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11. März 2015, von Michael Schöfer
Fehlendes Vertrauen


Wenn Politiker sich selbst zum Narren machen, kann das durchaus lustig sein. Helmut Kohl zum Beispiel. Der frühere Bundeskanzler soll einst gesagt haben: "Ich weiß nicht, was mein Freund Mitterand darüber denkt, aber ich denke genauso." Das war, ganz untypisch für Kohl, sogar etwas hintergründig. Ob beabsichtigt oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls müssen Zuhörer kurz darüber nachdenken, welchen Nonsens der Satz konkret enthält. Der Groschen fällt oft erst nach ein paar Sekunden.

Bei George W. Bush war der Nonsens auf den ersten Blick erkennbar: "Es ist nicht die Verschmutzung, die unserer Umwelt schadet. Es sind die Unreinheiten in unserer Luft und im Wasser, die das tun." Gerade von ihm gibt es die lustigsten Politikerzitate. "Sie missunterschätzen mich", gehört ebenfalls dazu. In den USA muss man zuweilen intellektuelle Hürden unterlaufen, um Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Das ist George Doubleyou grandios gelungen. Kaum zu glauben, dass dieser Mensch wirklich den Finger am roten Knopf hatte.

Weniger lustig wird’s, wenn Politiker die Realität krass verkennen. Auch hier hat George W. geglänzt: "Mission accomplished", verkündete der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in John Wayne-Manier am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln. Mission vollendet. Da war der Irak-Krieg knapp zwei Monate alt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Amerikaner erst 138 Soldaten verloren - weitere 4.348 sollten aber noch folgen. "Mission impossible" hätte wesentlich besser gepasst.

Brandgefährlich ist's, wenn Politiker rotzfrech lügen. Wladimir Putin zum Beispiel. Im März 2014 stritt er beharrlich ab, dass die Soldaten ohne Hoheitszeichen auf der Krim russische Truppen sind. Das seien "örtliche Selbstverteidigungskräfte", und Uniformen könne man sich ja inzwischen in jedem Geschäft besorgen, erklärte er spitzbübisch. Eineinhalb Monate später gab er zu, was ohnehin offenkundig war: Bei den bewaffneten "höflichen grünen Männchen" habe es sich tatsächlich um russische Soldaten gehandelt, bekannte er im Fernsehen.

Jetzt gibt Putin in einem Fernsehinterview abermals zu, gelogen zu haben. Am 23. Februar 2014 hat er den Befehl gegeben: "Wir müssen beginnen, die Krim zurück zu Russland zu holen." Am 27. Februar 2014 besetzten Bewaffnete das Regionalparlament der Krim. Am 4. März 2014 leugnete er noch jede Annexionsabsicht und die direkte Beteiligung an den Vorgängen auf der Schwarzmeer-Halbinsel. Claqueure sekundierten: Es fehle jeder Beweis für ein russisches Eingreifen. Am 18. März 2014 erklärte Putin dann den "Beitritt" der Krim zu Russland. Bislang hat die Propaganda den Ablauf anders dargestellt, danach hätten die Einwohner der Krim in einem unabhängigen Referendum den Wunsch geäußert, zu Russland zu gehören. In Wirklichkeit halfen russische Truppen diesem Wunsch von Anfang an ein bisschen nach.

Übrigens: Gemäß Artikel 102 Abs. 1 d) der Verfassung der Russischen Föderation fällt "die Entscheidung über die Möglichkeit eines Einsatzes der Streitkräfte der Rußländischen Föderation außerhalb des Territoriums der Rußländischen Föderation" in die Zuständigkeit des Bundesrates (= eine Kammer der Föderationsversammlung). Als der russische Präsident offiziell zum Einsatz der Streitkräfte ermächtigt wurde (1. März 2014), waren russische Soldaten längst in der Ukraine aktiv. Das nennt man gemeinhin einen Verfassungsbruch. Vom Völkerrechtsbruch ganz zu schweigen. Aber in Putins Russland stört das höchstens Oppositionspolitiker, die - beiläufig bemerkt - dadurch ihr Leben riskieren.

Jetzt müssen sich die, die hierzulande Putin die Stange gehalten haben, ziemlich belämmert vorkommen. Es sei ein Mythos, dass Russland die Krim annektiert habe. Russland hat "die Krim nicht gewaltsam erobert", sondern lediglich "einen Antrag seitens der Bevölkerung der Krim angenommen", las man beispielsweise. [1] So einfach ist das. Und das ausgerechnet bei denen, die sonst gerne mit Begriffen wie "Gehirnwäsche", "Meinungsmache" und "Gleichschaltung der Medien" um sich werfen und andere anklagen, "unkritisch bis zur Selbstaufgabe" zu sein. Nun entpuppt sich das Ganze doch als geplante militärische Invasion mit anschließender völkerrechtswidriger Annexion. Ei der Daus.

Der russische Präsident muss sich sehr sicher fühlen, denn üblicherweise geben Politiker selten zu, gelogen zu haben. In der Regel erst, wenn die Beweise erdrückend sind. Putin tut das ohne Not. Warum? Um sich nach innen als Held präsentieren zu können? Um nach außen zu signalisieren: "Ihr könnt mir gar nichts"? Ist das Chuzpe oder Realitätsverlust? Jedem Politiker müsste eigentlich klar sein, dass er dadurch jegliche Reputation einbüßt (ausgenommen natürlich bei seinen glühendsten Anhänger). Man müsse Russland in eine Sicherheitsarchitektur einbinden, fordern manche. Im Grunde absolut vernünftig. Doch wie will man einen Staat erfolgreich einbinden, an dessen Spitze ein, wie er ständig selbst belegt, notorischer Lügner sitzt? Es wird schwerfallen, das notwendige Vertrauen aufzubauen, solange Wladimir Putin im Kreml das Sagen hat.

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[1] NachDenkSeiten vom 11.02.2015