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30. Juni 2015, von Michael Schöfer
Ein Vorbild an Ausgewogenheit


Liebe ARD, übertreibt Ihr es nicht ein bisschen mit dem Griechenland-Bashing? Als Gebühren zahlender Zuschauer erwarte ich ein Mindestmaß an Ausgewogenheit. Gehört das nicht zu den journalistischen Standards, denen Ihr verpflichtet seid? Bloß zur Erinnerung: "Die ARD hat bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Programme und Angebote zu berücksichtigen. Das Gebot der Vielfalt gilt besonders für informierende und meinungsbildende Sendungen." Das steht jedenfalls in den "Grundsätzen für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm". [1] Doch haltet Ihr Euch auch daran? Ich habe da, gelinde gesagt, ein paar Zweifel.

Nehmen wir als Beispiel den ARD-Brennpunkt vom 29. Juni 2015. Titel: "Ist Griechenland noch zu retten?"
[2]

Mitwirkende (in the order of appearance):

1. Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. Der "Stern" schmückte ihn einst mit dem Titel "Chefinterpret der CSU". [3] Vorsorglicher Hinweis: Die politische Nähe zur CSU ist natürlich reiner Zufall.

2. Diverse Bürger eines "Mittelstands-Wohngebiets" in Athen, die sich - kaum verwunderlich - überwiegend negativ über die griechische Linksregierung äußern. Immerhin wird erwähnt, dies sei nur ein Stimmungsbild - ohne Anspruch darauf, repräsentativ zu sein. Das war es wahrscheinlich auch nicht, in ärmeren Wohngegenden wäre das Stimmungsbild wohl etwas anders ausgefallen. Doch solche Stimmen einzufangen hielt das ARD-Team offenbar für entbehrlich. Weil es dem gewünschten Anti-Syriza-Bild widersprochen hätte?

3. Yorgos Katrougalos, stellvertretender Minister im Innenministerium, darf kurz mit ein paar Sätzen die Position der griechischen Regierung zum geplanten Referendum darstellen (zwischen 3:19 und 4:13).

4. Panayotis Karkatsoulis ist Mitglied der linksliberalen Partei "To Potami", die bei den Parlamentswahlen am 25. Januar 2015 ganze 17 von insgesamt 300 Mandaten errang und daher der Opposition angehört.

5. Sigmund Gottlieb interviewt Dora Bakoyannis, Tochter des früheren Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis, von 2002 bis 2006 Bürgermeisterin der Hauptstadt Athen und von 2006 bis 2009 Außenministerin des Landes. Bakoyannis ist Parlamentsabgeordnete und gehört der konservativen "Nea Dimokratia" an. Großer Vorteil: Sie spricht hervorragend deutsch. Ebenfalls zur Erinnerung: Die ND ist die Partei, die den Griechen zusammen mit der sozialdemokratischen "Pasok" den ganzen Schlamassel erst eingebrockt hat. Die Nea Dimokratia wurde am 25. Januar 2015 abgewählt und sitzt jetzt auf der Oppositionsbank. Kleines Schmankerl am Rande: Bakoyannis wirft der "Bild-Zeitung" im Interview vor, von "morgens bis abends" gegen die Griechen zu hetzen. Eine Adoptivtochter Sigmund Gottliebs, Natascha Gottlieb, arbeitet in München als Redakteurin für das Boulevardblatt. So ein Zufall aber auch...

6. Angela Merkel (CDU), Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) und Sigmar Gabriel (SPD). Jeweils in einem kurzen Einspieler.

7. Sigmund Gottlieb interviewt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

8. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Mitglied der Christlich Sozialen Volkspartei, der sich von der griechischen Regierung verraten fühlt. Nach den Gefühlen der griechischen Regierung gegenüber der Troika (EU, IWF, EZB) oder der Euro-Gruppe wurde nicht gefragt. Nebenbei bemerkt: In Junckers Amtszeit als Premierminister von Luxemburg fallen die Steuerabkommen mit Konzernen, die bei den Partnerländern zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führten. Letztere könnten sich folglich genauso verraten fühlen.

9. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der behauptet, die griechische Regierung sage dem Volk nicht die Wahrheit über das, was in den Papieren der Euro-Gruppe stehe. Es gebe keine Mehrwertsteuererhöhung im Medizinbereich und bei der Energie, es gebe zudem keine Rentenkürzungen. In dem von der EU-Kommission veröffentlichten Positionspapier [4] findet man aber nach wie vor die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent für Hotels und Restaurants (ausgerechnet in einem Land, das zu einem Gutteil vom Tourismus lebt, Stichwort "Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit"). Faktische Rentenkürzungen sind dort ebenfalls enthalten. Kritische Nachfrage seitens Gottliebs? Fehlanzeige! Man hätte dazu bloß die entsprechenden Passagen vorlesen müssen. Die Frage, wer der Bevölkerung die Unwahrheit sagt, bleibt damit weiterhin offen.

