Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



15. August 2015, von Michael Schöfer
Liebe Mitglieder der Labour-Party...


...Ihr werdet doch hoffentlich nicht einen wie Jeremy Corbyn zu Eurem nächsten Parteivorsitzenden wählen. Was man über den liest, ist nämlich ganz, ganz schlimm. Er sitzt seit 30 Jahren im Unterhaus, sei als Linker gestartet und, horribile dictu, immer links geblieben. Was wollt Ihr denn mit dem? Moderne Politiker fangen bekanntlich unten links an, um die Karriere oben rechts zu beenden. Beispiele dafür gibt es ja mehr als genug, warum nehmt Ihr nicht so einen? Corbyn dagegen ist in seiner Geradlinigkeit erschreckend unzeitgemäß. Er sei ein Sozialdemokrat der alten Schule, setze sich für höhere Steuern für Unternehmen und Reiche sowie ein Ende der Sparpolitik ein. Corbyn fordere vielmehr ein Investitionsprogramm, von dem die Bevölkerungsmehrheit profitiert. So etwas Obskures wie Gerechtigkeit also. Und obendrein präsentiert er das Ganze, die Krawatten- und Brioni-Anzug-Träger unter Euch rümpfen bestimmt verächtlich die Nase, mit dem Kleidungsstil eines Sozialkundelehrers. "Old Labour" gewissermaßen.

Man höre und staune: Jeremy Corbyn hat "im Juli als einziger der jetzt zur Wahl stehenden Kandidaten im Parlament gegen Pläne der konservativen Regierung gestimmt, die Kürzungen von Steuererleichterungen für Niedrigverdiener vorsahen". [1] Ein Labour-Politiker, der sich erdreistet gegen die konservative Regierung zu stimmen? Na, hört mal, wenn das alle täten... Wo kämen wir denn da hin? Sozialdemokraten biedern sich neuerdings, siehe Deutschland, den Konservativen unterwürfig als Juniorpartner an. Sie zu besiegen und von der Regierungsbank zu vertreiben, ist in diesem Konzept überhaupt nicht vorgesehen. Torsten Albig lässt grüßen. "Große Koalition" heißt das Zauberwort. Falls die Machtübernahme doch wider Erwarten gelingen sollte, betreibt man halt die gleiche Politik. Sozialdemokraten bezeichnen das als "Politik der Vernunft". Oder, wenn Ihr so wollt, als "New Labour".

Euer Ex-Parteichef Tony Blair warnt eindringlich vor dem Kurs Corbyns. Wenn sich Labour für Corbyn entscheide, richte sich die Partei selbst zugrunde. Und Blair muss es schließlich wissen. Erinnert Ihr Euch noch, wie er anno 1999 gemeinsam mit Gerhard Schröder der Sozialdemokratie in einem bahnbrechenden Papier den "Dritten Weg" wies? Kernaussage: "In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt." Anders ausgedrückt: Es geht nicht darum, die Armut zu beseitigen, sondern lediglich darum, den Armen wenigstens die Chance zu eröffnen, ebenfalls reich zu werden. Wenn sie sie ungenutzt verstreichen lassen - selbst schuld! Hierzulande führte das konsequenterweise zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors, zu drastischen Rentenkürzungen und zu Hartz IV. Was würde passieren, wenn Corbyn auch als Parteivorsitzender auf das Schrumpfen der Kluft zwischen Arm und Reich pocht? Genau, der "Dritte Weg" wäre mit einem Schlag perdu. Dabei ist der Umstand, dass die Reichen stets reicher und die Armen unabwendbar ärmer werden, längst als Naturgesetz anerkannt. Liebe Labour-Mitglieder, wollt Ihr wirklich wie einst Don Quichotte gegen die Windmühlen des Neoliberalismus anrennen? Bloß deshalb, weil Ihr davon überzeugt seid?

Ist denn weit und breit kein rettender Sancho Panza in Sicht? Ihr bräuchtet einen treuen und uneigennützigen Knappen, wie es seinerzeit Tony Blair gewesen ist. Der hat seine Chance meisterhaft genutzt und erhielt für seine Memoiren vom Verlag Random House einen Vorschuss in Höhe von neun Millionen US-Dollar. [2] Außerdem soll er als Berater für die amerikanische Investmentbank JP Morgan ein Jahresgehalt von rund zwei Millionen Pfund Sterling bezogen haben. [3] Von sonstigen Honoraren, man spricht von 200.000 Euro pro Rede, ganz zu schweigen. [4] Der frühere Labour-Chef, mittlerweile erfolgreicher Inhaber einer Beratungsfirma, besitzt angeblich ein Vermögen von 70 Millionen Pfund (ca. 98 Mio. Euro). [5] Heute berät er Presseberichten zufolge u.a. den ägyptischen Diktator as-Sisi in Wirtschaftsfragen. Sozialismus und Reichtum schließen sich gar nicht gegenseitig aus, wie oft behauptet wird. Dass dabei ein paar über die Wupper gehen, ist leider unvermeidlich. Kollateralschäden eben. Kommt mir bitte nicht mit Gewissensbissen oder Gefühlsduselei.

Anstatt auf Jeremy Corbyn zu setzen, solltet Ihr einen nehmen wie Alexis Tsipras. Der weiß, wie man es macht. Seine Lernfähigkeit ist enorm: Im Januar 2015 vom Volk mit einem Programm gegen die krude Sparpolitik der Troika (EU, IWF, EZB) ins Ministerpräsidentenamt gehievt, hat er inzwischen vor den "Institutionen" kapituliert. Die Griechen sagten noch Anfang Juli 2015 in einem von Tsipras initiierten Referendum "Nein" zu den Bedingungen der Gläubiger, nun bezeichnet der SYRIZA-Vorsitzende diese Auflagen als "alternativlos". Vom linken Rebell zum Mitglied im TINA-Club (there is no alternative). Vom "Zocker" und "Schurken" zum respektablen Staatsmann und Liebling der Medien - und das innerhalb eines halben Jahres. Zwar nur mithilfe der griechischen Opposition und dabei die eigenen Leute vor den Kopf stoßend, doch immerhin erweist er sich als gelehriger Schüler der "schwäbischen Hausfrau". Anders als dieser Hinterbänkler Corbyn, der anscheinend unbeirrt seit 30 Jahren das vertritt, was er seit 30 Jahren sagt. Ehrlich, aber - was seine bisherige berufliche Entwicklung angeht - absolut kontraproduktiv.

Liebe Mitglieder der Labour-Party, Ihr werdet es hoffentlich einsehen, mit so einem könnt Ihr keinen Blumentopf gewinnen. Jedenfalls nicht in einer "marktkonformen Demokratie". Hört auf Tony Blair und wählt einen zum Parteivorsitzenden, der sich notfalls auch für Kürzungen bei den Armen zu stimmen traut. Wer die dafür notwendige Einsichtsfähigkeit vermissen lässt, ist für das Amt des Labour-Vorsitzenden vollkommen ungeeignet. Schließlich wollen wir den Wählern gar nicht erst suggerieren, es gäbe tatsächlich eine Alternative.

----------

[1] Reuters vom 14.08.2015
[2] Spiegel-Online vom 26.10.2007
[3] The Telegraph vom 11.01.2008
[4] Focus-Online vom 25.06.2013
[5] Der Tagesspiegel vom 18.04.2014