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24. März 2009, von Michael Schöfer
Der hässliche Deutsche


"'Peer Steinbrück, das darf man in aller Offenheit sagen, definiert das Bild des hässlichen Deutschen neu', wetterte Thomas Müller von der christdemokratischen Volkspartei CVP. 'Er erinnert mich an jene Generation von Deutschen, die vor 60 Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind.'" [1] Der deutsche Finanzminister ist mittlerweile in der Schweiz einer der meistgehassten Menschen, heißt es. Der Verteidigungsminister der Alpenrepublik tauschte sogar aus Protest seinen Mercedes gegen einen Renault ein. Kindergartengetue. Die Wellen der Empörung schlagen hoch. Das hat natürlich einen tieferen Grund und ist kaum allein auf die verbalen Attacken des Bundesfinanzministers zurückzuführen. Seitdem die größte Schweizer Bank, die UBS, unter dem Druck der USA gezwungen wurde, das Allerheiligste preiszugeben, das eherne Bankgeheimnis, steht das Geschäftsmodell des gesamten Landes in Frage. Die Nachfahren Wilhelm Tells sind in einer veritablen Zwickmühle.

Einerseits fürchten sie, wegen mangelnder Kooperation auf der "Schwarzen Liste" der OECD zu landen, in der die Steueroasen verzeichnet sind. "Laut OECD gibt es 38 Länder mit einem stark ausgeprägten Bankgeheimnis und niedrigen oder ohne Steuern. Nach Angaben aus französischen Regierungskreisen könnte eine erweiterte 'Schwarze Liste' rund ein Dutzend Länder umfassen. Länder, die eine Zusammenarbeit verweigern, sollen künftig bestraft werden. 'Wir müssen nicht nur das Zuckerbrot benutzen, sondern auch die Peitsche', sagte Steinbrück. Neben den internationalen Bemühungen kündigte er nationale Schritte an, um Steuerflucht einzudämmen. Unter anderem will er das Steuerrecht ändern, um Geschäftsbeziehungen zu Ländern zu erschweren, die die OECD-Grundsätze nicht gewährleisten." [2] Die Schweiz ist mit einem Außenhandelsüberschuss von 13,9 Mrd. CHF (2007), nach heutigem Tageskurs sind das 9,1 Mrd. Euro, auch jenseits des Finanzsektors gegenüber Sanktionen verwundbar. [3] Sie gehört zu den Ländern mit den höchsten Anteilen des Außenhandels am Bruttoinlandsprodukt, 2007 waren das beachtliche 38,5 Prozent. Wichtigster Handelspartner ist Deutschland.

Andererseits bangen sie um die lukrativen Finanzzuflüsse aus dem Ausland. Genaue Zahlen sind naturgemäß kaum zu bekommen, doch Schätzungen zufolge sollen in der Schweiz 27 Prozent des weltweiten Privatvermögens angelegt sein. Das wären immerhin 1,97 Billionen US-Dollar (von insgesamt 7,3 Billionen). [4] Laut GFX Group SA, einem Genfer Devisenhändler, sind es deutlich mehr: "35% des Weltprivatvermögens wird von Finanzinstitutionen in der Schweiz verwaltet." [5] Wie dem auch sei, rund ein Drittel ist eine äußerst bemerkenswerte Quote für ein Land, das am Bruttoinlandsprodukt der Welt (2007: 54,3 Billionen Dollar) lediglich einen Anteil von 0,78 Prozent (423,9 Mrd. Dollar) aufweist. [6]

Bekanntlich haben die Schweizer Banken in der Vergangenheit wenig Skrupel gezeigt, wenn es um die Anlage von Kapital aus dubiosen Quellen ging. Zu ihren illustren Kunden gehörte u.a. der frühere Diktator Zaires (heute Demokratische Republik Kongo), Joseph-Désiré Mobutu, dessen zusammengeklaubtes Privatvermögen auf vier bis sechs Mrd. US-Dollar geschätzt wurde. Außerdem fand man in der Schweiz Gelder von Ferdinand Marcos (ehemaliger Diktator der Philippinen), Sani Abacha (früherer Militärdiktator von Nigeria), Vladimiro Montesinos (ehemaliger peruanischer Geheimdienstchef), Charles Taylor (ehemaliger Diktator Liberias, steht augenblicklich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht), Jean-Claude Duvalier (früherer Diktator in Haiti) und José Eduardo dos Santos (Präsident von Angola). Darüber, welches Blutgeld noch, über das bereits bekannte hinaus, in den Schweizer Tresoren schlummert, gibt es nur Spekulationen, aber keine öffentlich zugänglichen Belege.

Zentraler Angelpunkt der Schweizer Finanzphilosophie ist (inzwischen muss man fast sagen "war") das gut gehütete Bankgeheimnis. [7] Wird es im wahrsten Sinne des Wortes löchrig wie ein Schweizer Käse, kann es mit der Attraktivität des Finanzstandorts schnell vorbei sein. Wer sein Vermögen zielstrebig dem eigenen Finanzamt gegenüber verheimlicht, transferiert es dann womöglich in eine andere Steueroase. Die Ängste der Schweizer sind somit durchaus real. Die Aufregung über Peer Steinbrücks Wortwahl soll jedoch vom eigentlichen Problem, der Unterstützung von ausländischen Steuerhinterziehern, ablenken.

Nun wollen die von der Finanzkrise gebeutelten Industriestaaten möglichst viele Steueroasen trockenlegen. Behaupten sie zumindest. Das ist verständlich, gehen doch den arg strapazierten öffentlichen Haushalten durch Steuerhinterziehung etliche Milliarden durch die Lappen. Unterstützung durchs Volk haben die Finanzminister bei diesem Vorhaben allemal, denn dem normalen Arbeitnehmer schwillt bei jedem spektakulären Steuerhinterziehungs-Fall gehörig der Kamm. Die eigenen Kinder auf vom Steuerzahler unterhaltene Universitäten schicken, aber selbst "kreative" Steuervermeidung praktizieren - dieser angeblich weitverbreitete Charakterzug der "Besserverdienenden" kommt beim Wahlvolk immer weniger an. Völlig zu Recht. Insofern kann Peer Steinbrück hierzulande mit seinen verbalen Ausfällen gegen die Alpenrepublik zweifellos punkten. Ob man das Anliegen allerdings wirklich mit der für Steinbrück charakteristischen Ruppigkeit verfolgen muss, steht auf einem anderen Blatt. Darüber hinaus gehörte der Bundesfinanzminister bislang zu den Befürwortern von Deregulierungsmaßnahmen, und ausgerechnet die haben die Finanzmarktkrise überhaupt erst möglich gemacht. Demzufolge darf man auch ihm zielgerichtete Rhetorik unterstellen (Motto: Haltet den Dieb!"), schließlich ist Wahlkampf.

Es bleibt daher abzuwarten, ob den Worten tatsächlich Taten folgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine lauthals verkündete Reform am Ende stillschweigend im Sande verläuft.

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[1] Spiegel-Online vom 18.03.2009
[2] tagesschau.de vom 22.10.2008
[3] Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Statistik
[4] Frankfurter Rundschau vom 24.03.2009
[5] Forex.ch
[6] Wikipedia, Liste der Länder nach Bruttoinlandsprodukt
[7] vgl. Wikipedia, Schweizer Bankgeheimnis