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17. April 2011, von Michael Schöfer
No we can't


Erinnern Sie sich noch an den hierzulande fast gänzlich unbekannten Jungspund, der einst den Bundesstaat Illinois im Washingtoner Senat vertrat? Ja, genau der, der 2008 mit der eingängigen Parole "Yes we can" überraschend zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Das Hauptmotto seines Wahlkampfes war "Change" (Wandel), damit wusste er weit über die Grenzen der USA hinaus die halbe Welt zu begeistern. Ein Schlagwort übrigens, mit dem schon ein gewisser William Jefferson Clinton, genannt "Bill", äußerst erfolgreich war. Erinnern Sie sich noch an Barack Obamas Rede vor der Berliner Siegessäule? 200.000 Menschen als Zuhörer bei einer politischen Wahlkampfrede - unglaublich! Die Völker, eines George W. Bush längst überdrüssig geworden, atmeten spürbar auf. Neun Monate nach Obamas Amtsantritt schenkte ihm das norwegische Nobelpreiskomitee obendrein auch noch den Friedensnobelpreis. Wofür Obama diesen Preis erhielt, war keinem so richtig klar. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Leider. Die schier übermenschlichen Hoffnungen, die an den neuen "Messias" geknüpft wurden, sind inzwischen geplatzt wie Seifenblasen.

Geben wir es unumwunden zu: Obama ist eine Enttäuschung. Er entpuppt sich mehr und mehr als eloquenter Blender und zahnloser Tiger. Etwas, wovor Kritiker noch vor Amtsantritt gewarnt haben. Zugegeben, die Gesundheitsreform durchzuboxen war eine taktische Meisterleistung. Was er damit getan hat, können wir "sozialstaatsverseuchten" Europäer ohnehin nur schwer nachvollziehen. Aber sonst? Im Irak wird weiterhin gekämpft, wenngleich die USA ihre Kampftruppen peu à peu zurückziehen. Doch die Geheimdienstler, die Söldner der privaten Sicherheitsunternehmen und die Berater bzw. Ausbilder werden dort noch jahrelang bleiben. Der Irak-Krieg wird also bloß auf einer anderen, weniger sichtbaren Ebene weitergehen. Wann und wie der US-Präsident den Militäreinsatz in Afghanistan beendet, ist genauso offen. Ab Juli 2011 will er die Soldaten allmählich abziehen, aber kaum einer glaubt wirklich daran, dass sich die afghanische Regierung unter den jetzigen Umständen lange halten wird. Frieden in Nahost? Erfolge Fehlanzeige! Zum einzigen Lichtblick, den Revolution in den arabischen Staaten, hat er nichts beigetragen. Im Gegenteil: Als die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz den Rücktritt des ägyptischen Staatschefs Husni Mubarak verlangten, immerhin jahrzehntelang ein treuer Verbündeter der Vereinigten Staaten, wirkte die amerikanische Außenpolitik tagelang geradezu paralysiert.

Viel schlimmer ist jedoch: Guantanamo, das vergiftete Erbe der Bush-Administration, existiert fort. Gewiss, der Kongress leistet bei der Auflösung dieses Schandflecks anhaltenden Widerstand, doch die einst versprochene Auflösung des Lagers ist in weite Ferne gerückt. Stattdessen leben sogar die rechtsstaatlich höchst fragwürdigen Militärtribunale wieder auf, die weder der amerikanischen Verfassung noch internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte entsprechen. Zur kämpferischen Haltung, die Angeklagten entweder vor ein ordentliches Zivilgericht zu stellen oder bei einer Finanzierungsblockade des Kongresses kurzerhand freizulassen, konnte sich Obama nicht durchringen. Das wäre wenigstens mutig und konsequent gewesen.

Selbst die Abschaffung der Folter blieb er schuldig: Bradley Manning, dem man vorwirft, die Whistleblower-Plattform Wikileaks mit Informationen versorgt zu haben, wird unter inakzeptablen Bedingungen gefangen gehalten. "Seit Monaten ist Manning 23 Stunden am Tag in seine Zelle gesperrt. In der verbleibenden Stunde darf er in einem anderen Raum, in dem keine weitere Person anwesend ist, im Kreis gehen. (…) Ihm ist es nicht erlaubt, über Tag zu dösen oder zu entspannen, sondern er muss die Frage 'Ist alles in Ordnung?' alle fünf Minuten hörbar und bestätigend beantworten. Nachts wird er jedes Mal, wenn er seinen Rücken der Zellentür zuwendet oder wenn die Bettdecke seinen Kopf so verdeckt, dass die Wächter sein Gesicht nicht sehen können, geweckt und erneut gefragt: 'Ist alles in Ordnung?' In den vergangenen Wochen wurde er gezwungen, nackt zu schlafen und für Untersuchungen nackt vor seiner Zelle zu stehen. Auf unbestimmte Zeit wurde ihm seine Kleidung weggenommen, und er muss einen 'Kittel' tragen, was mit der Selbstgefährdung seiner Person begründet wird." [1]

