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16. April 2016, von Michael Schöfer
Machen Sie sich bloß nicht lustig!


Angela Merkel hat in der Causa Böhmermann (Neo Magazin Royale) wahrlich eine ganz besondere Volte hingelegt. Offiziell hat sie das Ermittlungsverfahren gegen den ZDF-Moderator zugelassen, aber gleichzeitig angekündigt, dass der § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) demnächst abgeschafft wird. Das soll bis 2018 erfolgen. Deshalb ist es durchaus möglich, dass Böhmermann selbst dann nicht bestraft wird, wenn die Richter in seiner angeblichen Satire tatsächlich eine Beleidigung Erdogans sehen sollten. § 2 Abs. 3 StGB legt nämlich fest: "Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden." Dem Strafrechtsexperten Udo Vetter (Lawblog) zufolge gäbe es somit nach der Abschaffung des § 103 keine Grundlage mehr für eine Verurteilung. Und ein Prozess, der durch alle Instanzen geht, dauert bekanntlich ziemlich lange. Ist das nicht perfide, wie die Bundeskanzlerin den türkischen Präsidenten über den Tisch zieht? Und der merkt es wahrscheinlich nicht einmal, denn ob Erdogan über alle Feinheiten des deutschen Strafrechts informiert ist, wage ich zu bezweifeln. Ich wette, vor der besagten Sendung im ZDF war dieser Paragraph fast allen Deutschen völlig unbekannt. Von Türken also ganz zu schweigen.

Okay, okay, ich halte zwar weder etwas von Jan Böhmermann im Allgemeinen noch von seiner Erdogan-Satire im Besonderen, aber ich trete natürlich im Zweifelsfall für die Kunstfreiheit ein - auch wenn ich in diesem widerlichen Schmähgedicht keine Kunst entdecken kann. Doch das sind Geschmacksfragen, es geht hier indes ums Grundsätzliche. Hoffentlich fühlen sich jetzt nicht sämtliche Diktatoren dieser Welt dazu berufen, in Deutschland die Bestrafung von Bloggern oder Journalisten zu fordern, wenn diese einen Diktator wie bislang üblich einen Diktator nennen. Oder noch schlimmer: einen blutrünstigen Diktator. Darf man Putin überhaupt noch dämonisieren? Vorsicht, er könnte sich beleidigt fühlen. Darf man sich nach wie vor über Kim Jong Uns Leibesfülle und Frisur lustig machen? Er könnte sich beleidigt fühlen. Nehmen wir an, ich bezeichne - wie BILD - Baschar al-Assad als "größten Schlächter Syriens", womöglich muss sich das Bundeskabinett dann endlich einmal mit mir beschäftigen - und nicht bloß mit einem gewissen Horst Seehofer, der aus München immer wieder querschießt. Ich sehe schon die grausame Bestrafung vor meinem geistigen Auge: Gemeinsam mit Kai Diekmann in einer Zelle. Nicht auszudenken! Wohin wird das noch führen?

Mein Rat an alle Leserinnen und Leser: Machen Sie sich bloß nicht lustig! Vermeiden Sie jede Herabsetzung eines ausländischen Staatsoberhauptes, sei sein Charakter auch noch so zweifelhaft. Demonstrieren Sie niemals gegen ein Mitglied einer ausländischen Regierung. Sofern es sich gerade in amtlicher Eigenschaft in der Bundesrepublik aufhält, droht Ihnen dasselbe wie Böhmermann. Steht jedenfalls in § 103 StGB. Und mein Rat an die potenziellen Opfer: Beleidigte aller Länder, vereinigt Euch! Hier in Deutschland. Zumindest solange der Paragraph noch gilt.

Postscriptum: Jetzt mal ehrlich, lieber Jan, es kann doch einem Moderator des drögen öffentlich-rechtlichen Fernsehens gar nichts Besseres passieren, als von Recep Tayyip Erdogan angezeigt zu werden. Hättest Du Dir je träumen lassen, vom Mainzer Lerchenberg aus die Welt zu erobern und zur globalen Berühmtheit heranzureifen? Auf Augenhöhe mit Julian Assange und Edward Snowden? Nun gut, reifen... Lassen wir das. Aber insgeheim freust Du Dich doch bestimmt diebisch. Unsereins hat allenfalls Aussicht auf die berüchtigten 15 Minuten Ruhm, Dich dagegen wird man nicht mehr so schnell vergessen. Bei Dir zu Hause müssen doch die Sektkorken geknallt haben.