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29. April 2012, von Michael Schöfer
Kapitale Eigentore


Kristina Schröder, das ist unsere Bundesfamilienministerin (für diejenigen, die es immer noch nicht wissen, die Gute soll ja in der Bevölkerung weithin unbekannt sein), spricht sich mit Nachdruck gegen eine verbindliche Frauenquote in der Wirtschaft aus. Sie geht sogar so weit, diese Sachfrage mit ihrem Amt zu verbinden: "So lange ich Ministerin bin, wird es keine starre Quote geben." [1] Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn die Quote kommt, muss Schröder, sofern sie ihr Gesicht wahren will, gehen. Ob sie dadurch, wie weiland Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die 1995 wegen der Haltung ihrer Partei zum Großen Lauschangriff als Bundesjustizministerin zurücktrat, Statur gewinnt, wird man sehen. Vielleicht sind nicht wenige froh, Kristina Schröder dadurch auf elegante Art loswerden zu können.

Dass sich die CDU-Politikerin gerne am Feminismus abarbeitet, zuletzt in ihrem Buch "Danke, emanzipiert sind wir selber!", ist dabei eher nebensächlich. Echtes Gewicht hätte sie bekommen, wenn sie sich ultimativ gegen die Anrechnung von Kindergeld, Elterngeld und dem geplanten Betreuungsgeld aufs Arbeitslosengeld II (vulgo Hartz IV) ausgesprochen hätte. Aber hier hat Schröder bislang jämmerlich versagt. Mit anderen Worten: Als zuständige Ministerin könnte sie sich an dieser Stelle wirkungsvoll gegen Kinderarmut einsetzen. Allerdings: Fehlanzeige! "Nicht die materielle Armut, sondern die Bildungsarmut ist die schlimmste Form der Kinderarmut", bemerkt sie lapidar. [2] Aha. Nun, normalerweise hat das eine etwas mit dem anderen etwas zu tun.

Wie auch immer, zwei kapitale Eigentore hat sie jedoch mit ihrem engstirnigen Beharren auf der Extremismusklausel und der Verweigerung von "Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes" für die Jugendorganisation der Linkspartei (Linksjugend Solid) geschossen:

Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ) aus Pirna wehrte sich vor Gericht erfolgreich gegen die Extremismusklausel (euphemistisch: Demokratieerklärung). "Der Text der Klausel sei rechtswidrig. Er sei diffus. Wer überhaupt seien Projekt-'Partner', und wie sollten Initiativen deren Gesinnung überprüfen", urteilte das Verwaltungsgericht in Dresden. [3] "Steffen Richter, Vorsitzender des AKuBiZ e.V.: 'Bei aller Freude über das Urteil, so ist es traurig, dass wir es überhaupt erstreiten mussten. Die Extremismusklausel ist eine aktive Behinderung der wichtigen Arbeit gegen Rechts vor Ort. Die Auffassung des Gerichts bestätigt, dass Demokratiearbeit nicht mit Misstrauen begegnet werden darf.' (…) Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung zur heutigen Verhandlung: 'Das Urteil bestätigt unsere Auffassung, dass solche Staatsbekenntnisse und Bespitzelungsaufforderungen nicht rechtskonform sind.'" [4] Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) fügte süffisant hinzu: "'Offenkundig bedarf es der Gerichte, um Kristina Schröder auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuzwingen. Nicht die von ihr gegängelten Bürger haben ein Problem mit unserer Verfassung, sondern ganz offenbar hat Kristina Schröder selbst Geist und Grundwerte des Grundgesetzes nicht begriffen.' Die Klausel sei 'ein sicheres Mittel, nicht nur junge Menschen von demokratischem Engagement abzuhalten'." [5]

Kristina Schröder steht nun ganz schön belämmert da. Sie, die stets ostentativ aufs Grundgesetz pocht, steht womöglich selbst neben der Verfassung. Mit der Extremismusklausel hat sie nicht nur der Gesinnungsschnüffelei Vorschub geleistet, sondern - viel schlimmer - einen Generalverdacht gegen zahlreiche engagierte Menschen und Organisationen ausgesprochen. Solche "schriftlichen Bekenntnisse" ist man eigentlich nur von Diktaturen gewohnt. Die Verbohrtheit, die Schröder den Feministinnen vorwirft, ist ihr also keineswegs fremd.

