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06. April 2012, von Michael Schöfer
Das ist ja schlimmer als bei der CDU


Nichts kommt in Baden-Württemberg im Koalitionsvertrag von Grün-Rot [1] häufiger vor als die Worte "sozial" und "gerecht". "Gemeinsam mit den Menschen in unserem Land wollen wir den sozialen Zusammenhalt in Baden-Württemberg auf eine neue Grundlage stellen. Mit einer engagierten Sozialpolitik werden wir dem sozialen Auseinanderdriften in unserer Gesellschaft entgegenwirken und das Ziel verfolgen, soziale Sicherheit und Teilhabe für alle zu ermöglichen. (...) Wenn ökonomische Leistungsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung gut zusammenwirken, kann unser Land Ausgangspunkt einer erneuerten sozialen und ökologischen Marktwirtschaft werden." Die Koalitionsparteien streben einen "sozialen Arbeitsmarkt" und "die Teilhabe am Erwerbsleben zu fairen Bedingungen" an. Im modernen und weltoffenen Baden-Württemberg soll es generell ökologisch und sozial gerecht zugehen. So weit die Ansprüche. Keine Frage, das sind große Worte.

Einige warten ja gespannt darauf, wann es endlich losgeht mit der sozialen Gerechtigkeit. Und andere weisen darauf hin, dass die neue Landesregierung schließlich erst seit Mai 2011 im Amt sei, dämpfen also die großen Erwartungen noch ein bisschen. Ich sage inzwischen aus meiner eigenen Erfahrung als Landesbediensteter heraus: Das ist ja schlimmer als bei der CDU. Ausgerechnet unter einem sozialdemokratischen Finanzminister und einem sozialdemokratischen Innenminister verhält sich das Land als Arbeitgeber seinen Beschäftigten gegenüber schlimmer als Schwarz-Gelb.

Was ist passiert? Es geht um die Neueinstellung von Bürokräften auf ehemaligen Schreibdienststellen. Da der Schreibdienst in der ab 1. Januar 2012 gültigen Entgeltordnung zum TV-L entfallen ist, muss die Tätigkeit der künftigen Bürokräfte neu bewertet werden. Doch obgleich das Land Baden-Württemberg den Tarifvertrag unterschrieben hat, werden die daraus resultierenden Folgen schlicht und ergreifend ignoriert. Bei der Neueinstellungen auf ehemaligen Schreibkraftstellen sieht das Innenministerium (IM) nämlich eine Verschlechterung vor, und zwar nur noch eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 2 bis 4 (bislang war es nach erfolgreichem Bestehen der Schreibprüfung Entgeltgruppe 5). Meiner Auffassung nach müsste es mindestens Entgeltgruppe 6 sein. Die Betonung liegt hierbei auf "mindestens".

Großzügigerweise will das IM eine übertarifliche Eingruppierung in Entgeltgruppe 5 gewähren. Aber nur, wenn eine bestimmte Berufsausbildung vorhanden ist: "Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft ist darüber hinaus bis auf Weiteres damit einverstanden, dass Beschäftigte in der Bürokommunikation, die ab dem 1. Januar 2012 neu eingestellt werden, in die Entgeltgruppe 5 TV-L eingruppiert werden dürfen, wenn sie über eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten einschlägigen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens drei Jahren verfügen (zum Beispiel als Fachangestellte/r für Bürokommunikation, Kauffrau/Kaufmann für Bürokommunikation, Rechtsanwaltsfachangestellte/r, Notarfachangestellte/r, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte/r, Verwaltungsfachangestellte/r)." [2] Ich bin unendlich dankbar. (Achtung: Ironie!)

Doch eine Berufsausbildung ist dort gar nicht gefordert. Und zu allem Überfluss widerspricht sich das IM sogar selbst: Die vom Innenministerium herausgegebene "Einführung in die Entgeltordnung" erläutert auf Seite 11 korrekt: "Die Entgeltgruppen 1 - 12 haben keinen Ausbildungsbezug und knüpfen ausschließlich an die auszuübende Tätigkeit an." Erst ab Entgeltgruppe 13 ist eine bestimmte Ausbildung notwendig. Weiß im IM die rechte Hand nicht was die linke tut? Das Dumme ist: Die nachgeordneten Dienststellen halten sich sklavisch an die falsche Auslegung des Innenministeriums, weshalb Personalräte neuerdings gemäß § 82 Abs. 1 Landespersonalvertretungsgesetz (Verstoß gegen einen Tarifvertrag) mit der Ablehnung der Einstellung drohen müssen. Die Mitbestimmung des Personalrats erstreckt sich hier bekanntlich auch auf die Eingruppierung.


