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15. Mai 2009, von Michael Schöfer
Der entzauberte Obama


Barack Obama ist nicht George W. Bush. Zum Glück. Doch er ist auch nicht der Heilsbringer, den viele in ihm gesehen haben. Das wird inzwischen deutlich, der Lack blättert nämlich langsam aber sicher ab. Es fing damit an, dass Obama den Folterern der CIA Straffreiheit zusicherte. "Es liegt nur in unserem Interesse, dass nicht diejenigen strafrechtlich verfolgt werden, die ihre Pflicht getan und sich in gutem Glauben auf die Rechtsauffassung des Justizministeriums verlassen haben." [1] Damit haben sich in Deutschland nach dem Krieg auch die Nazi-Verbrecher herauszureden versucht: Sie hätten in gutem Glauben gehandelt und bloß Befehle befolgt. Allerdings ist spätestens seit den Nürnberger Prozessen klar, dass derartige Ausreden niemanden von der Verantwortlichkeit für seine Taten befreien. Obama bräuchte also nur die damals von den USA selbst entwickelten "Nürnberger Prinzipien" anwenden. Außerdem haben sich die Vereinigten Staaten in internationalen Abkommen zur Einhaltung des Folterverbots verpflichtet und müssten folglich dessen Verletzung zwingend ahnden. Aber offenbar werden weder Befehlsgeber noch Befehlsempfänger strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Ein Skandal.

Da fügt es sich ins nach und nach entstehende Mosaik, dass Obama die Fotos von misshandelten Häftlingen im Irak und in Afghanistan nun doch nicht veröffentlichen will. "Die Bilder könnten US-Soldaten in Gefahr bringen und 'anti-amerikanische Stimmungen schüren', sagte Obama in Washington. Bürgerrechtler reagierten empört auf die politische Kehrtwende und warfen Obama vor, ein Versprechen gebrochen zu haben." [2] Die Bilder müssen demzufolge grässlich sein - so grässlich, dass Obama den Schaden, der durch seinen Wortbruch entsteht, im Vergleich dazu als weniger schlimm ansieht. Mit dem kurz nach der Vereidigung propagierten "nie da gewesenen Maß an Offenheit" und dem "System der Transparenz" ist es vielleicht schon wieder vorbei. [3] So schnell kann man sich entzaubern.

Jetzt erntet der US-Präsident heftige Kritik für seine Entscheidung, die umstrittenen Militärtribunale gegen Terrorverdächtige im US-Gefangenenlager Guantanamo weitermachen zu lassen. "Nach Angaben namentlich nicht genannter Regierungsvertreter sollen für die Angeklagten vor den Militärtribunalen künftig die rechtsstaatlichen Grundsätze gelten, die Obama bereits bei der Einführung der Tribunale gefordert hatte. Dazu gehöre, dass Aussagen, die unter Folter gemacht wurden, nicht mehr zugelassen werden." [4] Doch die US-Regierung ist dort nach wie vor Richter, Staatsanwalt und Verteidiger in einem, die Militärtribunale sprechen somit jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn. Ob sich die Gefangenen in Zukunft wenigstens ihren Verteidiger selbst heraussuchen können, bislang mussten es amerikanische Militärjuristen sein, ist weiterhin offen. Wie sieht es mit "Beweisen" vom Hörensagen aus? Wie mit Aussagen anonymer Zeugen? Wie mit geheim gehaltenen "Beweisen"? Noch ist völlig unklar, wie die neuerdings gewährten "rechtsstaatlichen Grundsätze" konkret aussehen. Lassen wir uns überraschen. Da die Obama-Regierung jedoch genauso wie die Bush-Administration den Gang vor die ordentlichen Gerichte scheut, bleiben die Rechte der Gefangenen vor den Militärtribunalen zweifelsohne beschränkt, alles andere würde jeder Logik widersprechen. Fair sind solche Prozesse nicht. Bestimmt haben sich die Menschen die Rückkehr zu den Prinzipien des Rechtsstaats ganz anders vorgestellt. Abermals enttäuscht Barack Obama viele Hoffnungen.

Meine Anfang Juni 2008 gemachte Aussage, dass es für die seinerzeit grassierende Obama-Euphorie keinen Anlass gibt [5], scheint sich zu bewahrheiten.

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[1] Spiegel-Online vom 16.04.2009
[2] Yahoo-Nachrichten vom 14.05.2009
[3] THE WHITE HOUSE, MEMORANDUM "Transparency and Open Government" vom 21.01.2009, PDF-Datei mit 63 kb
[4] Deutsche Welle vom 15.05.2009
[5] siehe Obama-Euphorie ist fehl am Platze
vom 03.06.2008