Das Grundgesetz spielt auch beim zweiten Eigentor eine entscheidende Rolle: Die Verfassungstreue von Solid stehe in Frage, ergo könne die Jugendorganisation der Linkspartei keine dem Grundgesetz förderliche politische Bildungsarbeit gewährleisten. So jedenfalls die Haltung der Ministerin. "Die Förderung eines demokratischen Wertebewusstseins und Verhaltens als Beitrag zur Sicherung der demokratischen Grundlagen des Gemeinwesens ist eine wesentliche Aufgabe bei der Gestaltung der programmspezifischen Angebote. Kinder und Jugendliche sollen befähigt werden, sich an der Gestaltung des sozialen Zusammenlebens und politischer Prozesse zu beteiligen. Ihnen soll Gelegenheit gegeben werden, in demokratischer und sozial verantwortlicher Weise ihre Interessen in institutionelle und informelle Formen der Beteiligung einzubringen", heißt es nämlich in den "Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen und Leistungen zur Förderung der Kinder- und Jugendhilfe durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP)". [6]

Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat offengelassen, ob Solid verfassungstreu ist oder nicht. "Es stellte vielmehr fest, dass die bisherigen Zuwendungen an die Junge Union, die Jusos, Junge Liberale und Grüne Jugend rechtswidrig waren, weil ihnen die gesetzliche Grundlage fehlte. (…) Die finanziellen Zuwendungen an die Jugendorganisationen könnten nicht einfach - wie bislang - auf Grundlage des Haushaltsgesetzes von 2006 erfolgen, in dem die entsprechenden Mittel für den Kinder- und Jugendplan des Bundes ausgewiesen sind, erläuterte der Vorsitzende Richter. Staatliche Zuwendungen an parteinahe Institutionen müssten vielmehr gesetzlich geregelt sein. Und parteinah seien alle infragestehenden Jugendorganisationen, befand das Gericht. Mithin handele es sich um eine 'verdeckte Parteienfinanzierung'." [7] Schockschwerenot! Die Jugendorganisationen sämtlicher Parteien könnten demnächst, sofern das Urteil Bestand hat, wegen Kristina Schröders eigenwilliger Verfassungsinterpretation ohne staatliche finanzielle Zuwendungen dastehen. Das wäre dann für die Bundesfamilienministerin ein klassischer Pyrrhussieg. Insbesondere die Junge Union wird ihr das gewiss ewig danken.

0:2 steht es aus der Sicht der Ministerin. 0:3, wenn man ihren angekündigten Rücktritt in puncto Frauenquote berücksichtigt. Das ist weder Champions League noch Bundesliga, das ist bestenfalls Dritte Liga. Kristina Schröder mag sich als Philipp Lahm fühlen, ist aber eher als Nicolas Roth einzustufen. Nicolas Roth? Das ist ein junger Nachwuchsspieler des SV Wehen Wiesbaden. Dort, wo Kristina Schröder herkommt.

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[1] Die Zeit-Online vom 15.04.2012
[2] Website von Kristina Schröder, "Faire Chance für jedes Kind" vom 16.11.2010
[3] Frankfurter Rundschau vom 27.04.2012
[4] Gemeinsame Pressemitteilung von AKuBiZ e.V. / Amadeu Antonio Stiftung / BAGD / BAGKR
[5] Frankfurter Rundschau vom 27.04.2012
[6] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, PDF-Datei mit 703 kb
[7] Frankfurter Rundschau vom 14.03.2012