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02. Februar 2013, von Michael Schöfer
Wozu braucht Deutschland Kampfdrohnen?


Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) will die Bundeswehr mit Kampfdrohnen ausrüsten, er begründet dies mit dem Schutz der Soldaten. Außerdem könne man mit ihnen Ziele präziser als bisher bekämpfen, was Unbeteiligte angeblich weniger gefährde. "Ich halte den Einsatz von Drohnen ethisch und unter Einhaltung der bestehenden Regeln für richtig", bekundet der Minister. [1]

Die Aufklärungsdrohne Global Hawk erreicht eine Dienstgipfelhöhe von 20 km und hat bei einem 24-stündigen Aufenthalt im Zielgebiet einen Einsatzradius von ungefähr 5.500 km (= Luftlinienentfernung zwischen Berlin und der indischen Hauptstadt Neu Delhi). Sie kann bis zu 36 Stunden in der Luft bleiben und besitzt eine Überführungsreichweite von 25.015 km (das ist die Stecke Berlin-Santiago de Chile hin und zurück). Kampfdrohnen leisten diesbezüglich zwar etwas weniger, verfügen aber dennoch über ein beachtliches Leistungsspektrum. So kann zum Beispiel die MQ-9A Reaper 30 Stunden lang in der Luft bleiben und dabei aus einer Höhe von bis zu 15,4 km ihr Zielgebiet abdecken, der Einsatzradius der Drohne beträgt 3.065 km (= Luftlinienentfernung zwischen Berlin und Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan).

Zum Vergleich: Das modernste deutsche Kampfflugzeug, der Eurofighter, hat einen durchschnittlichen Treibstoffverbrauch von 3.500 kg pro Stunde, da es jedoch nur über eine Treibstoffkapazität von 4.996 kg verfügt, kann es - ohne in der Luft nachzutanken - gerade mal knapp eineinhalb Stunden in der Luft bleiben (bei forciertem Einsatz deutlich weniger). [2] Der Einsatzradius des Eurofighters beträgt bei Verwendung von externen Zusatztanks 1.389 km (= Luftlinienentfernung zwischen Berlin und Andorra, dem Kleinstaat an der spanisch-französischen Grenze).

Kampfdrohnen sind zudem wesentlich kostengünstiger als Kampfflugzeuge. Der Stückpreis des "nackten" Eurofighters (ohne Wartungsverträge und Sonderausstattung) liegt bei 57 Mio. Euro, der Stückpreis der MQ-9 Reaper beträgt dagegen 27 Mio. Euro, also knapp die Hälfte (der Treibstoffverbrauch ist 60mal niedriger). Die MQ-1 Predator ist mit 3 Mio. fast schon ein Schnäppchen. Ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor: Die Ausbildung eines Eurofighter-Jetpilots der Bundeswehr dauert - abhängig von der Studiendauer - bis zu 90 Monate und kostet 5 Mio. Euro. [3] Die Ausbildung zum Drohnenpilot dauert dagegen nur wenige Wochen und kostet in den USA lediglich 135.000 Dollar (ca. 100.000 Euro). [4]

Doch die Kostenfrage darf selbst bei knappen Haushaltskassen nicht die dominierende Rolle spielen, viel wichtiger ist die militärische, politische und juristische Einordnung. Drohnen sind faktisch nur in asymmetrischen Kriegen verwendbar (Auseinandersetzung zwischen Parteien, die waffentechnisch, organisatorisch und strategisch stark unterschiedlich ausgerichtet sind), da sie durch eine funktionierende Luftabwehr respektive gegnerische Luftwaffe leicht auszuschalten sind. Verfügen Gegner, wie etwa die Taliban in Afghanistan, bloß über begrenzte militärische Mittel, sind Kampfdrohnen jedoch äußerst wirkungsvolle und nahezu unverwundbare Einsatzmittel. Außerdem üben sie eine nicht zu vernachlässigende psychologische Wirkung aus, da die allgegenwärtige Gefahr einer vom Boden aus praktisch unsichtbaren Kampfdrohne enorme Unsicherheit erzeugt. Feinde können sich vor ihr niemals in Sicherheit wiegen - weder im Freien noch in Gebäuden oder Fahrzeugen, weder am Tag noch in der Nacht.

Deshalb lautet die naheliegende Frage, auf welche asymmetrischen Kriege sich die Bundeswehr gerade vorbereitet, wenn sie die Anschaffung von Kampfdrohnen in Erwägung zieht. Der Abzug in Afghanistan ist ja längst beschlossene Sache, dafür kämen noch zu entwickelnde deutsche oder europäische Drohnen zu spät. Durch die Verfügbarkeit von Kampfdrohnen sinkt naturgemäß die Schwelle, einen solchen asymmetrischen Krieg auch tatsächlich zu führen. Die Bundeswehr könnte unter Umständen, je nach Einsatzgebiet, ihre Drohnen bequem von zu Hause aus in den Kampf schicken. Logistische Unterstützung vor Ort: überflüssig. Sollte die deutsche Kampfdrohne ähnliche oder gar bessere Leistungsdaten aufweisen wie die MQ-9A Reaper, wäre theoretisch vom Bundesgebiet aus die gesamte Mittelmeerküste Afrikas oder des Nahen Ostens in Reichweite (von Berlin aus sind es nach Kairo 2.893 km, nach Tripolis 2.187 km, nach Rabat 2.615 km und nach Damaskus 2.795 km).

