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02. September 2012, von Michael Schöfer
Die Parallelen sind unverkennbar


Jacob Zuma, der Präsident der Republik Südafrika, ist im Alter von 17 Jahren dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) beigetreten, der damals gegen das rassistische Apartheid-Regime kämpfte. Er wurde 1963 verhaftet und saß, wie die Ikone des ANC, Nelson Mandela, im Gefängnis auf Robben Island. Nach seiner Freilassung ging er in den Untergrund und anschließend ins Exil. Zuma hätte also allen Grund, die brutalen Methoden des Apartheid-Regimes zu verabscheuen. Dennoch hat die südafrikanische Polizei vor kurzem an streikenden Bergarbeitern ein furchtbares Massaker angerichtet: In Marikana wurden 34 Kumpel erschossen. Das hätte Pieter Willem Botha, einer der schlimmsten Rassisten in den Reihen der früheren Regierungen, nicht besser gekonnt. Zugegeben, vielleicht doch ein bisschen "besser": 1960, Botha war seit zwei Jahren stellvertretender Innenminister, kamen beim Massaker in Sharpeville 69 Demonstranten ums Leben. Viele wurden seinerzeit, wie beim Massaker am 16. August 2012, von hinten erschossen. Die Parallelen sind unverkennbar.

Nun könnte man einwenden, das Marikana-Massaker habe Zuma gar nicht gewollt. Das ist vermutlich sogar wahr. Und die Staatsanwaltschaft hat inzwischen bereits Mord-Anklage erhoben. Der Vorwurf an die Justiz, sie wolle den Lauf der Gerechtigkeit behindern, ist daher nachweislich falsch. Allerdings hat das Ganze einen klitzekleinen Haken: Die Mord-Anklage richtet sich nicht gegen die schießwütigen Polizisten, sondern kurioserweise gegen die überlebenden Bergarbeiter. "Grundlage ist ein Gesetz aus der Apartheidzeit, das damals häufig gegen schwarze Freiheitsaktivisten angewandt wurde, sobald Demonstrationen gegen die Apartheid in Gewalt umschlugen: Der Vorwurf lautet, sie hätten sich mit den angeblichen Tätern in der Menge solidarisiert und seien demnach wegen eines 'gemeinschaftlichen Vorsatzes' für deren Tod mitverantwortlich." Die "Mordopfer sind selber schuld", stellt die taz verblüfft fest. [1] Unfassbar. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft spottet jeder Beschreibung.

Dass 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid so ein Gesetz überhaupt noch existiert, ist erstaunlich. Der ehemalige Widerstandskämpfer ist drauf und dran, das Renommee des ANC zu ruinieren und das Erbe von Nelson Mandela zu verspielen. Noch erstaunlicher: Cyril Ramaphosa, der 1982 die National Union of Mineworkers (Gewerkschaft der Minenarbeiter) gründete und von 1991 bis 1996 Generalsekretär des ANC war, soll mittlerweile über ein Vermögen von 275 Mio. Dollar verfügen. Ramaphosa ist heute als Manager tätig - u.a. für Lonmin, das britische Bergbauunternehmen, dem die Mine in Marikana gehört. Und er ist nicht der einzige ehemalige Widerstandskämpfer, der unterdessen zu sagenhaftem Reichtum gekommen ist, während die Masse der schwarzen Südafrikaner nach wie vor darben muss.

Das rassistische Apartheid-System ist zwar längst Geschichte, doch hat das bislang an der tiefen Kluft zwischen Arm und Reich nicht allzu viel geändert. Der weißen Oberschicht hat sich jetzt bloß eine schwarze Oberschicht hinzugesellt. Wenn diese strukturelle Ungleichheit nicht beseitigt wird, bekommt die Regenbogennation demnächst wohl noch größere Probleme mit der zu Recht ungeduldigen Unterschicht. Und da der ANC heute zum Establishment gehört, dürfte sich die Radikalisierung gegen die Nachfolger von Nelson Mandela, Walter Sisulu und Oliver Tambo richten. Die Erkenntnis ist keineswegs neu: Es ist vollkommen nutzlos, wenn in den Villengegenden nur andere Bewohner einziehen, solange die Hütten der Armen fortbestehen. Anders ausgedrückt: Es geht darum, die Verhältnisse zu ändern, nicht darum, lediglich die Eliten auszutauschen.

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[1] taz vom 31.08.2012