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07. November 2017, von Michael Schöfer
Just rattle your jewellery

Wer immer noch ratlos ist, warum sich die Demokratie in einer Legitimationskrise befindet und zahlreiche Menschen ziemlich viel Wut im Bauch haben, muss bloß die "Paradise Papers" lesen. Da reduzieren hochprofitable Weltkonzerne ihre Steuerlast auf ein Maß, das jedem Durchschnittsverdiener vor Neid die Tränen in die Augen treibt. Besserverdiener hingegen sparen mal quasi im Vorübergehen die Mehrwertsteuer für ihren Privat-Jet oder sorgen mit lukrativen Investmententscheidungen dafür, dass die Mieten auf dem Wohnungsmarkt drastisch ansteigen. Gentrifizierung (Verdrängung der ansässigen Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten) - so what? Träger bekannter Namen lassen sich als "großzügige Unternehmerpersönlichkeit" feiern und spielen in der Öffentlichkeit gerne den "herausragenden Mäzen", aber sobald es ums Steuerzahlen geht, hat ihre Großzügigkeit plötzlich ein Ende. Wir feiern sie trotzdem, obendrein dürfen die "edlen Spender" auch noch ihren Namen verewigen. Was will man mehr? Minimaler Aufwand, maximaler Ertrag.

Und all das stets mit bereitwilliger Unterstützung durch die Politik, denn die meisten Steuersparmodelle sind vollkommen legal. Ist die Legitimationskrise der Demokratie und die Wut der Menschen nicht verständlich, wenn sich die Politik als unfähig oder unwillig erweist, solche Exzesse zu verhindern? Warum stimmen die Menschen für den Brexit, wählen Donald Trump oder rechtspopulistische Parteien? Doch nicht deshalb, weil Putins Sankt Petersburger Troll-Fabrik ein paar Anzeigen bei Facebook geschaltet hat. Machen wir uns nichts vor, das hat andere, durchaus reale Gründe. Die Unzufriedenheit mit der wachsenden Ungleichheit etwa, die keine russische Troll-Armada, sei sie auch noch so groß, herbeischreiben kann.

Und wie reagieren wir, das blöde Stimmvieh? Nun, wir wählen die auch noch. Immer wieder. Jedenfalls meistens. Fast egal, was sie anschließend daraus machen. Dafür winken sie uns dann in den Pausen der Sondierungsgespräche huldvoll vom Balkon zu, im Hintergrund erwärmen Kristallleuchter die majestätisch anmutende Szenerie. Immerhin etwas. Okay, ein wenig müssen sie diese Geste noch üben, denn die britischen Royals können das bislang wesentlich besser. Man ist geneigt, John Lennon zu zitieren: "For our last number I'd like to ask your help – will the people in the cheaper seats clap your hands? And the rest of you, if you'll just rattle your jewellery." (Für unser letztes Lied möchte ich Sie um Ihre Unterstützung bitten: Könnten die Leute auf den billigen Plätzen mitklatschen? Und der Rest von Ihnen, wenn Sie einfach mit den Juwelen klappern!)

Leider wird die Wut auch diesmal weitgehend folgenlos verrauchen. Sicherlich, es wird ein paar böse Kommentare in den Gazetten geben, begleitet von heiligen Schwüren, jetzt endlich die unerfreulichen Auswüchse des Raubtierkapitalismus anzupacken, aber faktisch wird sich kaum etwas ändern. Insgeheim stecken sie nämlich so gut wie alle unter einer Decke. Leider trifft diese Pauschalisierung zu, denn unabhängig davon, ob gerade Konservative oder Sozialdemokraten regieren, den Steueroasen traut sich niemand den Geldhahn zuzudrehen. Hört nicht auf ihre Worte, schaut auf ihre Taten! Und wenn Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, demnächst mal wieder fragen, warum die Mieten so rasant steigen und so wenig Geld im Staatssäckel für die Renovierung von Schulen übrig ist, schauen Sie einfach mal wieder rein: In die Berichte über die Offshore Leaks, Lux Leaks, Swiss Leaks, Panama Papers, Paradise Papers etc. Und freuen Sie sich mit den Begüterten, die glücklicherweise von dieser zugegebenermaßen ungemein lästigen Steuerbelastung weitgehend verschont bleiben.