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18. Juli 2012, von Michael Schöfer
Grundlegendes Missverständnis


Fifa-Präsident Sepp Blatter ist wegen angeblicher Mitwisserschaft über millionenschwere Schmiergeldzahlungen schwer in Bedrängnis geraten. Seine früheren Kollegen João Havelange und Ricardo Teixeira sind nachweislich der Korruption überführt, und Blatter habe darüber von Anfang an Bescheid gewusst. Der Fifa-Präsident wehrt sich mit dem Argument, "die Zahlungen der Marketingfirma ISL an die Funktionäre seien zur damaligen Zeit (2001) kein Vergehen gewesen." [1] So kann man es natürlich auch sehen: Wenn überhaupt, dann allenfalls unmoralisch, aber zum Glück nicht strafbar.

"Der heute 96 Jahre alte Havelange, der von 1974 bis 1998 FIFA-Boss war, kassierte im März 1997 1,5 Millionen Schweizer Franken (rund 1,25 Millionen Euro). Der ehemalige brasilianische Verbandschef Teixeira erhielt zwischen August 1992 und November 1997 mindestens 12,74 Millionen Schweizer Franken (rund 10,6 Millionen Euro)." [2] Insgesamt sind den Unterlagen zufolge 160 Mio. Schweizer Franken an "Provisionszahlungen" geflossen, als Empfänger sind bislang allerdings nur Havelange und dessen Schwiegersohn Teixeira bekanntgeworden.

Die Empörung ist verständlicherweise groß, beruht aber auf einem grundlegenden Missverständnis. Und zwar dem, dass es beim Profisport tatsächlich um Sport gehe. Richtig ist vielmehr, dass es beim Profisport hauptsächlich um Geld geht. Der Sport ist dabei bloß Nebensache. Einen interessanten Einblick in die wahren Hintergründe gewährte uns zuletzt der Ex-BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky, der kürzlich wegen Annahme von Bestechungsgeld zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er gestand, von Formel-1-Impressario Bernie Ecclestone rund 44 Millionen Dollar Schmiergeld angenommen zu haben. "Der Rennzirkus ist vollkommen unerheblich. Das eigentlich Interessante an der Formel 1 ist die Möglichkeit, unheimlich viel Geld zu generieren", bekundete Gribkowsky vor Gericht. [3] Wie bitte, das Renngeschehen ist vollkommen unerheblich? Ja, denn an dessen Relevanz glauben in Wahrheit nur noch Fans, die zu den Rennstätten pilgern, daheim stundenlang vor der Glotze sitzen und übers unvermeidliche Merchandising abgezockt werden. Was glauben Sie, wie viele "Michael Schumacher-Ferrari-Mützen" zu dessen Glanzzeit über die Ladentheke gingen? Bestimmt etliche Millionen.

Das Gleiche dürfte für den Fußball gelten. Wichtig sind die Spiele doch nur für die Zuschauer in den Stadien oder daheim vorm Fernsehschirm, für alle anderen Beteiligten - inklusive der Sportler - stehen vermutlich (siehe oben) eher pekuniäre Interessen im Vordergrund. Ich will gar nicht ausschließen, dass die Verantwortlichen die Zuschauer, die etwa alljährlich an den Straßenrändern der rollenden Apotheke (Tour de France) zujubeln, insgeheim herablassend als "Deppen" bezeichnen. Denn obgleich die Verachtung der Pedalritter für die Zuschauer durch den permanenten Doping-Betrug evident ist, kommen die unbeirrt immer wieder aufs Neue. In Anbetracht der Milliardensummen, um die es beim Sport geht, kann einem schwindelig werden: Allein die USA-Fernsehrechte an der Übertragung der Olympischen Spiele 2012 kosteten 1,18 Mrd. US-Dollar, für die Europa-Übertragungsrechte gingen 570 Mio. US-Dollar (+ plus 200 Mio. Sponsorbeitrag) über den Tisch. [4] Auch künftige Spiele sind bereits vermarktet: "Das Internationale Olympische Komitee verkaufte seine USA-Fernsehrechte für die Spiele 2014, 2016, 2018 und 2020 für 4,382 Milliarden Dollar." [5]

Selbstverständlich holen die Fernsehsender das Geld wieder herein, beispielsweise bietet das ZDF seine Werbeeinblendungen während der Olympiade so an: "Die Olympischen Spiele 2012 finden vom 27. Juli bis 12. August 2012 in London statt. 17 Tage lang berichten ARD und ZDF mit insgesamt mehr als 250 Stunden Spitzensport vom größten Sportereignis der Welt. Das ZDF bietet Olympia zur besten Werbezeit. Dass die Spiele der XXX. Olympiade von besonders großem Interesse sein werden ist kein Geheimnis, da es sich hierbei um eines der faszinierendsten und reichweitenstärksten Events in Deutschland handelt. Ca. 80 % der deutschen TV-Zuschauer verfolgen regelmäßig die Übertragungen der Olympischen Spiele - um nur einen Wert zu nennen. Profitieren Sie mit Ihrer Marke von diesem emotionalen und an Spannung kaum zu übertreffenen Sportumfeld - bereits ab 375 € (pro Sekunde). Neben den klassischen Werbemöglichkeiten steht Ihnen auch ein leistungsstarkes Solospotpaket mit 28 Schaltungen à 30 Sekunden zur Verfügung. Riskieren Sie keinen Fehlstart und werfen Sie gleich einen Blick in unser Angebot." [6]

Es ist deshalb wohl in der Tat nebensächlich, wer gewinnt oder verliert. Hauptsache, die Zuschauer sitzen "zur besten Werbezeit" vor der Glotze und sind für die dort angepriesenen Produkte empfänglich. Man könnte sogar behaupten, es gebe keine Werbung zur Olympiade, sondern sozusagen ein bisschen Olympiade zur Werbung. Geld regiert die Welt, das ist eine keineswegs neue Erkenntnis. Ebenso wenig, dass dort, wo das Geld regiert, die Korruption nicht allzu weit entfernt ist. Nur der depperte Fan wandert fähnchenschwingend treu und brav ins Stadion, um für horrende Eintrittspreise seinen Helden zuzujubeln. Und selbst deren Jubelszenen sollen inzwischen einstudiert sein. Dem Zuschauer wird eine glanzvolle Fassade präsentiert, um dahinter die Milliardensummen zu verbergen, um die es wirklich geht. Mehr Schein als Sein. Profisport ist mittlerweile zum reinen Business mutiert, an den Sport glauben indes nur noch die einfältigen Charaktere, die freilich sehr zahlreich sind (sonst würde es sich auch kaum rentieren). Es geht nicht mehr wie einst, falls es darum überhaupt jemals ging, um Ruhm und Ehre, es geht lediglich um den schnöden Mammon. Weder die Sportler noch die Vereine, die Fernsehanstalten, die Sportartikelhersteller oder die Sportfunktionäre haben ein Interesse daran, dieses grundlegende Missverständnis aufzuklären. Logisch, schließlich profitieren sie am meisten davon. Die Illusion lebt nur fort, weil naturgemäß keiner aus dem lukrativen Kartell ausscheren möchte. So ist Fußball vielleicht nicht die schönste Nebensache, sondern bestenfalls das schönste Missverständnis der Welt.

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[1] Süddeutsche vom 17.07.2012
[2] Focus-Online vom 12.07.2012
[3] Die Welt-Online vom 20.06.2012
[4] RP-Online
[5] news.de vom 08.06.2011
[6] ZDF