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03. August 2014, von Michael Schöfer
Wirklich bloß eine sich hartnäckig haltende Mär?


Nach Angaben der PR-Agentur Hill+Knowlton sei es "eine sich hartnäckig haltende Mär", dass die Firma den Auftritt von Nijirah al-Sabah inszeniert habe, "um in der amerikanischen Öffentlichkeit für ein militärisches Eingreifen der USA zugunsten Kuwaits zu werben". Doch leider gelinge es "in Zeiten sozialer Netzwerke nicht, diese Geschichte aus der Welt zu schaffen". Außerdem wird in der Leserzuschrift von Ernst Primosch, Chief Executive Officer und Chairman von Hill+Knowlton Strategies Deutschland, an die taz der Eindruck erweckt, Nijirah al-Sabah habe bei ihrer Aussage im Vorfeld des ersten Irakkrieges die Wahrheit gesagt. [1]

Al-Sabah behauptete 1990 im Vorfeld des ersten Irakkrieges, sie habe als kuwaitische Hilfskrankenschwester im Al-Adnan-Krankenhaus in Kuwait-Stadt gearbeitet. Mit tränenerstickter Stimme sagte sie: "Ich tat freiwilligen Dienst im Al Addan-Hospital... Während ich dort war, sah ich die irakischen Soldaten bewaffnet in der Krankenhaus kommen und in den Raum gehen, wo fünfzehn Babys in Brutkästen lagen. Sie nahmen die Babys aus den Brutkästen, nahmen die Brutkästen mit und ließen die Babys auf dem kalten Fußboden zurück, wo sie starben." [2]

In einer Sendung des Fernsehmagazins "Monitor" (30.03.1992) versicherte ein Inspekteur der Weltgesundheitsorganisation, dass keine Brutkästen aus kuwaitischen Krankenhäusern entfernt worden seien, was eine kuwaitische Kinderärztin bestätigte. "Das US-Werbeunternehmen Hill and Knowlton räumte gegenüber 'Monitor' ein, es habe von Kuwait zehn Millionen Dollar erhalten, um die Kriegsbereitschaft in den USA zu schüren. Zunächst habe man untersucht, was bei den US-Amerikanern den größten Abscheu erregt: Babymord. Anschließend seien 'Zeugen' geschult worden, um vor einem Ausschuss des US-Kongresses und der UN-Vollversammlung 'glaubwürdiger' über die irakischen Untaten berichten zu können." [3]

Nach dem Krieg erklärten zwei Krankenschwestern der Entbindungsstation des Al-Adnan-Krankenhauses, dass Nijirah al-Sabah dort nicht gearbeitet habe und die Babymorde nie stattgefunden hätten. [4] Die Öffentlichkeit wurde bis Januar 1992 darüber im Unklaren gelassen, dass es sich bei der vermeintlichen Zeugin in Wahrheit um die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA handelte. Ihre wahre Identität hat aber der US-amerikanische Publizist John MacArthur enthüllt. Al-Sabah soll in der fraglichen Zeit gar nicht in Kuwait gewesen sein, sondern in Washington. [5] Wenn das stimmt, kann sie demzufolge überhaupt nichts gesehen haben. Amnesty International sprach ebenfalls von einer Fälschung. Ein anderer Zeuge der angeblichen Babymorde gab hinterher offen zu, gelogen zu haben. [6]

"Die Zeugin steht bis heute zu ihrer Aussage", schreibt Ernst Primosch. Und: "Die Kanzlei Kroll and Associates, die von der kuwaitischen Regierung beauftragt wurde, die Gräueltaten seitens des Irak zu untersuchen, glaubt, dass Frau Al Sabah einen flüchtigen Blick auf ein einzelnes Ereignis werfen konnte oder einen Momenteindruck von diesem erhalten hat, woraus sich bei ihr nachträglich ein größerer Eindruck entwickelte..." Wachsweicher kann eine Rechtfertigung nicht ausfallen. "Die Kanzlei Kroll and Associates glaubt..." Zu den Zeugenaussagen, die Nijirah al-Sabah widersprechen, kein einziges Wort. Zu den Eingeständnissen seiner Firma gegenüber "Monitor" ebenso wenig. Der Kroll-Bericht spricht davon, dass die ursprüngliche Zeugenaussage von al-Sabah angeblich wild verdreht wurde. Sie habe in Wahrheit, wie sie in den Interviews mit der Kanzlei einräumte, nur kurz ein Baby außerhalb des Brutkastens gesehen. Und sie gab auch zu, dass sie nie als Freiwillige im Krankenhaus gearbeitet hat und dort lediglich für ein paar Minuten vorbeigekommen wäre. [7]

Nun ja, angesichts dessen kann man ihr in der Tat nur glauben, in Kuwait gewesen zu sein und irgendetwas gesehen zu haben. Man kann aber auch genauso gut die Ansicht vertreten, dass die Geschichte von vorne bis hinten erstunken und erlogen war. Auf diese plumpe Art und Weise wird es jedenfalls kaum gelingen, die Geschichte nachträglich umzuschreiben.

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[1] Leserbrief "Berichtigung", taz vom 01.08.2014, Seite 9
[2] John R. MacArthur, Die Schlacht der Lügen, München 1993, Seite 70, YouTube-Video ihrer Aussage, MacArthur weist drauf hin, dass al-Sabah bei ihrer Aussage von der schriftlichen Formulierung abwich und lediglich - ohne eine Zahl zu nennen - von "Babys" sprach. Laut der englischsprachigen Ausgabe von Wikipedia sagte sie wörtlich: "I volunteered at the al-Addan hospital with twelve other women who wanted to help as well. I was the youngest volunteer. The other women were from twenty to thirty years old. While I was there I saw the Iraqi soldiers come into the hospital with guns. They took the babies out of the incubators, took the incubators and left the children to die on the cold floor. It was horrifying."
[3] Frankfurter Rundschau vom 01.04.1992, "Babymord war PR-Lüge", online ist weder der Artikel noch die Monitor-Sendung verfügbar, den eingescannten Artikel kann ich aber auf Wunsch per E-Mail zusenden.
[4] Wikipedia, Brutkastenlüge
[5] Berliner Zeitung vom 06.10.2007
[6] Telepolis vom 26.02.2003
[7] Wikipedia (englisch), Kroll Report: "Kuwaiti officials do not discuss the matter with the press. In order to respond to these charges, the Kuwaiti government hired Kroll Associates to undertake an independent investigation of the incubator story. The Kroll investigation lasted nine weeks and conducted over 250 interviews. The interviews with Nayirah revealed that her original testimony was wildly distorted at best; she told Kroll that she had actually only seen one baby outside its incubator for 'no more than a moment.' She also told Kroll that she was never a volunteer at the hospital and had in fact 'only stopped by for a few minutes.'"


Nachtrag (04.08.2014):
Thomas E. Eidson, der damalige CEO von Hill+Knowlton, hat 1992 in einem Brief an die New York Times erklärt, dass seine Firma zu keiner Zeit mit jemandem zusammenarbeitete, um wissentlich irreführende Aussagen zu produzieren. Zum Zeitpunkt der Aussage hatte Hill+Knowlton keinen Grund, die Glaubwürdigkeit von Nijirah al-Sabah infrage zu stellen. Zudem seien ihre Angaben durch Dr. Ibrahim Behbehani bestätigt worden (nach Angaben von John R. MacArthur hat Behbehani nach dem Krieg zugegeben, gelogen zu haben). Bis nach der Befreiung Kuwaits gab es keine Möglichkeit, die Angaben zu überprüfen.

Nachtrag (24.08.2014):
Ich habe mir beim WDR die Aufzeichnung der Monitor-Sendung vom 30.03.1992 besorgt. In dem Filmbeitrag über die angeblichen Babymorde gibt Dr. Ibrahim Behbehani vor laufender Kamera zu, nichts darüber zu wissen. Seine Aussage im Jahr 1990 war also nach eigenem Eingeständnis gelogen. Und in einem Interview schildert der Werbefachmann Dee Allsop gegenüber Monitor die Vorgehensweise, wie man damals die öffentliche Meinung beeinflusst hat. Die von mir zitierte Frankfurter Rundschau hat den Inhalt der Monitor-Sendung korrekt wiedergegeben.