Pleite stehenden Kreditinstituten kann eh nicht die Welt kosten. (18,2 Mrd. Euro zahlte der Staat bislang an die Commerzbank - und erhielt dafür einen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie. Mit einem Viertel des Kapitaleinsatzes hätte man die ganze Bank bekommen, mehr ist sie am Markt gar nicht mehr wert gewesen. So soll man es natürlich nicht machen.) Der Finanzsektor ist viel zu wichtig, um ihn den Partikularinteressen Einzelner zu opfern. Beim Tanz ums Goldene Kalb wurde nämlich, wie wir gesehen haben, das Allgemeinwohl vollkommen ausgeblendet.

Übrigens, um nicht missverstanden zu werden: Brandstifter waren nicht bloß die Ackermänner, sondern auch die Politiker, die sich jetzt als Feuerwehr aufspielen. Zur Zeit benehmen sie sich, als wären sie die Unschuld vom Lande. Die Misere, so behaupten sie dreist, sei allein durch die maßlose Gier der Manager verursacht worden. Das ist total verlogen. Die Politiker tragen schließlich für die Deregulierung des Finanzmarktes Verantwortung. Bereits Ende Oktober 2008 habe ich auf ein Dokument des Bundesfinanzministeriums hingewiesen, in der all die kleinen Initiativen und Gesetze aufgeführt sind, die den Finanzstandort Deutschland attraktiver machen sollten. [11] Das haben wir jetzt davon.

Genau deshalb bin ich, was die Bewältigung der Krise angeht, pessimistisch. Die Politik wird schon Mittel und Wege finden, uns die Verluste, die aus dem ganzen Tohuwabohu resultieren, aufzubürden. Das Gros der Banken zu verstaatlichen passt einfach nicht ins Weltbild der Neoliberalen - selbst wenn sie momentan ziemlich kleinlaut geworden sind. Mit Ausnahme der FDP, die angesichts von Umfragewerten um die 16 Prozent vor Kraft kaum noch laufen kann. Letzteres ist ohnehin ein Paradoxon: Ausgerechnet diejenigen, die den ganzen Schlamassel mitverursacht haben (keine Partei war marktradikaler), dürfen sich nun - siehe Hessen - über glänzende Wahlsiege freuen. Wie man sieht, ist nicht nur an der Weisheit von Regierungs- oder Vorstandsmitgliedern zu zweifeln, sondern genauso an der Weisheit der Wählerinnen und Wähler. Ein harter, aber leider nach wie vor zutreffender Satz lautet: Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

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[1] Telepolis vom 11.04.2008
[2] IWF, Pressemitteilung vom 07.10.2008
[3] IWF-Bericht vom 28.01.2009
[4] Spiegel-Online vom 23.01.2009
[5] Die Zeit vom 18.01.2009
[6] Reuters vom 29.01.2009
[7] Zeitenwende.ch vom 26.09.2008
[8] Weltbank, Gross domestic product 2007, PDF-Datei mit 70 kb
[9] ARD, Plusminus, Sendung vom 07.10.2008
[10] Handelsblatt vom 17.09.2008
[11] siehe 14 aufschlussreiche Tage vom 24.10.2008