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31. Juli 2010, von Michael Schöfer
Josef Wissarionowitsch Berlusconi


Dass ein gewisser Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin, nach Lenins Tod in der Sowjetunion die Macht übernahm, ist hinlänglich bekannt. Dass sein Kontrahent, Leo Dawidowitsch Bronstein, genannt Trotzki, im Machtkampf unterlag und seine oppositionelle Haltung am Ende mit dem Leben bezahlte, ebenso. Auch wenn das alles lange her ist und für den weiteren Verlauf der Weltgeschichte irrelevant sein mag, lohnt sich dennoch ein Blick auf die Art und Weise, wie Stalin seinen Rivalen bezwang.

Auf dem X. Parteitag der "Kommunistischen Partei Russlands" (8. bis 16. März 1921), die sich später in "Kommunistische Partei der Sowjetunion" (KPdSU) umbenannte, wurde die von Lenin vorgelegte Resolution "Über die Einheit der Partei" verabschiedet, in der die Partei das Verbot der Fraktionsbildung erließ. Der Schlüsselsatz darin lautete: "Es ist notwendig, dass alle klassenbewussten Arbeiter sich des Schadens und der Unzulässigkeit jeder wie immer gearteten Fraktionsbildung klar bewusst werden." [1] Fortan waren Diskussionen "von unten nach oben" über bereits getroffene Entscheidungen der Führungsriege strikt untersagt, alle Entscheidungen der übergeordneten Instanzen galten nunmehr als absolut verbindlich.

Mit diesem Instrument hatte Stalin leichtes Spiel, Trotzki illegalen "Fraktionalismus" und schädliches "Spaltertum" vorzuwerfen. Der Massenmörder schrieb dazu 1924: "Die Partei ist eine Einheit des Willens, die jegliche Fraktionsmacherei und Machtzersplitterung in der Partei ausschließt. (…) Daher die Forderung Lenins, jegliche Fraktionsmacherei vollständig auszumerzen. (…) Die Partei wird dadurch gestärkt, dass sie sich von opportunistischen Elementen säubert. Die Quelle der Fraktionsmacherei in der Partei sind ihre opportunistischen Elemente." [2] Und von Säuberungen verstand Stalin bekanntlich jede Menge, wie die nachfolgenden Ereignisse gezeigt haben.

Das ist kalter Kaffee von vorgestern, werden Sie jetzt vielleicht einwenden. Von wegen, schauen wir mal auf Italien. Dort hat Premierminister Silvio Berlusconi gerade mit seinem "Parteifreund" Gianfranco Fini gebrochen. Am 29. Juli verabschiedete das Parteipräsidium von Berlusconis Partei "Popolo della Libertà" (Volk der Freiheit) "einen Beschluss, in dem es heißt, Fini habe 'ein politisches Profil gezeigt, das in Opposition steht zur Regierung, zur Partei und zum Regierungschef'. Er habe eine Partei in der Partei gebildet." [3] Mit anderen Worten: Fraktionalismus, Spaltertum! Dass ausgerechnet Berlusconi wie ein Bolschewik agiert, ist ein Treppenwitz der Geschichte.

        
Lektüre für den italienischen Premierminister: Was Silvio Berlusconi unbedingt lesen sollte

"Politische Strömungen sind Metastasen", behauptet der Regierungschef und nennt die italienische Verfassung unbrauchbar. Gianfranco Fini, der Präsident der Abgeordnetenkammer, kontert: Berlusconi habe keine "liberale Auffassung von Demokratie". "Der 58jährige Fini ist ein entschlossener Streiter für die strikte Respektierung von Verfassung und Justiz und für eine konsequente Linie der Legalität in Partei und Regierung. Damit ist Fini in den Augen Berlusconis zum größten Hindernis seiner Machtausübung geworden." [4] Stalin ante Portas? Oder wenigstens Josef Wissarionowitsch Berlusconi? Fast könnte man es meinen.

Wenn wir eines aus der Geschichte gelernt haben sollten, dann doch zumindest dies: Macht bedarf der Kontrolle, weil ansonsten Machtmissbrauch unvermeidlich ist. Und da jeder, gleich welcher politischer Couleur, zum Missbrauch seiner Macht neigt, hat sich in den demokratischen Gesellschaften die Gewaltenteilung durchgesetzt - die gegenseitige Kontrolle von Verfassungsorganen zur Vermeidung diktatorischer Zustände.

        
Die geistigen Väter der Gewaltenteilung: John Locke und Baron de Montesquieu
[Quelle: Wikipedia, Bilder sind gemeinfrei]


"Gewaltenteilung ist die Verteilung der Staatsgewalt auf mehrere Staatsorgane zum Zwecke der Machtbegrenzung und der Sicherung von Freiheit und Gleichheit. Nach historischem Vorbild werden dabei die drei Gewalten Gesetzgebung (Legislative), Vollziehung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) unterschieden. Ihren Ursprung hat das Prinzip der Gewaltenteilung in den staatstheoretischen Schriften von John Locke und Montesquieu, die sich gegen Machtkonzentration und Willkür im Absolutismus richteten." [5] Hinzu kommt noch die sogenannte "Vierte Gewalt": die freie Presse. Ohne diese vier Gewalten gibt es keine Freiheit und keine Demokratie. Letztlich geht es sogar um mehr: Um die unverzichtbare Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften. Dort, wo durch Repression neue Gedanken keine Chance eingeräumt bekommen, sich im Wettstreit der Argumente durchzusetzen und mehrheitsfähig zu werden, unterbleibt jeder Wandel. Diese Blockade führt zu gesellschaftlicher Erstarrung und damit zum kulturellen Niedergang.

Wer den Mechanismus der Gewaltenteilung, das was die Amerikaner "checks and balances" nennen, angreift, zerstört die Demokratie. Gianfranco Fini hat das offenbar erkannt. Ein Premierminister darf rechte oder linke Politik betreiben, aber niemals die Funktionsfähigkeit der Verfassungsorgane beeinträchtigen - der Grundkonsens der Demokraten. Doch genau das tut Berlusconi, mehrfacher Milliardär und Herr über drei Fernsehsender, deshalb ist er für Italien so gefährlich. Nicht ohne Grund sagt Andrea Camilleri, Drehbuchautor, Theater- und Filmregisseur und als Erfinder des Commissario Montalbano einer der meistgelesenen und -verfilmten Autoren Italiens: "Die Schäden des Berlusconismus werden so sein wie die Schäden des Faschismus. (…) Deshalb sehe ich schwarz für Italien." [6]

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[1] Bayerische Staatsbibliothek, Die Sowjetunion 1917-1953: Dokumente, 2. Kapitel: Die Durchsetzung und Festigung der Einparteiherrschaft
[2] Stalin, Werke, Band 6, Über die Grundlagen des Leninismus
[3] Süddeutsche vom 30.07.2010
[4] Süddeutsche vom 30.07.2010
[5] Wikipedia, Gewaltenteilung
[6] Süddeutsche vom 28.07.2010