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03. April 2016, von Michael Schöfer
Im Beratungswesen tummeln sich zu viele Dilettanten


Ich war einmal vor Jahren auf einem, nun ja, wohl eher arbeitgebernahen Seminar. Es ging dabei um das damals noch sehr junge AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), das Diskriminierungen im Geschäftsleben unterbinden soll. Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität konnten fortan zu Schadenersatzzahlungen führen, wenn etwa ein Bewerber aus den vorgenannten Gründen nicht eingestellt wird. Auf Seiten der Arbeitgeber war deshalb anfangs die Unsicherheit mit dem im August 2006 in Kraft getretenen Gesetz recht groß, ungeachtet der Tatsache, dass das AGG eigentlich bloß die Vorgaben des seit 1949 geltenden Grundgesetzes präzisiert. Selbstverständlich waren die Arbeitgeber für jede Hilfestellung dankbar. Ein Referent, irgendein Professor soundso, brachte das Ganze kurz und knapp auf den Nenner: "Diskriminieren Sie, aber diskriminieren Sie richtig." Das war ein guter, wenngleich moralisch anrüchiger Ratschlag.

Das AGG lässt es nämlich zu, die eingangs erwähnten Aspekte in Entscheidungen mit einfließen zu lassen, solange es dafür einen sachlichen Grund gibt. So sind Altersgrenzen zulässig, wenn es die Tätigkeit erfordert. Deswegen suchen Gastwirte seitdem stets geschlechtsneutral einen "Kellner m/w", obgleich man insgeheim junge, hübsche Studentinnen bevorzugt, die einen höheren Umsatz generieren. Eingeweihte sprechen dabei abschätzig, aber durchaus zutreffend vom "Titten-Faktor" (das, was die Restaurantkette "Hooters" in Amerika zum Geschäftsmodell erhoben hat). Natürlich wird der männliche Student niemals wegen seines - in diesem Fall falschen - Geschlechts abgelehnt, sondern nur, weil er - Achtung: Sachgrund! - beim Abi in Mathe einen Punkt schlechter war als die kurvige Mitbewerberin. Schließlich müssen Kellnerinnen/Kellner rechnen können, werden kluge Gastronomen augenzwinkernd einwerfen. Sie beherzigen eben lediglich den Ratschlag "Diskriminieren Sie, aber diskriminieren Sie richtig". Solche vorgeschobenen Sachargumente sind, wie jeder weiß, nur schwer zu widerlegen. Dumme Arbeitgeber, die männliche Bewerber wegen mangelnder Oberweite ablehnen, gehen hingegen das Risiko ein, auf Schadenersatz verklagt zu werden.

Was lernen wir daraus? Auf die richtigen Berater kommt es an. Ohnehin sind Berater, übrigens ein weitverbreitetes Missverständnis, nicht dazu da, ihren Auftraggebern die Verwirklichung der Bergpredigt zu empfehlen. Sie sind vielmehr dazu da, in der Öffentlichkeit möglichst geschickt den Eindruck zu erwecken, als hätten ihre Auftraggeber einzig und allein die Verwirklichung der Bergpredigt zum Ziel, während es ihnen in Wahrheit um wesentlich unedlere Motive geht. Das mag zynisch klingen, aber so ist nun mal das Beratungswesen. Jedenfalls meistens. Gute Berater sind in der Lage, ihren Auftraggebern den Friedensnobelpreis zu verschaffen, obgleich diese mit Drohnenangriffen rechtswidrig Menschen töten. Gute Berater versehen ihre Auftraggeber mit einem Heiligenschein und erklären deren Fehler zu Petitessen, in der Wirtschaft sind daher unzählige Beraterstäbe mit Greenwashing befasst.

