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28. Juli 2013, von Michael Schöfer
Mosaiksteine


Die Machart eines Mosaiks kann man durchaus auf die Architektur unserer Sicherheitsdienste übertragen. Dem einzelnen Baustein sieht man kaum etwas an, isoliert betrachtet wirkt er mitunter sogar vollkommen harmlos. Erst die Fertigstellung des Mosaiks enthüllt dann in der Gesamtschau dessen eigentliche Bedeutung. Wenn man so sagen will, offenbart es erst zu diesem Zeitpunkt seinen wahren Charakter. Und der kann ziemlich bösartig sein.

Über die Mosaiksteine PRISM und Tempora wurde bereits viel geschrieben. Ein weiterer Mosaikstein ist der Pornofilter des britischen Premierministers David Cameron. Vor ein paar Jahren machte die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mit ihrer Forderung nach Sperrung von Websites mit kinderpornografischem Inhalt auf sich aufmerksam, was ihr den Spitznamen "Zensursula" einbrachte. Das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz) trat allerdings nie in Kraft. Kritiker befürchteten, Kinderpornografie sei als Grund nur vorgeschoben und diene letztlich als Türöffner für die Internetzensur.

Nicht zu Unrecht, wie jetzt das Vorhaben Camerons belegt: "Premierminister David Cameron will gefährlicher sexueller Freizügigkeit im Netz den Kampf ansagen, mit einem automatischen Filter gegen Pornografie für alle britischen Nutzer des Internets. Für neue Kunden sollen die Internetanbieter bis zum Ende des Jahres entsprechende Seiten blockieren - es sei denn, der Nutzer verzichtet explizit auf diesen Filter. Alle 19 Millionen Haushalte, die bereits einen Internetanschluss besitzen, werden zwingend mitteilen müssen, ob sie die Blockade ein- oder ausschalten möchten. Wer die Frage ignoriert, erhält den Filter." [1] Mit anderen Worten: Wenn Sie im Internet Pornos anschauen wollen, müssen Sie das Ihrem Provider ausdrücklich mitteilen. Eine fast so große Hemmschwelle wie früher, als man im Kiosk verschämt nach den "St. Pauli-Nachrichten" oder anderen einschlägig bekannten Magazinen fragen musste.

Doch wie das IT-Magazin "Golem" mitteilte, sollen nicht bloß schmuddelige Pornografieseiten geblockt werden, sondern darüber hinaus auch andere Inhalte. Nach Angaben der Bürgerrechtsorganisation "Open Rights Group" umfasst die britische Pornwall die Themenbereiche "Pornografie, Gewaltdarstellungen, extremistische und terroristische politische Inhalte, Webseiten zu Magersucht und Essstörung, Suizid-Webseiten, Alkohol, Rauchen, Web-Foren, esoterisches Material und Umgehungstools für Netzsperren. (…) 'Hier wird deutlich, dass David Cameron die Menschen schlafwandelnd in die Zensur führen will', sagte Jim Killock von der Open Rights Group." [2] "Unter anderem sollen sogar Spiele-Webseiten oder soziale Netzwerke mit im Filter hängen bleiben", meldet ShortNews. Außerdem "Internetseiten mit Bezügen zu Partnersuche". [3]

Was sind "Gewaltdarstellungen"? Fallen darunter auch Bilder von den verbrannten Opfern der Drohnenangriffe der USA in Pakistan? Werden künftig Videos von wild um sich schießenden Polizisten in Ägypten blockiert? Wer legt fest, was zulässig ist und was nicht? Und nach welchen Kriterien? Was sind "extremistische und terroristische politische Inhalte"? Die Websites der Hamas und neuerdings der Hisbollah? Oder fallen darunter auch andere missliebige politische Meinungen? Amnesty International hat sich bekanntlich bei vielen Regierungen unbeliebt gemacht. Und hier ebenfalls die Frage: Nach welchen Kriterien wird entschieden? Danach, ob gerade ein engstirniger Hardliner oder ein liberaler Kosmopolit am Ruder ist? Sie merken schon, liebe Leserinnen und Leser, wir kommen schnell in den Bereich politischer Willkür. Esoterisches Material mag für einen naturwissenschaftlich orientierten Menschen Schwachsinn sein, aber darf man es deshalb zensieren? Und will man mit der Sperrung von "Internetseiten mit Bezügen zu Partnersuche" das Volk zum Singledasein verdonnern? Das ist doch lächerlich.