Der Bundesverteidigungsminister will uns weismachen, Kampfdrohnen wären zu chirurgischen Schlägen imstande, dem widerspricht aber die Praxis des amerikanischen Drohnenkrieges: In Pakistan sollen zwischen 2004 und 2013 bei insgesamt 362 Luftschlägen 2.629 bis 3.461 Menschen getötet worden sein, darunter 475 bis 891 Zivilisten und 176 Kinder. Im Jemen schätzt man die Zahl der Getöteten für den Zeitraum von 2002 bis 2013 auf 374 bis 1.112, darunter 72 bis 178 Zivilisten und 27 bis 37 Kinder. In Somalia gab es zwischen 2007 und 2013 angeblich 58 bis 170 Getötete, 11 bis 57 Zivilisten und 1 bis 3 Kinder. [5] Unbeteiligte werden also recht häufig durch Drohneneinsätze getötet (in Pakistan sollen 16 Prozent der Getöteten Zivilisten sein) [6], die Fähigkeit zu chirurgischen Schlägen ist demzufolge nichts anderes als ein Ammenmärchen. Die übliche Kriegspropaganda eben, die zivile Opfer gerne euphemistisch zu "Kollateralschäden" herabwürdigt.

Was aber noch viel schwerer wiegt: Die USA haben keinem dieser Staaten den Krieg erklärt (umgekehrt ebenso wenig), die außergerichtlichen Tötungen widersprechen daher zweifelsfrei den Regeln des Völkerrechts. Von den Zivilisten einmal abgesehen: Einen Terrorverdächtigen auf diese Art und Weise zu töten, ist schlicht und ergreifend illegal. Nach unseren Rechtsprinzipien sind nämlich Verdächtige zunächst anzuklagen und ggf. - sofern sie wirklich schuldig sind - von einem ordentlichen Gericht auf der Grundlage von stichhaltigen Beweisen und gültigen Gesetzen zu verurteilen. Hier maßt sich freilich die amerikanische Regierung an, Ankläger, Richter und Henker in einem zu spielen. Der Friedensnobelpreisträger entscheide höchstpersönlich über die Tötungen, schreibt die New York Times. Und das obendrein auf einer dubiosen, weil streng geheimen Grundlage. Ob ein Terrorverdächtiger überhaupt zu Recht auf der Abschussliste steht, kann niemand überprüfen. Die Auswahlkriterien sind unbekannt. Und die Justiz kommt beim US-Drohnenkrieg gar nicht erst ins Spiel.

Eigentlich wäre schon George W. Bush ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gewesen, im Grunde müsste sich auch sein Nachfolger Barack Obama vor den Richtern verantworten. Aber der IStGH wird von den Vereinigten Staaten nicht anerkannt, sondern sogar bekämpft. Von einem Folterstaat (ja, so tief ist das "Land der Freien" inzwischen herabgesunken) war im Grunde ohnehin nichts anderes zu erwarten. In den sechziger Jahren warfen Kriegsgegner dem damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson die Frage "Hey, hey, LBJ, how many kids did you kill today?" an den Kopf (dt. Hey hey, LBJ, wie viele Kinder hast du heute umgebracht?). Lapidare Feststellung: Obama tötet ebenfalls Kinder.

Derartige Exzesse sind bei asymmetrischen Kriegen eher die Regel als die Ausnahme, weil die unterlegene Seite stets versucht, sich - getreu der These des Massenmörders Mao Zedong - im Volk wie ein Fisch im Wasser zu bewegen. Guerillataktik nennt man das. Die offene Feldschlacht würde für die Islamisten in einem wahren Fiasko enden, weshalb sie den Selbstmordattentäter als ihre wirkungsvollste Waffe kultiviert haben. Ihr Eurofighter ist der unter ganz normaler Kleidung versteckte Sprengstoffgürtel. Das macht sie für hochgerüstete Armeen so schwer von Zivilisten unterscheidbar. Unabwendbare Folge: hohe Verluste bei Frauen, Alten, Kindern sowie unbeteiligten Männern. De Maizières Drohnenkrieger würden unweigerlich, wie die Amerikaner, vor dem gleichen Dilemma stehen.

Wer Kampfdrohnen fordert, nimmt all das sehenden Auges in Kauf. Wer wird de Maizière die Legende vom sauberen Drohnenkrieg abkaufen? Hoffentlich niemand. Der amerikanische Drohnenkrieg ist schmutzig, kann der deutsche trotzdem sauber bleiben? Wohl kaum (genaugenommen ist Krieg niemals sauber, das Töten folgt nur mal mehr, mal weniger den für alle verbindlichen Regeln). Das Kalkül des Verteidigungsminister: Die Bundeswehr soll beim Wandel von der Territorialarmee zur Einsatzarmee mithilfe der Kampfdrohnen die nächste Eskalationsstufe erklimmen. De Maizière sollte dem Volk offen sagen, dass die Bundesrepublik künftig noch häufiger in militärische Auseinandersetzungen verwickelt sein wird. Nach 1945 hat sich Deutschland verständlicherweise aus den bitteren geschichtlichen Erfahrungen heraus bei Auslandseinsätzen zurückgehalten. Der Kosovokrieg (1998/1999) hat dann allerdings das Eis gebrochen, er war gewissermaßen der Sündenfall. Seitdem sind - dank Rot/Grün - auch Kampfeinsätze üblich geworden. Das perfide ist, dass uns de Maizière die Kampfdrohnenbeschaffung als Deeskalation präsentiert, obgleich sie in Wahrheit eine weitere Eskalationsstufe darstellt. Orwell ("Krieg ist Frieden") hätte an ihm bestimmt seine helle Freude.

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[1] Spiegel-Online vom 31.01.2013
[2] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/2787 , PDF-Datei mit 90 kb
[3] Spiegel-Online vom 26.03.2012
[4] 3sat vom 16.05.2011
[5] The Bureau of Investigative Journalism, Stand: 02.02.2013
[6] FAZ.Net vom 04.08.2012