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24. Februar 2017, von Michael Schöfer
Wozu 2 Prozent fürs Militär?


Mit Militärausgaben ist das so eine Sache: Herrscht dauerhaft Frieden, stehen Panzer und andere Rüstungsgüter nutzlos in der Landschaft herum. Vergeudete Haushaltsmittel, die man in anderen Bereichen wohl besser hätte gebrauchen können. Wobei einem natürlich immer wieder das lateinische Sprichwort "Si vis pacem para bellum" (Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg) vorgehalten wird. Es gebe den Frieden eben bloß, weil man potenzielle Friedensbrecher durch die Bereitstellung eigener militärischer Möglichkeiten erfolgreich von einem Angriff abschreckt. Insofern hätten die Waffen, selbst wenn sie nie zum Einsatz kämen, trotzdem ihren Sinn (gehabt). Das ist natürlich schwer zu widerlegen. Wobei man aber genauso wenig beweisen kann, dass andere sich nur deshalb von einem Angriff abhalten ließen. Vielleicht hatten sie nie die Absicht, einen Krieg zu beginnen. Doch der Mensch ist dem Menschen bekanntlich ein Wolf. Will heißen: Es wäre naiv, auf das Gute zu vertrauen, denn allzu oft wird man diesbezüglich enttäuscht.

Kommen andererseits die zahlreich vorhandenen Waffen zum Einsatz, versagt also - um in der Terminologie zu bleiben - die Abschreckung, hätte das zweifellos verheerende Auswirkungen. Industriegesellschaften sind gegenüber militärischen Angriffen besonders verwundbar. Käme das ganze Militärpotenzial zum Einsatz, würden die kriegerischen Auseinandersetzungen den dichtbesiedelten Kontinent wahrscheinlich vollständig verwüsten. Und kämen dabei auch noch Nuklearwaffen zum Einsatz, stünde das Überleben ganzer Nationen auf dem Spiel (wenn nicht sogar das der ganzen Menschheit). Die Abschreckungspolitik unter dem Damoklesschwert der Atombombe kam deshalb schon von jeher einem Ritt auf der Rasierklinge gleich. [1]

Der Kommunismus ist bekanntlich 1989 zusammengebrochen, und manch einer hat damals fahrlässigerweise schon das "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama) ausgerufen, was natürlich, wie wir heute wissen, blanker Unsinn war. Doch einige Zeit glaubte man wirklich, durch Abrüstung eine Friedensdividende erwirtschaften zu können. Und tatsächlich sind die Waffenarsenale drastisch reduziert worden. Zu drastisch, wie einige meinen. Neuerdings fürchten sich die Europäer wieder vor einem großen Krieg. Ob diese Ängste realistisch sind oder nicht, sei einmal dahingestellt. Putin mag sich die Krim geschnappt haben, aber ob er Deutschland angreifen würde, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Doch die Wahl von Donald Trump hat einiges in Bewegung gebracht. Die europäischen Nato-Mitgliedstaaten würden zu wenig für ihre eigene Verteidigung tun. Und der neue US-Präsident hat durchblicken lassen, die Beistandsgarantie gemäß Artikel 5 des Nordatlantikvertrags vom finanziellen Engagement der Europäer abhängig zu machen. Mit anderen Worten: Die Beistandsgarantie, also das eigentliche Fundament der Nato, gilt nur noch bedingt. Bislang war es undenkbar, dass sich die USA bei einem Angriff auf Europa heraushalten könnten. Jetzt muss man genau das einkalkulieren.

Die Nato-Staaten hatten sich 2014 darauf geeinigt, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Spätestens 2024 müssen alle Nato-Staaten das anvisierte Ziel erreichen. 20 Prozent des Verteidigungshaushaltes sollen dann für Großgerät ausgeben werden. Momentan sind allerdings viele noch weit davon entfernt.


Militärausgaben
in Mrd. US-Dollar (2015)
[2]
Militärausgaben
in % des BIP (2015)
Militärausgaben
in Mrd. US-Dollar
bei 2 % des BIP
Albanien
0,132
1,1 %
0,240
Belgien
4,168
0,9 %
9,262
Bulgarien
0,661
1,4 %
0,944
Kroatien 0,755
1,6 %
0,944
Tschechien
1,778
1,0 %
3,556
Dänemark 3,463
1,2 %
5,772
Estland 0,457 2,0 % 0,457
Frankreich 50,860 2,1 % 50,860
Deutschland 39,393 1,2 % 65,655
Griechenland 5,083 2,6 % 5,083
Ungarn 1,023 0,8 % 2,558
Italien 23,840 1,3 % 36,677
Lettland 0,286 1,0 % 0,572
Litauen 0,471 1,1 % 0,856
Luxemburg 0,303 0,5 % 1,212
Niederlande 8,873 1,2 % 14,788
Norwegen 5,898 1,5 % 7,864
Polen 10,460 2,2 % 10,460
Portugal 3,684 1,9 % 3,878
Rumänien 2,481 1,4 % 3,544
Slowakei 0,973 1,1 % 1,769
Slowenien 0,407 1,0 % 0,814
Spanien 14,104 1,2 % 23,507
Türkei 15,275 2,1 % 15,275
Großbritannien 55,460 2,0 % 55,460
Nato Europa 250,288
322,007 (+71,719)
Kanada 15,031 1,0 % 30,062
USA 596,024 3,3 % 596,024
Nato insgesamt 861,343
948,093 (+86,750)

