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26. Januar 2017, von Michael Schöfer
Trump könnte sich als noch größere Katastrophe entpuppen


Donald Trump und seine bislang erkennbare Politik sollte man differenziert betrachten, also anders als er es in Bezug auf seine politischen Gegner tut. Sehen wir einmal von der offenbar hochproblematischen Psyche des US-Präsidenten ab, müssen wir nämlich festhalten: Man kann durchaus der Meinung sein, hohe Zollschranken und die Abkehr vom Freihandel sei gut für die amerikanische Wirtschaft. Ob sich das am Ende für die USA wirklich als vorteilhaft erweist, steht auf einem anderen Blatt. Das entscheidet sich auf dem Feld der Ökonomie. Gut möglich, dass er mit Protektionismus wieder einige Industriearbeiterjobs zurückholt. 50 Prozent der Wirtschaft sind ohnehin Psychologie, folglich könnte er mit seiner ruppigen Art gegenüber den Konzernbossen zumindest Teilerfolge erzielen. Es kann aber auch genauso gut sein, dass er mit seinen aus der Perspektive eines Immobilienunternehmers geprägten Ansichten furchtbar auf den Bauch fällt. Volkswirtschaften sind bekanntlich keine Firmen. Letztlich kommt es darauf an, wie die Investoren reagieren. Zwingen, so zu investieren, wie Trump es sich wünscht, kann er keinen. Und solange sich die Rückkehr nach Amerika nicht lohnt, werden vermutlich auch nur wenige diesem Ruf folgen. Wir werden es erleben.

Der neue US-Präsident darf selbstverständlich die Meinung vertreten, China hätte den Welthandel mit unfairen Mitteln zum Nachteil der USA ausgenutzt. Von den insgesamt 762 Mrd. US-Dollar Handelsbilanzdefizit gingen 2015 allein 367 Mrd. auf das Konto von China, in den ersten elf Monaten 2016 steht bereits ein Minus von 319 Mrd. US-Dollar zu Buche. [1] Darauf, dass die nicht enden wollenden US-Handelsbilanzdefizite (der letzte Überschuss wurde 1975 erwirtschaftet) und die damit einhergehende Auslandsverschuldung selbst für die stärkste Volkswirtschaft der Welt auf Dauer nicht durchzuhalten sind, haben Kritiker schon lange vor Trump hingewiesen. Wie gesagt, man mag die Rezepte des neuen US-Präsidenten beanstanden, das zugrundeliegende Problem ist freilich nicht von der Hand zu weisen. Nur hat es eben in den zurückliegenden Jahrzehnten, von Gerald Ford über Ronald Reagan und Bill Clinton bis zu Barack Obama, kein Präsident ernsthaft angepackt. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hielt 2009 "protektionistische Maßnahmen der USA gegen Chinas Handelsstrategie", die er als "Merkantilismus" bezeichnete, "für eine geeignete wie unumgängliche Gegenstrategie". Er berief "sich dabei auf Paul Samuelson, der die Argumente für Freihandel als ineffektiv betrachtete, sobald eine Volkswirtschaft in Unterbeschäftigung mit einer Volkswirtschaft konfrontiert wird, die den Export subventioniert." [2] Jetzt sind Sie vermutlich irritiert, denn der liberale Ostküstenintellektuelle Paul Krugman hat sich bislang nicht gerade als Freund von Donald Trump hervorgetan. Paul A. Samuelsons 1948 erschienenes Buch "Einführung in die Volkswirtschaftslehre" gilt noch heute als Standardwerk der Wirtschaftswissenschaft. Samuelson bekam ebenfalls den Wirtschaftsnobelpreis und war einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts.

Natürlich darf Donald Trump der Auffassung sein, die Grenze zum Nachbarland Mexiko mit einer Mauer dichtmachen zu müssen, um die illegale Einwanderung zu stoppen. Nicht wenige werden das für nutzlos halten und obendrein als unmenschlich bezeichnen, aber es sei hier nur einmal daran erinnert, wie viele europäische Politiker angesichts des Flüchtlingsstroms, der in der zweiten Jahreshälfte 2015 übers Mittelmeer nach Europa schwappte, den Bau eines Grenzzaunes empfahlen. Beileibe nicht bloß der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, beispielsweise auch der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU), der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten (CDU) oder der EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU). (Was die Forderung allerdings nicht richtiger macht.) In der spanischen Exklave Ceuta in Marokko gibt es einen solchen Grenzzaun schon lange. Baubeginn war 1993 unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González (PSOE). Die Kosten trug damals übrigens zu 75 Prozent die EU. 1995, noch unter González, wurde der Zaun erweitert und mit Stacheldraht versehen. 2005 wurde er unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) von drei auf sechs Meter erhöht. [3] Man mag Trumps Absicht für falsch halten, aber es gibt dazu eben auch andere Meinungen. Und das teilweise sogar aus einer politischen Ecke, die man normalerweise nicht mit Trump in Verbindung bringt. Blödsinn ist dagegen die Forderung des US-Präsidenten, die Mauer möge die mexikanische Regierung bezahlen. Wie viel politisches Porzellan er zu zerschlagen bereit ist, zeigt die undiplomatische Ausladung des mexikanischen Präsidenten Nieto per Twitter.