Wenig kämpferisch zeigt sich der frühere Hoffnungsträger auch innenpolitisch: Der Haushalt 2011 sieht Kürzungen in Höhe von 38,5 Mrd. Dollar vor, was angesichts des enormen Haushaltsdefizits (1,6 Billionen Dollar) vielleicht noch verständlich ist. Aber: "In dem Finanzierungsplan sind Einschnitte im Gesundheitswesen, bei den Zuschüssen für die Polizeidienste der Staaten und Kommunen, bei der Umweltschutzbehörde und kommunalen Entwicklungsprogrammen vorgesehen. Der Verteidigungshaushalt wurde leicht aufgestockt und auch die Finanzierung von Fürsorgeprogrammen für Veteranen erhöht." [2] Die Steuererleichterungen für Superreiche wurden indes verlängert.

"Das ist ein Modell für die künftige Zusammenarbeit", lobte Obama den Haushaltskompromiss. Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman bezeichnet die Budgeteinigung hingegen als "eine völlige Kapitulation von Barack Obama vor den Republikanern". Sie zeige, "dass der einst gefeierte Präsident für gar nichts steht. (…) Die Haushaltsvorlage, die vergangene Woche verabschiedet und von einer ganzen Reihe durchaus seriöser Kommentatoren als 'mutig' und 'seriös' gepriesen wurde, beinhaltet wüste Kürzungen bei Medicaid und anderen Sozialprogrammen die gerade die Bedürftigsten dringend benötigen und deren Reduzierung unter anderem 34 Millionen Amerikaner um ihre Krankenversicherung bringt. Es umfasst auch die Privatisierung von Medicare, was vielen, wenn nicht gar den meisten Pensionisten die Chance auf eine leistbare Gesundheitsversorgung nimmt. Und es sieht gleichzeitig vor, die Steuern für Unternehmen und Großverdiener auf das tiefste Niveau seit dem Jahr 1931 zu senken." [3]

Mit anderen Worten: Obama ist nicht der unbeirrbare Kämpfer für das Gute, als der er sich im Wahlkampf präsentierte. Er ist vielmehr ein Papiertiger, der regelmäßig als Bettvorleger im Schlafzimmer der konservativen Republikaner landet. Der Lack ist ab, damit reißt Obama keinen mehr vom Hocker. Gleichwohl bereitet er bereits seine Wiederwahl vor. Aus seiner Sicht verständlich, doch wofür? Nun hat er in einer Grundsatzrede drastische Haushaltskürzungen angekündigt, vier Billionen Dollar sollen in den nächsten zwölf Jahren eingespart werden. Obamas Rezept: Steuererhöhungen für Besserverdienende, Einschnitte beim Verteidigungshaushalt und Reformen im Gesundheitssektor. Visionen verbreiten konnte er schon immer. Was er am Ende durchsetzt und wie stark er dafür zu kämpfen bereit ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Es ist zu befürchten, dass seine hochtrabenden Pläne abermals ausgehen wie das Hornberger Schießen. Sein einziges Plus ist wohl: Es gibt momentan bei den Demokraten weit und breit keine bessere Alternative. Wollen sie nach den desaströsen Kongresswahlen 2010 nicht auch noch das Weiße Haus verlieren, bleibt ihnen fast nicht anderes übrig, als erneut auf den gegenwärtigen Hausherrn zu setzen. Vielleicht, so das Kalkül, kann Obama mit seinen brillant vorgetragenen Visionen beim Publikum noch einmal die Flamme der Begeisterung entzünden. Wie wenig Substanz diese beinhalten ist zweitrangig, solange er nur die Präsidentschaftswahl gewinnt. Business as usual eben. Oder, um mit Obama zu sprechen: No we can't.

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[1] Die Welt-Online vom 12.04.2011
[2] Neue Zürcher Zeitung-Online vom 15.04.2011
[3] Der Standard vom 12.04.2011