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04. November 2016, von Michael Schöfer
Unverfrorenheit


Das nennt man gemeinhin Chuzpe, Volkswagen behauptet auf einmal: Wir haben gar nicht manipuliert. Auf Anfrage von SZ, NDR und WDR antwortet der Konzern, "die in den betreffenden Fahrzeugen eingebaute Software stelle nach Ansicht des Konzerns 'keine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht dar.'" [1] Der geneigte Leser reibt sich verwundert die Augen.

Das klang nämlich vor kurzem noch ganz anders:
  • "Die Manipulationen sind durch nichts zu entschuldigen und haben Volkswagen stark erschüttert. Das Unternehmen wird sich einer konsequenten Aufarbeitung stellen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und die notwendigen Konsequenzen ableiten." [2]
  • "Die Testmanipulationen bedeuten für Volkswagen ein moralisches und politisches Desaster. Das rechtswidrige Verhalten von Entwicklern und Technikern in der Motorenentwicklung hat Volkswagen ebenso geschockt, wie die Öffentlichkeit. Wir können uns nur entschuldigen und Kunden, Öffentlichkeit, Behörden und Anleger darum bitten, dass wir die Chance zur Wiedergutmachung erhalten." [3]
  • "Meine vordringlichste Aufgabe wird es sein, Vertrauen für den Volkswagen Konzern zurückzugewinnen – durch schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz…" [4]
  • "Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen Konzern möglich waren." [5]
  • "Volkswagen muss wieder für mehr Integrität stehen. Nicht nur auf dem Papier. Sondern immer und überall. Wir werden alles dafür tun, damit die Regeln auch von allen eingehalten werden. Dieser Konzern und seine Marken stehen für Nachhaltigkeit, für Verantwortung, für Glaubwürdigkeit. Natürlich scheint vieles davon jetzt erschüttert. Aber: Ich will zusammen mit Ihnen beweisen, dass unsere Werte gelten. Und dass Volkswagen, dass wir alle das Vertrauen der Menschen verdienen." [6]
  • "Kein Geschäft rechtfertigt es, gesetzliche und ethische Grenzen zu überschreiten. Ich garantiere Ihnen hier und heute, dass wir diese rückhaltlose Aufklärung zum Abschluss führen werden. Dafür stehe ich, dafür steht der gesamte Aufsichtsrat der Volkswagen AG." [7]
Nun wird das "Mea Culpa" kurzerhand zurückgezogen - jedenfalls in Bezug auf Europa. Eigentlich sei überhaupt nichts passiert, denn auf dem Prüfstand habe VW die Abgaswerte ja eingehalten. Auf dem Prüfstand! Leider nicht im Alltagsbetrieb auf der Straße. Sorry, aber das sei eben, rein rechtlich gesehen, keine Manipulation. Außerdem bestreitet VW die Gefährlichkeit der Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw: "Eine seriöse Ermittlung von Krankheitszahlen oder sogar Todesfällen für bestimmte Bevölkerungsgruppen ist nach unserem Kenntnisstand aus wissenschaftlicher Sicht nicht möglich." [8]

Ob Volkswagen so seine Glaubwürdigkeit zurückbekommt, darf bezweifelt werden, denn die lauthals versprochene "schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz" sieht eigentlich anders aus. Über das Verhalten des Autobauers kann man bloß den Kopf schütteln. Kaum anzunehmen, dass die Verantwortlichen mit dieser Taktik wirklich gut beraten sind. Aber mal abwarten, was die Gerichte dazu sagen.

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[1] Süddeutsche vom 03.11.2016
[2] VW, Erklärung des Aufsichtsrats der Volkswagen AG am 25.09.2015
[3] VW, der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Berthold Huber in einer Erklärung des Aufsichtsrats der Volkswagen AG am 25.09.2015
[4] VW, Konzernchef Matthias Müller anlässlich seiner Amtseinführung am 25.09.2015
[5] VW, der scheidende Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, Erklärung vom 23.09.2015
[6] VW, Matthias Müller auf einer Betriebsversammlung vor der Wolfsburger Belegschaft Anfang Oktober 2015
[7] VW, VW-Aufsichtsratsvorsitzender Hans Dieter Pötsch im Dezember 2015
[8] Süddeutsche a.a.O.