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16. Mai 2017, von Michael Schöfer
Darf ich Ihnen noch ein Törtchen reichen, Frau von und zu…?


In Baden-Württemberg haben die Sozialdemokraten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) scharf kritisiert, weil dieser rund 70 Vertreter aus Adelsfamilien zu einem Abendessen eingeladen hat, um ihnen für den Erhalt von Liegenschaften zu danken. "Die Leute müssen sehr hohe Aufwendungen machen, um die denkmalgeschützten Gebäude in Schuss halten zu können. Immer, wenn ich daran (an den Gebäuden) vorbeifahre, denke ich: Gott sei Dank gehört mir das nicht", zitiert der SWR den Regierungschef. Es wäre besser, wenn er sich "mit demselben Herzblut um die Belange und Interessen der hart arbeitenden Beschäftigten" kümmern würde, empfahl der ehemalige Kultusminister Andreas Stoch. Die CDU hingegen hat an Kretschmanns Einladung nichts auszusetzen: "Der Adel hat für unser Land eine große Bedeutung. Dies zeigt sich besonders im Bereich des Kulturgutes, wie beispielsweise im Erhalt von Schlössern, der Pflege von Wäldern und der Landwirtschaft", meint CDU-Generalsekretär Manuel Hagel. [1] Der Adel, eine große Bedeutung… Aha.

Von der CDU erwarte ich nun wirklich kein Niveau, das über den geistigen Horizont von Blättern wie der "Bunten" oder "Gala" hinausgeht. Aber von den Grünen? Vielleicht hat Kretschmann Fotografen der Illustrierten eingeladen, um seiner Partei neue Wählerschichten zu erschließen. Gäbe jedenfalls schöne Bilder. Und angesichts der aktuellen Wahlergebnisse haben sie es ja wohl auch nötig. Das mit den hohen Aufwendungen für die Schlösser, Wälder und Äcker stimmt sogar. Aber früher hätten die Grünen wenigstens noch hinterfragt, wie der Adel überhaupt in den Besitz dieser Liegenschaften gekommen ist. Dann wäre in ihnen vielleicht die Erkenntnis gereift, dass es sich hierbei um Besitztum handelt, das aus der systematischen Entrechtung des gemeinen Volkes herrührt und obendrein oft zusammengeraubt wurde. Bloß um den Grünen mal ein paar Begriffe ins Gedächtnis zurückzurufen: Lehnsherr, Vasall, Feudalismus, Leibeigenschaft, Raubritter etc. Die Liegenschaften dieser illustren Gesellschaft wurden buchstäblich mit dem Blut und dem Schweiß der Untertanen ihrer Vorfahren erbaut respektive bewirtschaftet. Und zum Dank mussten sich die Geknechteten auch noch vor den adligen Damen und Herren verbeugen.

Zumindest bis zum November 1918, denn nach dem Ersten Weltkrieg hatte das Volk vom Adel verständlicherweise die Nase gestrichen voll. Die Weimarer Republik schaffte die Vorrechte des Adels ab, ihr unter zweifelhaften Umständen erworbenes Vermögen durften die Adelsfamilien allerdings behalten. Mein Mitleid mit den Besitzern der denkmalgeschützten Gebäude hält sich daher in Grenzen. Und die Grünen brauchen sich wirklich nicht zu wundern, warum sie zahlreiche Wählerinnen und Wähler verlieren. Sie haben sich verdammt weit von ihren Wurzeln entfernt, Kretschmanns Einladung ist da nur ein Aspekt unter vielen. Auf die "Last", Schlösser, Wälder und Äcker zu erben, will der Adel dennoch nicht verzichten. Jedenfalls ist mir nichts von massenhaften Schenkungen an die Allgemeinheit bekannt. Sich bei ihnen für das Tragen dieser "Last" zu bedanken, ist eine Verhöhnung der Opfer, die der Adel auf dem Gewissen hat. Der 1994 verstorbene Schriftsteller Bernt Engelmann beschrieb die Geschichte nicht aus der Perspektive der Herrschenden, sondern schilderte sie aus der Sicht der Beherrschten. Wer einmal sein immer noch empfehlenswertes Buch "Wir Untertanen" (leider nur noch im Antiquariat erhältlich) gelesen hat, sieht den Adel mit Sicherheit anders als "Bunte" und "Gala". Und vermutlich auch anders als Winfried Kretschmann.

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[1] SWR vom 16.05.2017