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29. November 2017, von Michael Schöfer
Volksverdummung (bloß ein kleiner Ausschnitt)

  • "Selbst wenn alle Risiken eintreten, bliebe Stuttgart 21 im Rahmen von 6,5 Milliarden Euro." (Der ehemalige Bahn-Chef Rüdiger Grube im Jahr 2016 bei der Grundsteinlegung für den Stuttgart-21-Tiefbahnhof.) [1]
  • "Das im Auftrag von Stuttgart-21-Gegnern erstellte Spekulationspapier ist nicht belastbar und nennt – wie zu erwarten – Zahlen fernab der Realität." (Reaktion von Peter Sturm, Geschäftsführer der Bahnprojektgesellschaft Stuttgart-Ulm, im Dezember 2015 auf eine Prognose, die die Kosten auf zehn Milliarden Euro taxierte.) [2]
  • "Eine Kostenexplosion schließe ich zu 99 Prozent aus." (Der damalige baden-württembergische Verkehrsminister Stefan Mappus und spätere Ministerpräsident im Jahr 2004. Zu jener Zeit sollte das Bahnprojekt übrigens nur 2,8 Mrd. Euro kosten.) [3]
  • "Die Deutsche Bahn AG und das Land Baden-Württemberg weisen Aussagen des Ingenieur-Büros Vieregg-Rössler zu angeblichen Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 als rein spekulativ zurück. Tatsache ist vielmehr: Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist eines der am besten und umfassendsten geplanten Projekte der Deutschen Bahn AG. Daher ist davon auszugehen, dass der derzeit vorgesehene Kostenrahmen eingehalten wird." (Pressemeldung der Deutschen Bahn vom 18.07.2008; Vieregg-Rössler schätzte die Kosten auf mindestens 6,9 Mrd. Euro, sie könnten aber auch auf 8,9 Mrd. Euro steigen. Der laut DB "derzeit vorgesehene Kostenrahmen" betrug übrigens 3,076 Mrd. Euro.) [4]
  • "Bereits bei der ersten Durchsicht der am vergangenen Freitag veröffentlichten Auszüge des Gutachtens von Vieregg-Rössler zu angeblichen Kostensteigerungen bei den Projekten Stuttgart 21 und Neubaustrecke Wendlingen - Ulm werden teils gravierende handwerkliche Fehler deutlich." (Der damalige Innenminister Heribert Rech im Jahr 2008 in einer Pressemeldung seines Ministeriums.) [5]
  • "Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm mit dem neuen Hauptbahnhof in Stuttgart ist solide geplant und steht auf finanziell sicheren Beinen." (Ebenfalls im Jahr 2008: Der frühere Ministerpräsident Günter Oettinger.) [6]
Die aktuelle Meldung aus dem Jahr 2017: Das umstrittene Bahnprojekt wird wohl erst 2024 fertig und soll dann laut Bahn 7,6 Mrd. Euro kosten (eine Milliarde mehr als bislang veranschlagt). [7]

Liebe Bürgerinnen und Bürger von Baden-Württemberg, ihr seid von vorne bis hinten veräppelt worden. Doch ihr hattet es selbst in der Hand, am 27. November 2011 fand bekanntlich die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 statt. Allerdings stimmten 58,9 Prozent der Teilnehmer gegen den Ausstieg aus dem Bahnprojekt. Das ist vollkommen in Ordnung, das nennt man gemeinhin Demokratie. Aber bitte beschwert euch nicht darüber, dass die Kosten von Stuttgart 21 wie vorhergesagt peu à peu steigen und sich allmählich den mit "gravierenden handwerklichen Fehlern gespickten" Prognosen der Projektgegner annähern. Bis zur endgültigen Fertigstellung gibt es noch genug Gelegenheiten, den Kostenrahmen erneut nach oben anzupassen. 7,6 Mrd. Euro sind bestimmt noch nicht das letzte Wort. Ich bin gespannt, was Stuttgart 21 am Ende tatsächlich kostet.

Ich kann's nicht beschwören, aber ich glaube, die Projektbefürworter lachen sich insgeheim ins Fäustchen. Die Kostenexplosion ist zwar lästig, doch zumindest hat die Volksverdummung funktioniert. Trotz heftiger Proteste bekommen sie, was sie wollen. Vielleicht wird es den Bürgerinnen und Bürgern eine Lehre sein und sie hinterfragen künftig die Aussagen der Politiker noch mehr als bisher.

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[1] Südwest Presse vom 21.09.2016
[2] Stuttgarter Zeitung vom 16.12.2015
[3] Stuttgarter Zeitung vom 25.09.2004
[4] pressrelations presseportal
[5] Staatsministerium Baden-Württemberg, Pressestelle der Landesregierung vom 23.07.2008
[6] taz vom 19.08.2008
[7] Süddeutsche vom 29.11.2017