Was droht, ist ein unzulässiger Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit und abermals ein schwerwiegender Einbruch in unsere Privatsphäre. Alles was vom Pfad scheinbarer Normalität abweicht, wird rechts und links abrasiert und soll nicht mehr zur Kenntnis genommen werden dürfen. Vorerst jedenfalls nur noch nach Überspringen der Freischaltungshürde. Und am Ende landen wir womöglich in einer Diktatur, die uns generell vorschreibt, was wir sehen dürfen und was nicht. Ohne jede Freischaltungsoption, versteht sich. "David Cameron, unser über alles geliebter Führer." (genehmigt) "David Cameron, der intoleranteste Regierungschef seit Oliver Cromwell." (geblockt)

Das pikante Sahnehäubchen des Ganzen: "Der [britische] Internet-Anbieter TalkTalk verwendet derzeit ein von der Firma Huawei entwickeltes System namens 'HomeSafe', das dann auch später bei anderen Providern zum Einsatz kommen könnte." [4] Ausgerechnet das chinesische Unternehmen Huawei, dem vorgeworfen wird, unter dem Einfluss der chinesischen Regierung zu stehen und das aus diesem Grund überall misstrauisch beäugt wird. [5] Das nennt man echte Globalisierung: Großbritanniens Pornwall als kleine Ausgabe der Great Firewall of China.

Genau darauf läuft es nämlich hinaus. Der einzelne Baustein mag harmlos erscheinen. Ist Kinderpornografie nicht verwerflich? Na klar, deshalb die Websperre! Aber wenn das Instrument einmal zur Verfügung steht, sind rasch andere Bereiche davon betroffen. Apple erlaubte sich beispielsweise, eine Adaption von James Joyces "Ulysses" zu zensieren, eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur. Grund: "Der iTunes-Anbieter stieß sich an den Nacktszenen einer Comic-Bearbeitung." [6] Das ist bei Apple nicht der einzige Fall von Prüderie. Wer garantiert uns, dass David Cameron nicht der gleichen Ansicht ist? Niemand! Wenn man die zahlreichen Mosaiksteine zusammenfügt, von denen uns bislang nur wenige überhaupt namentlich bekannt sind (von deren technischen Fähigkeiten ganz zu schweigen), erhält das Gesamtbild eine andere, äußerst bedrohliche Bedeutung. Den sechs Kästchen im "Z" der nachfolgenden Grafik ist nichts anzumerken. Blaue Kästchen auf gelbem Grund eben. Verändert man freilich den Blickwinkel, indem man ein paar Schritte zurückgeht, ergibt das Gesamtbild plötzlich einen tieferen Sinn. Genau das meine ich. Und genau das ist die Gefahr, die uns droht.

 

Oder ein anderes, viel schöneres Beispiel:



Die Mosaiksteine Bildes unten bestehen aus lauter Einzelaufnahmen.
Vollkommen harmlos, nicht wahr?



Erst die Gesamtschau ergibt: Sie werden überwacht. Sind Sie jetzt überrascht?
(der rote Bereich ist der darüber stehende Ausschnitt aus Einzelaufnahmen) [7]

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[1] Süddeutsche vom 23.07.2013
[2] Golem.de vom 27.07.2013
[3] ShortNews vom 27.07.2013
[4] me-magazine vom 27.07.2013
[5] Wikipedia, Huawei
[6] FAZ.Net vom 16.06.2010
[7]
Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0-Lizenz, Urheber: Adolf Zika