Das müssten vor allem die Politiker wissen, aber im Beratungswesen tummeln sich bedauerlicherweise viel zu viele Dilettanten. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Nehmen wir zum Beispiel den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (Aussprache bitte ohne "g"), dem hätte kürzlich ein Berater dringend etwas vom Streisand-Effekt erzählen sollen. "Als Streisand-Effekt wird ein Phänomen bezeichnet, wonach der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken oder entfernen zu lassen, öffentliche Aufmerksamkeit nach sich zieht und dadurch das Gegenteil erreicht wird, dass nämlich die Information einem noch größeren Personenkreis bekannt wird." [1] Die Schauspielerin Barbara Streisand wollte auf dem Klageweg die Verbreitung eines Fotos ihres luxuriösen Anwesens an der kalifornischen Küste verhindern, wodurch es erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte. Der Fotograf war schlauer: Er argumentierte, "er habe den Strand fotografiert, um die Küstenerosion für das California Coastal Records Project zu dokumentieren". Das liegt auf der gleichen Linie wie "Diskriminieren Sie, aber diskriminieren Sie richtig". Streisand zog daraufhin vor Gericht den Kürzeren, entscheidend war der plausible Sachgrund. Nun weiß jedoch jeder, wo und vor allem wie die Schauspielerin lebt. Hätte sie auf die Klage verzichtet, wäre das Foto längst vergessen.

Recep Tayyip Erdogan, dem Kritiker unterstellen, er wäre gerne Sultan (immerhin hat die türkische Präsidentengattin Emine Erdogan schon einmal vorsorglich die positiven Aspekte des Harems im Osmanischen Reich gepriesen) [2], wollte von der Bundesregierung einen Satire-Beitrag des NDR-Magazins "extra 3" verbieten lassen. Dafür hat er eigens den deutschen Botschafter in Ankara ins Außenministerium einbestellen lassen. Erdogans Berater gehören gefeuert, denn erst dadurch wurde die ganze Welt auf das Satire-Filmchen "Erdowie, Erdowo, Erdogan" aufmerksam. Spätestens jetzt kennt Erdogan auch Barbara Streisand.

Noch schlimmer: Bei einem Auftritt in Washington wollten seine Leibwächter einen Journalisten, der für Oppositionsmedien arbeitet, gewaltsam aus dem Raum entfernen, was allerdings vom amerikanischen Sicherheitspersonal verhindert wurde. Auch vor dem Gebäude gerieten seine Beamten mit Anti-Erdogan-Demonstranten aneinander. [3] Wenn Erdogans Eskorte sich erdreistet, in den USA die Hoheitsrechte der Amerikaner mit Füßen zu treten und sich anmaßt, sogar dort willkürlich über die Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit zu entscheiden, kann man sich leicht ausmalen, was Kritiker in der Türkei zu erleiden haben. Die Beteuerungen des türkischen Präsidenten, in seinem Land sei die Pressefreiheit gewährleistet, dürften nun endgültig als das erkannt werden, was sie sind: Seifenblasen. Gute Berater hätten ihn vor derlei Fehltritten gewarnt. Andererseits, es hat alles auch sein Gutes... Man stelle sich vor, Erdogan könnte der Öffentlichkeit erfolgreich weismachen, er sei ein gutmütiger Sultan und kein engstirniger, rachsüchtiger Autokrat.

Apropos Fehltritte: Selbst Satiriker geraten gelegentlich in Gefahr, dem Größenwahn zu erliegen. Jan Böhmermann, der für die Stinkefinger-Satire, in der er den damaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis auf die Schippe nahm, mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, ist der Erfolg vielleicht ein bisschen zu Kopf gestiegen. Unter Umständen hat auch der Druck, sich ständig etwas Neues einfallen lassen zu müssen, sämtliche Sicherungen außer Kraft gesetzt. In seiner Sendung "Neo Magazin Royale" hat Böhmermann ein Schmähgedicht über Recep Tayyip Erdogan vorgetragen. Über Niveau kann man bekanntlich streiten, aber Böhmermann gelingt das Kunststück, noch unter die Grasnarbe abzutauchen.
Böhmermann zeigt, im Gegensatz zu "extra 3", wie man es nicht machen sollte. Vulgäre Beleidigungen helfen keinem, am allerwenigsten den Opfern des türkischen Präsidenten. Absolut kontraproduktiv, wenn Sie mich fragen. Hat Böhmermann überhaupt Berater? Wenn ja, gehören sie genauso gefeuert wie die von Erdogan. Unabhängig davon würde ich ihm dringend raten, in den nächsten Jahren auf einen Türkei-Urlaub zu verzichten. Hoffentlich ist er nicht beratungsresistent.

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[1] Wikipedia, Streisand-Effekt
[2] Spiegel-Online vom 10.03.2016
[3] tagesschau.de vom 01.04.2016