Bloß, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Links, das ist der geizige Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte (A Christmas Carol). Rechts, das ist Finanzminister Nils Schmid
(Bildquellen: Scrooge: Wikimedia Commons, Urheber: Robert Doucette, Schmid: www.nils-schmid.de)


Ein weiteres Problem ist bereits absehbar: Früher, beim BAT, musste man für die Eingruppierung in Vergütungsgruppe VII (= Entgeltgruppe 5) eine Tätigkeit ausüben, die "gründliche und vielseitige Fachkenntnisse" erforderte. Seit 1. Januar 2012 gelten diese Merkmale im Teil I (Allgemeine Tätigkeitsmerkmale für den Verwaltungsdienst) jedoch für Entgeltgruppe 6. Mit anderen Worten: Jeder, der früher originär in BAT VII war, müsste jetzt bei gleicher Tätigkeit in die Entgeltgruppe 6 kommen. Ob das Innenministerium der Übernahme der vorhandenen Schreibkräfte auf Bürokraftstellen mit der Wertigkeit der Entgeltgruppe 6 zustimmt, steht angesichts der aktuellen Probleme bei den Neueinstellungen in den Sternen. Auch hier bin ich der Auffassung: Es müsste mindestens Entgeltgruppe 6 sein.

Sehen wir einmal darüber hinweg, dass die Auffassung des Innenministeriums eindeutig dem TV-L widerspricht, so ist Folgendes festzustellen: Ausgerechnet unter einem sozialdemokratischen Finanzminister und einem sozialdemokratischen Innenminister würde das Ansinnen des IM zu einer drastischen Absenkung des Gehaltsniveaus im öffentlichen Dienst führen. So eine unsoziale Frechheit hat sich nicht einmal die CDU herauszunehmen gewagt. Die CDU hat sich hartnäckig gegen Verbesserungen bei den Landesbediensteten gesträubt, die SPD will ihnen sogar etwas wegnehmen. Von Stillstand ist folglich keine Rede mehr, jetzt geht es um Reduzierungen. Und wir reden hier um Einstiegsgehälter in Höhe von rund 1.900 Euro. Brutto, wohlgemerkt. Da spürt man 100 oder 200 Euro weniger in der Tasche deutlich.

Ausgerechnet die, die sich im Koalitionsvertrag in jedem zweiten Satz die Worte "sozial" und "gerecht" an die Fahne heften, handeln den eigenen Beschäftigten gegenüber höchst unsozial und höchst ungerecht. Sind das etwa "faire Bedingungen"? Nein! Das ist vielmehr, mit Verlaub, eine riesige grün-rote Heuchelei. Und die Beschäftigten, die sich vom Regierungswechsel eine Änderung zum Positiven versprachen, sind angesichts der beabsichtigten Verschlechterungen bitter enttäuscht. Eigentlich hätte man von der Sozialdemokratie annehmen können, dass sie wenigstens sozial ist. Pustekuchen! Die Realität sieht bedauerlicherweise ganz anders aus.

Wissen Sie, was "RINO" bedeutet? Das ist die Abkürzung für "Republican In Name Only". So bezeichnen konservative amerikanische Republikaner Parteigenossen, denen sie eine liberale Haltung unterstellen. Republikaner nur dem Namen nach. Übertragen auf die hiesigen Verhältnisse: Muss man Reinhold Gall und Nils Schmid als "SINO" titulieren? (Socialdemocrat In Name Only, Sozialdemokrat nur dem Namen nach) Ich hoffe nicht. Aber was mir zu einer anderen Bewertung fehlt sind Taten, große Worte im Koalitionsvertrag allein sind zu wenig.

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[1] Bündnis 90 / Die Grünen Baden-Württemberg, PDF-Datei mit 1,2 MB
[2] Schreiben des Innenministeriums vom 28.11.2011