Wofür man ihn jedoch uneingeschränkt kritisieren muss, ist seine absolut inakzeptable Haltung zur Folter. "Er sei der Meinung, dass Folter funktioniere, sagte Trump in einem Interview mit dem TV-Sender ABC News. (…) Auf die konkrete Frage nach der Praxis des sogenannten Waterboarding - simulierten Ertränkens von Verdächtigen - entgegnete Trump: 'Ich will nicht, dass Leute im Nahen Osten die Köpfe von Christen und anderen Menschen abschneiden. (...) Und uns ist es nicht erlaubt, irgendwas zu tun. Wir spielen nicht nach den gleichen Spielregeln.' Man müsse Feuer mit Feuer bekämpfen. Trump erklärte aber auch, dass er sich an das halten werde, was Verteidigungsminister James Mattis und CIA-Chef Mike Pompeo für richtig erachteten. Beide hatten sich gegen Folter ausgesprochen. 'Wenn sie es nicht wollen, ist das okay. Wenn sie es wollen, werde ich darauf hinarbeiten.' Er werde alles tun, was im Rahmen der Rechtmäßigkeit liege." [4]

Folter ist generell verboten - selbst wenn sie nützlich wäre (was viele bestreiten). Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte legt unmissverständlich und ohne Ausnahme fest: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." [5] Auch Artikel 3 der Genfer Konvention vom 12.08.1949 verbietet "Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung". [6] In die Reihe der für die USA verbindlichen völkerrechtlichen Verträge, die Folter untersagen, gehören auch der "Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte" vom 16.12.1966 und die "UN-Antifolterkonvention" vom 10.12.1984. Von der Verfassung der Vereinigten Staaten (8. Zusatzartikel) ganz zu schweigen. Der CIA-Folterbericht des US-Senats, der sich auf die Zeit unter George W. Bush bezieht, belegt klar und deutlich, wohin es führt, wenn man Folter erlaubt: In den moralischen Abgrund. Darin steht auch der Satz: "Die harschen Verhörmethoden der CIA waren kein effektives Mittel, Geheimnisse zu erfahren oder die Kooperation der Gefangenen zu erlangen." [7] Donald Trump müsste den Bericht bloß lesen. Das vollständige Dokument unterliegt übrigens nach wie vor der Geheimhaltung, uns wird also noch immer die ganze Wahrheit vorenthalten.

Folterer wissen, dass sie illegal handeln, sonst würden sie es ja nicht an geheimen Orten machen, sondern vor den Augen der Öffentlichkeit. Und es kann nicht im Belieben eines Verteidigungsministers oder eines Geheimdienstchefs liegen, ob gefoltert wird oder nicht. Wer foltert, versündigt sich an der Zivilisation und verrät die Werte, für die der Westen angeblich steht. Trump, der im Wahlkampf angekündigt hat, noch schlimmere Foltermethoden anzuwenden, als es seinerzeit George W. Bush getan hat, wäre dann um keinen Deut besser als die Terroristen des sogenannten "Islamischen Staates". Wer foltern lässt, ist ein Schurke. Auf seine Motive kommt es dabei gar nicht an. Trump scheint einfach nicht zu begreifen, dass Demokratien anders handeln müssen. Ein Rechtsstaat zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass er dem staatlichen Handeln bewusst Grenzen setzt und diese auch einhält. Und zwar immer. Andernfalls wäre er kein Rechtsstaat mehr. Kehren die USA unter Trump wirklich zur Folter zurück, wird er die Reputation der westlichen Führungsmacht wohl endgültig ruinieren. Die Vereinigten Staaten würden auf diese Weise nur noch mehr Terroristen heranzüchten. Aber vermutlich ist Donald Trump außerstande, aus dem krassen Versagen der Regierung Bush die entsprechenden Lehren zu ziehen. Wie moralisch auf den Hund gekommen das "land of the free" nach acht Jahren George W. Bush war, ist anscheinend völlig vergessen. Trump könnte sich deshalb als noch viel größere Katastrophe entpuppen.

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[1] United States Census Bureau, Foreign Trade, Trade in Goods with China
[2] Wikipedia, Protektionismus, entnommen aus der New York Times vom 31.12.2009
[3] Wikipedia, Grenzzaun bei Ceuta
[4] tagesschau.de vom 26.01.2017
[5] Wikipedia, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
[6] Schweizerische Eidgenossenschaft, Der Bundesrat - das Portal der Schweizer Regierung, Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde
[7] Die-Welt N24-Online vom 10.12.2014