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28. Mai 2017, von Michael Schöfer
Was heißt das konkret?


Donald Trump ist es erstaunlich rasch gelungen, die Verbündeten der Vereinigten Staaten vor den Kopf zu stoßen. Wie das amerikanische Volk diese außenpolitische Abkehr von der Politik der Ära seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewertet, bleibt abzuwarten. Im Grunde ein Desaster. Vermutlich gibt es jetzt in den USA viele enttäuschte Atlantiker. In Europa natürlich genauso. Der US-Präsident geht auf Distanz zu anderen Demokratien und gleichzeitig auf Schmusekurs mit Diktaturen. Bemerkenswert. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", sagt eine sichtlich enttäuschte Angela Merkel (CDU) nach dem G7-Gipfel im italienischen Taormina. "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen. Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal", gibt die Bundeskanzlerin als künftige Marschrichtung vor. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist der Auffassung: "Eine stärkere Kooperation der europäischen Staaten auf allen Ebenen ist die Antwort an Donald Trump." [1]

Doch was heißt das konkret, militärisch beispielsweise? Arbeiten die Europäer demnächst tatsächlich zusammen, nicht bloß überwiegend auf dem Papier und in Public Relations-Brigaden? Strebt man eine gemeinsame Armee an, allen daraus resultierenden Problemen, etwa den heiklen Verfassungsfragen, zum Trotz? Wie viel sind die Europäer bereit, finanziell fürs Militär zu investieren? Halten wir die 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die die Nato-Mitgliedstaaten, die zugleich in der EU sind, derzeit ausgeben, für angemessen? Das sind umgerechnet immerhin 230 Mrd. US-Dollar (Stand 2015). [2] Reicht das - gerade angesichts der Tatsache, dass wir uns auf die Beistandspflicht der USA offenkundig nicht mehr uneingeschränkt verlassen können? Und vor allem mit Russland als Nachbar?

Was heißt Merkels Ankündigung ökonomisch? Deutschland erwirtschaftete 2016 beim Handel mit den anderen EU-Mitgliedstaaten einen Überschuss von sage und schreibe 156 Mrd. Euro. Nur sechs von 27 Mitgliedstaaten weisen im Handel mit uns einen positiven Saldo auf, 21 hingegen verzeichnen teilweise recht hohe Defizite. Werden wir weiterhin auf Austerität setzen und den eigentlich unabdingbaren Finanzausgleich innerhalb der Eurozone ablehnen? Für Deutschland die Exporterfolge, für die anderen die mit sozialen Einschnitten verbundene Sparpolitik? Das wird wohl kaum gutgehen. Echte Partnerschaft sieht anders aus.

Außenhandelssaldo (Exporte - Importe) Deutschlands 2016
mit den EU-Mitgliedstaaten (in Mrd. Euro) [3]
Vereinigtes Königreich +50,522 Mrd. €
Frankreich +35,694 Mrd. €
Österreich +21,127 Mrd. €
Spanien +12,876 Mrd. €
Schweden +10,673 Mrd. €
Italien +9,623 Mrd. €
Polen +8,354 Mrd. €
Dänemark +6,527 Mrd. €
Belgien +3,775 Mrd. €
Griechenland +3,088 Mrd. €
Portugal +2,244 Mrd. €
Luxemburg +2,195 Mrd. €
Kroatien +1,562 Mrd. €
Litauen +1,321 Mrd. €
Finnland +1,203 Mrd. €
Rumänien +1,086 Mrd. €
Estland +1,021 Mrd. €
Lettland +0,946 Mrd. €
Zypern +0,530 Mrd. €
Bulgarien +0,287 Mrd. €
Malta +0,214 Mrd. €
Slowenien -0,773 Mrd. €
Slowakei -1,642 Mrd. €
Ungarn -2,216 Mrd. €
Tschechien -4,149 Mrd. €
Niederlande -4,485 Mrd. €
Irland -6,069 Mrd. €
zusammen +155,534 Mrd. €

Wird Deutschland Eurobonds (gemeinsame Staatsanleihen) selbst jetzt noch blockieren? Gewähren wir Griechenland den dringend notwendigen Schuldenschnitt, ohne den die Griechen wohl nie wieder auf die Beine kommen?

Unser Schicksal in die eigene Hand nehmen - im Bierzelt sagt sich das leicht, doch wird Merkel endlich auch einmal konkrete Lösungsvorschläge anbieten müssen. Am besten noch vor der Bundestagswahl, damit die Wählerinnen und Wähler wissen, was auf sie zukommt. Oder bleibt das, wie vieles bei ihr, vage? Hält sie auch vor dem Hintergrund der transatlantischen Krise an ihrer bewährten Strategie des Aussitzens fest? Momentan gibt es wesentlich mehr bohrende Fragen als plausible Antworten. Man darf gespannt sein, wann und was die Bundeskanzlerin liefert.

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[1] tagesschau.de vom 28.05.2017
[2] SIPRI, Military expenditure data: 1988–2015

[3] Statistisches Bundesamt, Außenhandel, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland 2016