Zum Vergleich:
Russland 66,421 5,4 %
VR China 214,787 1,9 %

Würden die Nato-Staaten, die bislang unter den besagten zwei Prozent des BIP liegen, ihre Verteidigungsausgaben bis zu dieser Schwelle erhöhen, müssten die europäischen Nato-Staaten 71,7 Mrd. US-Dollar mehr ausgeben als zur Zeit. Ein Plus, das höher wäre als der gesamte russische Verteidigungshaushalt. In diesem Fall würden sie fast fünfmal so viel fürs Militär ausgeben wie Moskau (heute: 3,77-mal so viel). Insgesamt wären die Verteidigungsausgaben der Nato dann gut 14-mal höher als die Russlands (heute: 12,97-mal so viel). Der Unterschied zum gegenwärtigen Zustand ist also relativ gering.

Der Anteil der Personalkosten macht bei den großen europäischen Nato-Staaten jeweils rund die Hälfte des Verteidigungshaushaltes aus (Deutschland 49,86 %, Frankreich 47,79 %), bei vielen sogar wesentlich mehr (Spanien 65,18 %, Italien 77,55 %), während er bei Großbritannien (36,88 %) und den USA (36,64 %) bloß gut ein Drittel beträgt. Demgegenüber sind die Ausgaben für die Ausrüstung vergleichsweise gering: Deutschland 11,93 %, Frankreich 25,04 %, Spanien 14,82 %, Italien 9,72 %, Großbritannien 22,38 % und USA 25,41 %. [3] Die Nuklearmächte haben naturgemäß einen höheren Sachaufwand, so kostet etwa die Force de frappe (Force de dissuasion nucléaire de la France) rund ein Zehntel des französischen Verteidigungshaushalts. [4]

Es ist sicherlich sinnvoll, mehr in die Ausrüstung zu investieren und so unstreitig vorhandene Mängel zu beseitigen, doch das ist nicht nur eine Frage der Kosten. Zahlen sind das eine, die Verwendung von Haushaltsmitteln das andere. Die Europäer verschwenden nämlich ziemlich viel Geld: Nach einer Studie besitzen die europäischen Armeen 14 unterschiedliche Kampfpanzer, die US-Army nur einen, die Europäer 16 verschiedene Kampfjets, die Amerikaner nur sechs. "Angesichts der hohen Fixkosten von Rüstungsgütern ist diese Fragmentierung eindeutig ineffizient", schreiben die Autoren. [5] Die Erhöhung der Verteidigungshaushalte würde daran zunächst einmal nichts ändern. Würde man das vorhandene Geld effizienter verwenden, könnte man sich einen Teil der geforderten Erhöhung sparen.

All das ist jedoch von der Grundsatzentscheidung abhängig, welches Bündnis wir überhaupt wollen. Wollen wir Streitkräfte zur Landes- bzw. Bündnisverteidigung oder wollen wir global einsetzbare Interventionsstreitkräfte? Rein theoretisch könnten sich die (noch) 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchaus auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten bewegen. Die EU hat 510 Mio. Einwohner, die USA haben 323 Mio. Das Bruttoinlandsprodukt der EU beträgt 15,97 Bio. US-Dollar, das der USA 17,95 Bio. US-Dollar (Stand: 2015). Die EU könnte also, sofern sie es wollte, eine militärische Supermacht sein. Würde die EU ebenfalls 3,3 Prozent des BIP fürs Militär ausgeben, hätte ihr Verteidigungshaushalt die schwindelerregende Höhe von 527 Mrd. US-Dollar. Doch wozu? Um wie die US-Navy mit 10 Flugzeugträgern über die Weltmeere zu schippern? Um wie die Vereinigten Staaten weltweit über rund 1.000 Militärstützpunkte zu verfügen? Um eventuell sogar eine eigene Nuklearstreitmacht mit tausenden von Sprengköpfen zu besitzen? Unnütz, übertrieben und gefährlich. Außerdem geben die Folgen der amerikanischen Interventionen keinen Anlass zu der Auffassung, man könne die globalen Probleme militärisch lösen. Im Gegenteil, viele Probleme sind dadurch noch verschärft worden (z.B. in Nahost). Und was sollen, bitteschön, Panzer gegen die Erderwärmung ausrichten? Die beste Art, Konflikte zu entschärfen respektive zu verhüten, ist eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die die Umwelt vor irreparablen Schäden bewahrt.

Die Diskussion um eine drastische Erhöhung der Verteidigungshaushalte ist in meinen Augen eine Gespensterdiskussion, die an den wahren Ursachen der Misere keinen Deut ändert. Den Menschen brennen doch soziale Fragen unter den Nägeln. Dumpfer Patriotismus und militärisches Imponiergehabe sollen bloß davon ablenken, dass die eigentliche Auseinandersetzung die zwischen Arm und Reich ist. Übrigens national und global.

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[1] siehe Abschreckung vom 22.06.1983
[2] SIPRI, Military expenditure data: 1988–2015, Excel-Datei mit 584 kb
[3] Nato, Defence Expenditures of NATO Countries (2009-2016), PDF-Datei mit 631 kb
[4] Wikipedia, Force de frappe
[5] Handelsblatt vom 26.06.2013