10. Sigmund Gottlieb interviewt abermals Wolfgang Schäuble (CDU).

Es ist somit festzuhalten: In der Sendung kamen bis auf zwei Ausnahmen, Yorgos Katrougalos (54 Sekunden) und Katrin Göring-Eckardt (8 Sekunden), nur Syriza-Kritiker zu Wort. Eine Minute und vier Sekunden von insgesamt 23 Minuten und sechs Sekunden Sendezeit. Ein Statement der größten deutschen Oppositionspartei Die Linke, die der griechischen Regierungspartei Syriza nahesteht, gab es keins. Ein Interview mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis? Fehlanzeige! Wäre doch interessant gewesen, auch seine Sicht der Dinge zu hören, immerhin war er ebenso wie Schäuble während den Verhandlungen im Sitzungssaal anwesend (zumindest so lange, bis man ihn nach der Ankündigung des Referendums hinauskomplimentierte). So lernen wir leider nur die Version des deutschen Finanzministers kennen, die des griechischen bleibt außen vor. Der Brennpunkt war also alles in allem ein Vorbild an Ausgewogenheit. (Achtung: Ironie!)

Ach, bevor ich es vergesse: Welchen journalistischen Mehrwert bringt es eigentlich, den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras in den Einspielern ständig nur in schwarz-weiß zu zeigen, während das übrige Bild weiterhin farbig bleibt? Ein zulässiges dramaturgisches Element? Und wenn ja, zu welchem Zweck? Stimmungsmache? Gehört das wirklich noch zu den Bildmanipulationen, die mit den Grundsätzen der ARD zu vereinbaren sind? Ich würde es von der ARD, die sich für gewöhnlich die Objektivität auf die Fahnen schreibt, wirklich gerne erfahren.

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[1] ARD, PDF-Datei mit 168 kb
[2] ARD-Mediathek, MPEG-4-Datei mit 53,3 MB
[3] Stern vom 29.09.2008
[4] EU-Kommission, List of prior actions - version of 26 June 20 00, PDF-Datei mit 196 kb



Nachtrag (01.07.2015):

Die ARD hat auf meine Beschwerde-Mail geantwortet:
Sehr geehrter Herr Schöfer,

vielen Dank für Ihre Mail und Ihr Interesse am Ersten Deutschen Fernsehen.

Wir bedauern Ihre Kritik am "Brennpunkt" zur Griechenlandkrise vom vergangenen Montag. Es tut uns sehr leid, dass Sie die Sendung nicht ausgewogen genug fanden.

Wir können Ihnen versichern, dass dies nicht die Absicht der verantwortlichen Redaktion war. Für die "Brennpunkt"-Ausgaben gelten wie für alle anderen Informationsformate des Ersten auch die selben öffentlich-rechtlichen Qualitätskriterien für unabhängigen Journalismus. Demnach bemühen sich die Reporter und Redakteure der ARD immer alle Aspekte des behandelten Themas angemessen zu beleuchten. Dazu gehört auch, Betroffene beider Seiten ausreichend zu Wort kommen zu lassen.

Bei ihrer Arbeit verfolgen die Journalisten der ARD als oberstes Ziel, gründlich zu recherchieren, Fakten zu erhärten und sie verständlich darzustellen. Bei der Auswahl der Themen orientieren sich die Redaktionen an journalistischen Nachrichtenkriterien.

Keinesfalls ist das Erste Deutsche Fernsehen einer politischen Instanz, Partei oder sonstigen Interessengruppen in besonderer Weise verpflichtet. Das öffentlich-rechtliche ARD-Gemeinschaftsprogramm wird aus Rundfunkbeiträgen finanziert und arbeitet frei von staatlicher Einflussnahme. In den Kontrollgremien der Landesrundfunkanstalten achten Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen darauf, dass journalistische und ethische Standards eingehalten werden.

Wir hoffen, dass die weitere Berichterstattung zu diesem Thema Ihren Vorstellungen wieder besser entspricht. Ihre ausführliche Kritik protokollieren wir selbstverständlich für die Programmverantwortlichen.

Mit freundlichen Grüßen