Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



06. April 2014, von Michael Schöfer
Ein bisschen mehr Demut bitte


"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen", soll der dänische Physiker Nils Bohr (1885-1962) einst gesagt haben. Doch das Bonmot wird u.a. auch Karl Valentin, Mark Twain, Winston Churchill oder Kurt Tucholsky zugeschrieben. Wenn man sich noch nicht einmal über die Herkunft eines Zitats einig ist, wie soll man es dann in Bezug auf den Sachverhalt sein?

Es stimmt, Prognosen sind zugegebenermaßen unheimlich schwierig. Erinnern Sie sich noch: Am 21. Dezember 2012 sollte ja die Welt untergehen, irgendwas mit Maya-Kalender und so. Hat zum Glück nicht geklappt, denn sonst könnten die Verlage, die mit der "2012"-Weltuntergangsliteratur ziemlich viel Kohle gemacht haben, ihre Gewinne gar nicht genießen. Wäre die Welt wie vorhergesagt untergegangen, wären damit logischerweise auch all die schönen Profite perdu gewesen. Wer ein Buch herausgibt, dessen Titel "Nächstes Jahr geht die Welt unter" lautet, glaubt folglich selbst nicht daran. Glaubwürdig wären allenfalls die, die das Buch und mit ihm gleich den ganzen Verlag verschenken. Kommt aber genauso selten vor wie der Weltuntergang.

Die prognostizierte Apokalypse vom 22. Februar 2014 ist ebenfalls ausgeblieben, laut irgendwelchen Wikinger-Mythologien hätte die nämlich fast hundertprozentig eintreten müssen. Seine nächste Chance bekommt der Weltuntergang aber schon im Juni 2014, denn dann soll angeblich aus den Tiefen des Alls eine Säurewolke die Erde treffen und vollständig zerstören. Seit wann sind Aliens bei der Mafia (auch die hat ja bekanntlich ihre Opfer häufig in einem Säurebad aufgelöst)? Nur dumm, dass Astronomen von dieser Wolke erst aus dem Internet erfahren haben, die Eintrittswahrscheinlichkeit tendiert daher gegen Null. Liebe Leserinnen und Leser, Sie können also vermutlich beruhigt die Fußball-WM (12. Juni bis 13. Juli 2014) zu Ende sehen. Mein Geheimfavorit ist übrigens Honduras. Das ist freilich nur eine Prognose.

Der legendäre Investor George Soros hat 2012 den Kollaps des Euro binnen eines Vierteljahres vorhergesagt. IWF-Chefin Christine Lagarde meinte damals, der Euro habe "weniger als drei Monate" Zeit. Für Europa wäre das zweifellos einem Weltuntergang gleichgekommen. Aber nicht einmal der ist eingetreten, obgleich die Gefahr keinesfalls von der Hand zu weisen war. Komisch, dass niemand den baldigen Weltuntergang durch einen von Wladimir Putin oder der Nato angezettelten dritten Weltkrieg prognostiziert. Der ist immerhin wahrscheinlicher als alle Maya-Kalender, Wikinger-Mythen und Säurewolken zusammengenommen. So viel außenpolitische Rücksichtnahme hätte ich den Weltuntergangspropheten gar nicht zugetraut. Verpassen die gerade eine erstklassige, nie wiederkehrende Chance? Das wäre verdammt traurig.

Kein Wunder, wenn vor diesem Hintergrund Weltuntergangspropheten längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Zwar gibt es immer Naivlinge, die prompt auf jede noch so absurde Vorhersage hereinfallen, aber im Grunde sind wir inzwischen mit Weltuntergängen geradezu übersättigt. Selbst Roland Emmerich hat mittlerweile alle Vorbereitungen für den Nachfolge-Blockbuster von "2012" eingestellt, offenbar sieht er für die Fortsetzung des Katastrophenfilms eine Pleite an den Kinokassen voraus. Wenigstens eine Prognose mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit.

Liebe Leserinnen und Leser, die Welt ist wirklich kurios: Tatsächlich drohende Weltuntergänge, etwa den durch die Klimakatastrophe, lassen uns merkwürdigerweise weitgehend kalt. Dabei kann der kaum noch vermieden werden. Sagen jedenfalls die Wissenschaftler. Doch wenn es einen gibt, der mit seinen Prognosen oft richtig liegt, dann bin das ich. Ja, ich! Erinnern Sie sich noch an das schwere Erdbeben im italienischen L'Aquila? Das jährt sich gerade zum fünften Mal. Am 13. Juli 2009 habe ich vorhergesagt, dass die Menschen dort "in den vom THW aufgebauten Baracken vermutlich noch jahrelang ihr kümmerliches Dasein fristen müssen".

Und was ist passiert? Richtig, es hat sich seitdem nicht viel verändert. Der Unterricht in den meisten Schulen von L’Aquila findet weiterhin in Containern statt. In der vom Erdbeben zerstörten Altstadt ist nach wie vor "kaum ein Haus (...) bewohnbar, viele Gebäude stehen nur dank massiver Stahlträger." [1] 19.000 Menschen leben heute noch in Notunterkünften. [2] Anderen Quellen zufolge sind es sogar 20.000. [3] "Nur ein knappes Drittel der beschädigten Häuser sind bislang wieder aufgebaut." [4] Total unfair: Dass ich dabei lediglich auf die bekanntermaßen träge Verwaltung des italienischen Staates gesetzt habe, ist eine böswillig Verleumdung. Ich sag' Euch was, ihr Weltuntergangspropheten: Von Michael Schöfer lernen heißt prophezeien lernen. Deshalb ein bisschen mehr Demut bitte. Falls Honduras wirklich Fußballweltmeister wird, müsst Ihr Abbitte leisten.


----------

[1] tagesschau.de vom 06.04.2014
[2] Schweizer Radio und Fernsehen vom 06.04.2014
[3] Tiroler Tageszeitung vom 06.04.2014
[4] Abendzeitung München vom 04.04.2014