Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



05. November 2017, von Michael Schöfer
Millionen Menschen vor den Kopf zu stoßen, ist töricht


"Remember, remember the fifth of November." Wirklich kein Vergleich mit der Auseinandersetzung zwischen Spanien und Katalonien: Am 5. November 1605 versuchten katholische Verschwörer um Guy Fawkes den protestantischen König von England, dessen Familie, die Regierung und alle Parlamentarier zu töten. Zu diesem Zweck deponierten sie rund 2,5 Tonnen Schießpulver in den Kellergewölben von Westminster, wo am 5. November die Parlamentseröffnung stattfinden sollte und deshalb die gesamte Staatsspitze an einem Ort versammelt gewesen wäre. Die Verschwörung wurde aufgedeckt, was die Briten noch heute mit einem Straßenumzug feiern und dabei eine Guy-Fawkes-Puppe verbrennen. Die Verschwörer hat man laut Wikipedia im Januar 1606 "bis zur Bewusstlosigkeit gehängt, danach wurden ihnen die Gedärme herausgerissen und die Körper gevierteilt".

Spanien wird hoffentlich mit den sogenannten "Rebellen" um Carles Puigdemont etwas milder verfahren. Dennoch könnten die aktuellen Vorgänge einen ähnlich bedeutsamen Einschnitt darstellen, wie es der Gunpowder Plot von 1605 war. Manche Ereignisse gehen nämlich ins kollektive Gedächtnis ein und überdauern oft Jahrhunderte. Das spanische Establishment handelt m.E. absolut unklug, und das liegt vor allem an der kompromisslosen Haltung von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Artikel 2 der spanischen Verfassung sagt zwar: "Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier; sie anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, aus denen sie sich zusammensetzt, und auf die Solidarität zwischen ihnen." Doch Rajoy betont nur die Unteilbarkeit der Nation, ignoriert aber den zweiten Teil des Artikels.

Es ist überdies ein legitimes politisches Anliegen, eine Verfassungsänderung zu fordern. Rajoy ist noch nicht einmal bereit, darüber überhaupt zu diskutieren. Außerdem muss man der Vollständigkeit halber erwähnen, dass er vor zehn Jahren die Reform des katalanischen Autonomiestatuts quasi im letzten Moment verhindert hat. Ohne die wenig weitsichtige Sturheit Rajoys wäre die jetzige Zuspitzung wahrscheinlich gar nicht erst eingetreten. Wie immer man die Unabhängigkeit Kataloniens bewerten mag, die Regierung Puigdemont ist demokratisch gewählt. Und die Inhaftierung einer demokratisch gewählten Regierung kennt man normalerweise nur in Diktaturen. Politisch unklug ist das Verhalten des spanischen Establishments auch, weil bislang rund die Hälfte der Katalanen die Unabhängigkeit befürworteten. Gut dreieinhalb Millionen Menschen durch repressive Maßnahmen vor den Kopf zu stoßen, ist töricht. Unter Umständen verschärft man das Ganze sogar und handelt sich dadurch einen schier unlösbaren Dauerkonflikt ein. Der Karren könnte also demnächst noch tiefer im Dreck stecken. Und die Spanier, die heute Rajoy zujubeln, dürften das vielleicht schon bald bereuen.