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12. März 2016, von Michael Schöfer
Umverteilung ist besser als Helikoptergeld


Die Europäische Zentralbank hat gerade den Leitzins auf null Prozent gesenkt und gleichzeitig den Strafzins für Bankeinlagen bei der EZB auf 0,4 Prozent erhöht. Außerdem soll das Anleihekaufprogramm von monatlich 60 auf 80 Mrd. Euro steigen. Die EZB flutet die Banken mit noch mehr Liquidität, um dadurch, so hofft sie zumindest, die Konjunktur anzuheizen. Mario Draghi fürchtet die Deflation wie der Teufel das Weihwasser und sehnt ein bisschen Inflation herbei. Doch die vorangegangenen Leitzinssenkungen gingen bislang, mit Ausnahme des Immobiliensektors, weitgehend spurlos an der Realwirtschaft vorbei. Aber mit dem Erreichen der Nulllinie ist der Spielraum nun endgültig aufgebraucht, niedriger als auf null kann der Zins naturgemäß nicht sinken.

Jetzt kommen exotische Alternativen ins Spiel, eine der zuletzt häufiger genannten ist das sogenannte "Helikoptergeld". Es geht auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman (1912-2006) zurück, zu Lebzeiten gewissermaßen der Guru der Neoliberalen. Um die Deflation (Prozess ständiger Preisniveausenkungen) und die mit ihr verbundene fatale Abwärtsspirale zu verhindern (geringe Nachfrage > Warenüberhang > Preisnachlässe > Kaufzurückhaltung in Erwartung weiter sinkender Preise > schrumpfende Umsätze und Gewinne > sinkende Investitionen wegen fehlender Gewinnerwartungen > drastische Kostenreduzierungen durch Entlassung von Arbeitnehmern > höhere Arbeitslosigkeit > geringere Nachfrage), sollte die Zentralbank im Notfall, wenn alle anderen Maßnahmen ausgereizt sind, quasi als letzte Rettung einfach vom Hubschrauber aus Geld abwerfen, um die Bürgerinnen und Bürger zum Konsum zu animieren und so die Inflation anzuheizen. Eine hohe Nachfrage wirkt preistreibend, insbesondere wenn dadurch die vorhandene Produktionskapazität ausgereizt oder sogar überfordert wird.

Ein verlockender Gedanke, 5.000 oder gar 10.000 Euro geschenkt zu bekommen, um anschließend shoppen zu gehen. Selbstverständlich ist der Geldabwurf aus dem Helikopter nur im übertragenen Sinne gemeint. Es geht darum, irgendwie Geld unter die Leute zu bringen. Die Süddeutsche meint, in der Realität würde die EZB der Regierung Geld geben, damit die wiederum Steuersenkungen beschließt. [1] Andere weisen darauf hin, dass bestenfalls die Hälfte des Geldes tatsächlich ausgegeben würde, der Rest lande unproduktiv auf den Sparkonten, was den angestrebten Zweck konterkariere. Helikoptergeld mag zugegebenermaßen exotisch klingen, doch wenn man schon zu dieser Verzweiflungstat schreitet, sollte man es wenigstens richtig machen.

Der Reichtum ist bekanntlich höchst ungerecht verteilt, Geld mit der Gießkanne zu verteilen, trifft deshalb oft die Falschen. Nämlich die, die das Geld nicht brauchen, weil sie ohnehin genug davon haben. Das Gleiche gilt in Bezug auf Steuersenkungen. Die, die Geld am nötigsten hätten, zahlen in der Regel keine Steuern, können daher von Steuersenkungen gar nicht profitieren. Allerdings sind das exakt die Schichten, die erwiesenermaßen die höchste Konsumquote (Anteil der Konsumausgaben am verfügbaren Einkommen) aufweisen. Das heißt, wenn man denen Geld gibt, geben sie es auch aus. Und zwar komplett. Leider läuft es bei uns abermals genau andersherum: Den Hartz IV-Beziehern beispielsweise soll künftig durch die geplanten Gesetzesänderungen faktisch Geld gestrichen werden. Unter konjunkturellen Gesichtspunkten geradezu widersinnig. Und aus humanen Gründen absolut inakzeptabel.

Anstatt wahllos Helikoptergeld abzuwerfen, wäre die Verteilung von Gutscheinen wesentlich effektiver. Erstens ließen sich Letztere zielgenauer zu den eigentlich Bedürftigen bringen, zweitens landen sie nicht auf den Sparkonten, kommen also vollständig dem gewünschten Zweck zugute. Wenn die Gutscheine obendrein personalisiert sind, lässt sich selbst der Weiterverkauf unterbinden. Unter Umständen kann man sie auf bestimmte Warengruppen (langlebige Gebrauchsgüter) begrenzen oder den Kauf von Genussmittel (Alkohol, Tabakwaren etc.) verbieten.

So verlockend der Gedanke klingt, er ist dennoch der falsche Weg. Helikoptergeld oder Gutscheine wären lediglich ein Strohfeuer, wir bräuchten aber strukturelle Änderungen. Wer durch eine kluge Sozial- und Arbeitsmarktpolitik die Kluft zwischen Arm und Reich spürbar verringert, stärkt den Konsum dauerhaft - und nicht bloß für kurze Zeit. Anders ausgedrückt: Wir müssten wieder umverteilen, aber diesmal von oben nach unten (und nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten umgekehrt). Komisch, dass man immer wieder zu diesem simplen, aber leider nie umgesetzten Rezept zurückkehrt, während der Kapitalismus von Mal zu Mal heftigere Krisenerscheinungen zeigt. Anscheinend werden wir durch Schaden einfach nicht klug. Umverteilung mag heute als genauso exotisch erscheinen wie das Abwerfen von Geld aus dem Hubschrauber. Genau das ist unser Problem, die neoliberale Gehirnwäsche hat offenbar bestens funktioniert.

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[1] Süddeutsche vom 29.02.2016