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07. Mai 2013, von Michael Schöfer
Verdi-Chef Bsirske will noch nicht Rentner werden


Verdi-Chef Frank Bsirske (61) kann sich durchaus vorstellen, noch eine Amtszeit dranzuhängen. Den Hinweis, er sei an deren Ende 67 Jahre alt, kontert er mit der Aussage: Schließlich gebe es in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes "schon lange die Möglichkeit, länger zu arbeiten, wenn beide Seiten das wollen". [1]

Diese Aussage ist mir allerdings zu undifferenziert: Dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zufolge endet nämlich das Arbeitsverhältnis gemäß § 33 Absatz 1 Buchstabe a "ohne Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem die/der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen einer abschlagsfreien Regelaltersrente vollendet hat". Die entsprechende Bestimmung im TVÖD, der für Bund und Kommunen gilt, ist identisch. Damit trifft für mindestens 90 Prozent der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zunächst genau das Gegenteil zu: Das Arbeitsverhältnis endet automatisch, sobald man eine abschlagsfreie Rente beziehen kann. Bei Frank Bsirske, Jahrgang 1952, wäre das spätestens im Alter von 65 Jahren und 6 Monaten der Fall. [2] Bei Vorliegen der Voraussetzungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§ 38 SGB VI: Vollendung des 65. Lebensjahrs plus 45 Versicherungsjahre) greift dieser Passus unter Umständen schon früher.

TV-L § 33 Absatz 5 regelt die Weiterbeschäftigung: "Soll die/der Beschäftigte, deren/dessen Arbeitsverhältnis nach Absatz 1 Buchstabe a geendet hat, weiterbeschäftigt werden, ist ein neuer schriftlicher Arbeitsvertrag abzuschließen." Das setzt freilich nicht nur die Zustimmung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus, sondern ebenso die des zuständigen Personalrats. Doch die kann unterbleiben, wenn dadurch andere Beschäftigte benachteiligt sind, etwa befristet Beschäftigte, denen mangels freier Stellen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit fehlt. Denn es handelt sich bei der Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus nicht bloß um die Verlängerung des alten Arbeitsverhältnisses, sondern um die völlige Neubegründung eines solchen. [3] Deswegen ist sie im öffentlichen Dienst allein von daher die absolute Ausnahme. Existiert eine Wiederbesetzungssperre, schließlich wird im öffentlichen Dienst seit langem Personal abgebaut, ist Arbeitnehmern, die das Rentenalter erreicht haben, die nahtlose Weiterbeschäftigung ohnehin verwehrt. Der Wunsch, länger zu arbeiten als man unbedingt muss, ist im Übrigen recht überschaubar. Mir ist bislang in meiner langjährigen Praxis als Personalrat noch kein einziger Fall begegnet.

Außerdem lehnt Frank Bsirske die Anhebung der Regelaltersgrenze ab. Wenigstens offiziell. "Wir brauchen keine Rente mit 67", bekundete er vor kurzem in einem Interview. [4] Und jetzt will er selbst bis 67 arbeiten. Warum? Nun, einem Zeitungsbericht zufolge soll Bsirske 2008 ein Jahresgehalt von 175.500 Euro bezogen haben. Hinzu seien Vergütungen als Aufsichtsratsmitglied bei der Lufthansa und RWE gekommen, von denen der Verdi-Chef 50.900 Euro behalten habe. [5] Macht zusammen 226.400 Euro. Reizen ihn die lukrativen Einkünfte?

Das Amt des Vorsitzenden der zweitgrößten Gewerkschaft Deutschlands ist zweifellos anspruchsvoll, dazu gehört selbstverständlich eine angemessene Vergütung. Insofern will ich hier keine Nahrung für eine verquere Neiddebatte liefern. Und nach allem, was man hört und liest, ist Frank Bsirske kein schlechter Gewerkschaftschef - intelligent, sachkundig, rhetorisch brillant. Kurzum, ein Mann mit Charisma. Dennoch: Kann es sein, dass auch er zu denen gehört, die sich für unersetzlich halten? Wenn man die Anhebung der Regelaltersgrenze ablehnt, und das vollkommen zu Recht, sollte man sich auch ein bisschen nach den eigenen Grundsätzen richten. Sonst wird einem, ebenfalls zu Recht, schnell Doppelmoral vorgehalten.

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[1] Süddeutsche vom 07.05.2013
[2] Wikipedia, Regelaltersrente
[3] Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.01.2011, 6 AZR 382/09
[4] Leipziger Internet Zeitung vom 16.12.2012
[5] Frankfurter Rundschau vom 05.08.2008