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26. März 2009, von Michael Schöfer
Die Büchse der Pandora


Dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf, versteht sich eigentlich von selbst. Und dass etwas gegen die um sich greifende Internet-Kriminalität getan werden muss, auch. Doch darüber, wie das konkret zu geschehen hat, streiten sich die Gelehrten. Die Bürgerrechte gelten natürlich auch im World Wide Web, beim Gewaltmonopol des Staates ist das nicht anders. Nur seltsam, dass ausgerechnet die, die sonst hartnäckig auf das Gewaltmonopol des Staates pochen, im Internet plötzlich sämtliche rechtsstaatliche Bedenken über Bord werfen.

"Klaus Jansen, der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, lobte Bundesinnenminister Schäuble (...) für dessen Ziel, mit der Anonymität im Internet aufzuräumen. Jansen zufolge muss sich die Polizei wesentlich stärker im Internet engagieren, weshalb er jede Form der Zusammenarbeit mit Unternehmen begrüßt: 'Hauptsache, es geschieht schnell.' Rechtsstaatliche Bedenken hinsichtlich der Beweissicherung durch Firmen mit potentiellen Interessenskonflikten, wie sie etwa der Hamburger Musikindustrieanwalt Rasch durchführen lässt, sieht Jansen nicht. Stattdessen zeigte er sich auch für die Zusammenarbeit mit ehemaligen Kriminellen offen, so lange es nur dazu dient, das Gewaltmonopol des Staates im Internet besser durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sah der Polizeifunktionär auch eine Ausweitung der Bundes- und Landes-Trojaner auf alle Bereiche der Strafverfolgung als unvermeidlich an." [1]

Jansen gibt damit das Gewaltmonopol des Staates preis, es würde nämlich durch die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen peu à peu entwertet. Derzeit erleben wir ja, dass die Interessen der Privatwirtschaft nicht unbedingt mit denen der Allgemeinheit übereinstimmen (Finanzkrise). Monetäre Interessen sind nun mal per se nicht objektiv. Es ist aber die ureigenste Aufgabe des Staates, diese absolut unverzichtbare Objektivität zu garantieren, insbesondere bei Strafverfahren. Nicht zuletzt deshalb existiert schließlich eine eigens auf Recht und Gesetz verpflichtete Beamtenschaft. Und gibt es nicht schon genug Daten- und Überwachungsskandale, die zeigen, wie lax man in manchen Vorstandsetagen mit dem Recht umzugehen pflegt? Private "Polizisten", das darf man unterstellen, denken wohl eher an ihre Provision und weniger an die Grundrechte der Bürger. Davor kann einem nur grauen. Wer will etwa ausschließen, dass unschuldigen Bürgern Beweise untergeschoben werden? Vor allem dann, wenn es der Profitmaximierung dient.

Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Online-Durchsuchung deutlich gemacht, dass Grundrechtseingriffe in das "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" nur in engen Grenzen erlaubt sind. "Gestattet sind präventive staatliche Eingriffe (...) in dieses Grundrecht nur, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Es muss dabei zwar noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass solch eine Gefahr in näherer Zukunft eintritt, allerdings müssen im Einzelfall bestimmte Tatsachen auf eine solche drohende Gefahr, welche von bestimmten Personen ausgeht, hinweisen. Eine Maßnahme, die einen Eingriff in dieses Grundrecht darstellt, bedarf grundsätzlich einer richterlichen Anordnung. Grund dafür ist, dass der Bürger bei der heimlichen Ausspähung von persönlichen Daten in der Regel keine präventive Möglichkeit besitzt, die Maßnahme gerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Einer anderen Stelle darf die Kontrolle nur übertragen werden, wenn diese die gleiche Gewähr für ihre Unabhängigkeit und Neutralität bietet wie ein Richter." [2]

Diesen Normen werden Privatunternehmen keinesfalls gerecht. Im Übrigen ist die Forderung, die Bundes- und Landes-Trojaner auf "alle Bereiche" der Strafverfolgung auszuweiten, Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Genau das wurde nämlich immer befürchtet: Anfangs geht es bloß um Terrorismus, später auch um Bagatelldelikte. Bürgerrechte sind für den Polizeigewerkschafter offenbar ein Fremdwort. Seine Vorschläge sind schlicht und ergreifend verfassungswidrig, ihnen zu folgen käme zweifellos der Öffnung der Büchse der Pandora gleich. Am Ende steht die totale Überwachung, Orwell lässt grüßen. Und wenn Jansen dabei sogar mit "ehemaligen Kriminellen" zusammenarbeiten möchte, ist das Ganze fast schon reif fürs Kabarett. Zumwinkel als Steuerfahnder? Na klar, immerhin weiß der, wie man's macht. Es wäre doch in hohem Maße unökonomisch, einschlägige Qualifikationen brach liegen zu lassen.

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[1] Heise Security vom 26.03.2009
[2] Wikipedia, Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme