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06. August 2014, von Michael Schöfer
Nur Mut


Als der CSU-Politiker Franz Josef Strauß 1988 starb, fiel einem hoffnungsvollen Nachwuchspolitiker die Aufgabe zu, dessen Erbe als Rüpel der Union anzutreten: Roland Koch. Und man muss sagen, das ist dem hessischen Christdemokraten vollauf gelungen. Liebe Leserinnen und Leser, Sie werden sich gewiss an seine beiden herausragenden Aktionen erinnern: Die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und die "brutalstmögliche Aufklärung" bei der korrekten Verbuchung der "jüdischen Vermächtnisse". Ich wünschte damals dem Herrn die Pest an den Hals. Und was hat er bekommen? Angela Merkel. Die hing ihm zwar nicht am Hals, saß ihm aber fortan vor der Nase, weshalb Koch später entnervt in die Wirtschaft flüchtete. Der Traum von der Kanzlerschaft war ausgeträumt.

Zugegeben, seinerzeit hat man stirnrunzelnd gefragt, was sich ein renommierter Baukonzern von einem Juristen an der Spitze des Vorstands verspricht. Branchenspezifische Erfahrung? Die kann Koch allenfalls beim Bau seines Einfamilienhauses erworben haben, flüsterten Spötter hinter vorgehaltener Hand. Und nun auch das noch: Koch muss schon nach drei Jahren gehen. Er sei gescheitert, heißt es. Wie war das mit der klammheimlichen Freude? Doch bei Lichte besehen tut man dem armen Kerl unrecht. Koch, der einstige Grünenfresser, hat in der Mannheimer Konzernzentrale lediglich grüne Wirtschaftspolitik umsetzen wollen. Wirklich!

Fangen wir mit der Gewinnwarnung an, die offiziell als Grund für den überraschenden Rücktritt genannt wird. Es ist ja beileibe nicht so, dass Bilfinger rote Zahlen schreibt. Ganz im Gegenteil, der Gewinn wird voraussichtlich bloß um 25 Mio. auf dann immer noch beachtliche 205 bis 220 Mio. Euro sinken. Und der Umsatz soll um läppische 100 Mio. auf dann "nur noch" 7,8 Mrd. Euro fallen. Ich wäre heilfroh, wenn sich meine Einkünfte in diesen Größenordnungen bewegen würden, von mir aus bräuchte Koch also nicht zurücktreten. Man muss es vielmehr positiv sehen: Koch hat der Baubranche endlich die "Grenzen des Wachstums" aufgezeigt. Haben wir nicht seit 1972 krampfhaft versucht, den Entscheidern in Wirtschaft und Politik die Bedeutung der gleichnamigen Studie von Donella und Dennis Meadows zu verklickern? Und jetzt, da sogar Roland Koch auf den Zug der Nachhaltigkeit aufgesprungen ist, wird er geschasst. Finden Sie das gerecht? Ich nicht.

Die Aktionäre seien nervös geworden, liest man. Pah, scheiß drauf! Sagen wir doch schon lange, dass die Hatz von Quartalsergebnis zu Quartalsergebnis nur schnödes Kurzfristdenken gebiert. "Das Vertrauen des Kapitalmarktes in das Unternehmen sei erschüttert und müsse durch die einvernehmliche Trennung wieder aufgebaut werden", erläutern die Gazetten. [1] Dummes Zeug! Nicht Roland Koch ist gescheitert, sondern der Baukonzern. Jemand, der so fortschrittliche Gedanken wie Nachhaltigkeit und Langfristperspektive umsetzen will, hätte eigentlich einen Preis verdient. Zum Beispiel den CSR-Preis der Bundesregierung. CSR steht für Corporate Social Responsibility (Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung). Bei der Auswahl der Preisträger wird besonderen Wert auf das verantwortungsvolle Handeln gelegt. Wer außer Roland Koch käme dafür überhaupt infrage? Niemand!

Der ehemalige hessische Ministerpräsident hat aber nicht nur ausuferndem Wirtschaftswachstum und äußerst schädlichem Kurzfristdenken den Kampf angesagt, nein, er tritt neuerdings sogar für das bedingungslose Grundeinkommen ein. Vorbildlich, drei Ausrufezeichen!!! Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung as its best. Für Koch, der im stockkonservativen hessischen CDU-Stall groß geworden ist, eine radikale Wende um 180 Grad. Und hier schiebt er die Verantwortung keineswegs bequem auf andere, sondern fängt gleich selbst damit an. Koch wird bis zum Ende der Vertragslaufzeit am 29. Februar 2016 sein Gehalt weiterbeziehen. Und das ohne jede Gegenleistung! Ein wahrlich üppiges bedingungsloses Grundeinkommen (zuletzt verdiente er 2,35 Mio. Euro). Ob er es in dieser Höhe für die übrigen 80,7 Mio. Bürger realisieren kann, wage ich allerdings zu bezweifeln. Unglücklicherweise sind seinem Kampf gegen das ausufernde Wirtschaftswachstum und das schädliche Kurzfristdenken auch ein paar Arbeitsplätze zum Opfer gefallen. Von unteren Chargen, versteht sich. Seien Sie unbesorgt. Wo gehobelt wird, wie in der Bauwirtschaft, da fallen bekanntlich Späne. Nobody is perfect.

Doch es gibt zumindest Hoffnung: Schon fordern Parteifreunde seine Rückkehr. Er könnte "die Partei wieder mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten bereichern", meint zum Beispiel CDU-Bundesvize Stanislaw Tillich. CSU-Chef Horst Seehofer beteuert, er habe Koch immer "hoch geschätzt" und der Hesse sei "ein außerordentlich kluger Kopf". [2] Das meine ich auch, Roland Koch hat sein Pulver noch lange nicht verschossen, da ist - um es im Börsenjargon auszudrücken - noch viel Potential nach oben. Nur Angela Merkel hüllt sich, wie so oft, in Schweigen. "Schwarze Witwe" hat man sie genannt, weil sie alle Konkurrenten beiseitegefegt hat. Politische Leichen pflastern ihren Weg. Wer ihr zu nahe kommt, den saugt sie gnadenlos aus: Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz, Edmund Stoiber, Norbert Röttgen und, ja auch den, Roland Koch. Letzterer galt einst als Kronprinz der CDU, war sozusagen der Prinz Charles des Konrad-Adenauer-Hauses, doch Angie hat ihn erfolgreich auf Distanz gehalten. Von Elisabeth II. lernen heißt siegen lernen. Die einen verschwanden in der Versenkung, andere buchstäblich in der Baugrube.

Aber wir dürfen uns freuen. Das, woran sich Steinmeier, Steinbrück, Gabriel und Trittin vergeblich die Zähne ausgebissen haben, kann Roland Koch durchaus schaffen: Er ist der Einzige, der die CDU unter die 40-Prozent-Marke drücken kann. Bei der Landtagswahl 2008 als Regierungschef faktisch schon abgewählt (-12 %), in der Wiesbadener Staatskanzlei packte man bereits die Koffer, wurde er wie durch ein Wunder von vier Verweigerern in den Reihen der Hessen-SPD gerettet. Und heute hält sich die hessische CDU in einer Koalition mit den Grünen notdürftig über Wasser. Mit den Grünen! Hätten Sie das je gedacht? Koch kann also diesbezüglich, wie bringe ich die CDU nach unten, auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Er weiß, wie es geht. Das packt der. Mit dem Background als Baulöwe allemal. In diesem Sinne: Nur Mut, trau dich, kehr' zurück in den Schoß der Partei.

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[1] taz vom 05.08.2014
[2] HR-Online vom 06.08.2014