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13. Januar 2013, von Michael Schöfer
Kein Glück bei der Personalauswahl


Viel Glück mit ihrem Spitzenpersonal hat die SPD nicht. Nach dem charismatischen Willy Brandt verwaltete der nüchterne Realpolitiker Helmut Schmidt das Erbe der Sozialdemokratie. Und das keineswegs schlecht, wie man angesichts der widrigen Umstände (mitten in der Umbruchphase nach der ersten Energiekrise Anfang der siebziger Jahre) neidlos anerkennen muss. Aber er war eben bloß ein Verwalter, die Visionäre, etwa Erhard Eppler, gingen unter oder wurden vertrieben. Ohne Helmut Schmidt mit seiner Rüstungs- und Energiepolitik (Nato-Nachrüstung, Pro-Atomkraft-Kurs) hätte es die Grünen womöglich nie gegeben. Dass der Meister der Klarsichtfolien, Hans-Jochen Vogel, gegen die geistig-moralische Wende Helmut Kohls wenig ausrichten konnte, war nicht die Schuld Vogels. Er stand von vornherein auf verlorenem Posten. Johannes Rau ("Versöhnen statt spalten") war wohl zu pastoral, und Oskar Lafontaine kamen die "blühenden Landschaften" dazwischen, sonst hätte er vielleicht gegen den "Kanzler der Einheit" gewonnen. Rudolf Scharping trug wenigstens zur Erheiterung bei, das war aber schon das Beste, was man von ihm behaupten konnte. Indes: Alles Schnee von gestern.

Richtig gefunkt zwischen dem Wahlvolk und einem sozialdemokratischen Spitzenpolitiker hat es zuletzt 1998, als Gerhard Schröder Kanzler wurde. Wahlkampfwerbung: "Deutschland braucht eine neue Politik für Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit." Innovativ beim "Genosse der Bosse", der mit Brioni-Anzügen und Cohiba-Zigarren Eindruck schinden wollte, war jedoch lediglich dessen Agenda-Politik (Hartz IV, Ausbau des Niedriglohnsektors etc.). Allerdings war sie auch ungerecht, weshalb erneut, wie seinerzeit unter Helmut Schmidt, relevante Teile der SPD für immer Adieu sagten. Die Westausdehnung der PDS wäre ansonsten schon im Ansatz gescheitert. Der Absturz beim Wählerzuspruch (von 40,9 % im Jahr 1998 auf 34,2 % im Jahr 2005) beendete Schröders Experiment, Gerechtigkeit neu zu definieren ("In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt"). Seitdem wurden die Sozialdemokraten gnadenlos nach unten durchgereicht: Frank-Walter Steinmeier fuhr 2009 mit 23 % das schlechteste Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik ein, wurde aber dennoch auf einer bizarren Wahlparty in der Berliner Parteizentrale frenetisch gefeiert und rief sich zudem selbst als Oppositionsführer aus. Realitätsverlust 2.0! Wenigstens beherzigte Steinmeier die Weisheit "Man kann nicht zweimal mit demselben Kopf durch dieselbe Wand" und ging nicht erneut als Kanzlerkandidat ins Rennen.

Jetzt muss die SPD mit dem im Hinterzimmer auserkorenen Peer Steinbrück leben, der bislang vor allem mit üppigen Vortragshonoraren und dem Jammern über das vermeintlich magere Kanzlergehalt glänzte. Ohne Not übrigens, von wegen Medien-Kampagne, denn die Frankfurter Allgemeine hatte ihn gar nicht explizit nach dem Kanzlergehalt gefragt:

Frage: "Gerhard Schröder wollte nach dem Ende seiner Kanzlerschaft mal richtig Geld verdienen. Hatten Sie nach dem Ende Ihrer Ministerzeit auch so ein Gefühl?"
Steinbrück: "Nein. Dieses Gefühl gab es nie. Im Übrigen finde ich allerdings, dass manche Debatte über die Bezahlung unserer Abgeordneten bis hin zur Spitze der Bundesregierung sehr schief ist. Nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdient mehr als die Kanzlerin." [1]

Er hätte nach "Nein. Dieses Gefühl gab es nie" einfach die Klappe halten sollen. Ein dummer Anfängerfehler also. Zu allem Überfluss wollte Steinbrück angeblich einst selbst Präsidenten des Sparkassenverbandes in Schleswig-Holstein werden (was freilich misslang). Zwangsläufige Folge: Dramatischer Absturz in den Umfragewerten. Ist jemand, der keinem Fettnapf ausweichen kann, wirklich zum Kanzler geeignet? Die SPD ist konsterniert, darf es aber nicht zeigen. Die Mutlosen müssen vielmehr Optimismus vorgaukeln. Die Partei hat ohnehin furchtbar viel Pech mit der Auswahl des Führungspersonals, da läuft etwas seit Jahrzehnten gründlich schief. Walter Riester trägt das Kainsmal "Totengräber der gesetzlichen Rente" auf der Stirn, Wolfgang Clement hat inzwischen sogar Ursula von der Leyen rechts überholt, Thilo Sarrazin wiederum genießt bei Rechtsradikalen Kultstatus. Alles ehedem Sozialdemokraten in herausgehobener Stellung. Und jetzt entpuppt sich obendrein Steinbrück ("Deutschland braucht wieder mehr 'wir' und weniger 'ich'!") als Gierschlund. Gewiss, alles vollkommen legal, doch unter sozialdemokratischer Aura versteht man gemeinhin etwas anderes. Was soll der hart arbeitende Durchschnittsverdiener vom Einkommensmillionär Steinbrück halten? Von den Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor ganz zu schweigen.

Das kommt davon, wenn Politik nur noch inszeniert wird. Altkanzler Helmut Schmidt lobte Steinbrück über den grünen Klee ("Er kann es") und hievte ihn erfolgreich auf die Position des SPD-Kanzlerkandidaten, doch bei der Inszenierung war noch nicht einmal das Schachbrett richtig aufgebaut [2], das Ganze mithin nur Show fürs Publikum. Da braucht sich niemand zu wundern, wenn sich das Führungspersonal am Ende ebenfalls als substanzlos erweist. Und dass die Wählerinnen und Wähler dahinter substanzlose Politik vermuten, dürfte ebenso wenig überraschen. Es ist echt ein Drama. Das Dumme ist, die SPD lernt überhaupt nichts aus ihren fatalen Missgriffen. Eine, die sich darüber bestimmt spitzbübisch freut, ist Angela Merkel. Besser könnte es für sie momentan gar nicht laufen - wenn bloß diese vermaledeite FDP nicht wäre...

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[1] FAZ.Net vom 29.12.2012
[2] DRadio Wissen vom 31.10.2011