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13. September 2015, von Michael Schöfer
Die Spur verläuft im Sande


Die Flüchtlingskrise überlagert alles, doch dabei gehen - zumindest hierzulande - wichtige Meldungen unter, bei denen die hiesige Presse gründlicher hätte nachhaken müssen. So machte vor kurzem folgende Meldung die Runde: "Diebe vergessen Zehntausende Euro und Dollar in Taxi." In Kasachstan hatten Diebe einen Teil ihrer Beute im Taxi vergessen, was ihnen dank des ehrlichen Taxifahrers zum Verhängnis wurde, der übergab nämlich die 105.000 Euro und 40.000 US-Dollar der Polizei anstatt sie klammheimlich einzustecken. [1]

Die Meldung fand sich in den Gazetten unter der Rubrik "Vermischtes" und sollte wohl vermitteln: Schön blöd, die Diebe. Was allerdings vollkommen unterging, war die Herkunft des Geldes. Die beiden Diebe, so las man, waren in der Stadt Öskemen in das Haus eines "örtlichen Funktionärs" eingedrungen und hatten dort 155.000 Euro, 150.000 US-Dollar sowie 3 Mio. russische Rubel (ca. 40.000 Euro) erbeutet. Außerdem fiel ihnen Schmuck in die Hände. Öskemen (314.000 Einwohner) liegt ganz im Osten des Landes, in der Nähe des Dreiländerecks Kasachstan, Russland und China. Auch zur Mongolei ist es nicht mehr weit. Tiefste Provinz also.

Nun haben Menschen, zumal in einer kasachischen Provinzstadt, selten derart hohe Bargeldbeträge zu Hause. Das Bruttoinlandsprodukt Kasachstans beträgt im Durchschnitt pro Kopf gerade mal 12.456 US-Dollar. Im Jahr, wohlgemerkt, nicht im Monat. Aber um was für einen "örtlichen Funktionär" es sich gehandelt hat, wusste die Presse leider nicht zu berichten. Ein Parteifunktionär oder ein Funktionär der Mafia? (Was gelegentlich auf das Gleiche hinausläuft.) Ein Funktionär des Fußballverbandes oder des Olympischen Komitees? Wir tappen im Dunkeln, weil bedauerlicherweise nicht nachgehakt wurde.

Der Gag der Meldung war die Dummheit der Diebe, dabei wäre die Frage, woher das Geld konkret stammt, viel interessanter gewesen. Der Verdacht, dass es sich dabei um Gewinne aus illegalen Geschäften oder Bestechungsgelder handelt, liegt nahe. Die Spur verläuft jedoch im Sande, die Medien kratzen bloß an der Oberfläche. Eigentlich schade. Aber wahrscheinlich sind die Vorgänge in einem ostkasachischen Nest in Westeuropa einfach nicht interessant genug. Es sei denn, es geht um absolut dämliche Diebe.

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[1] n-tv vom 08.09.2015