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25. Juli 2017, von Michael Schöfer
Das EU-Parlament sollte jetzt endlich Farbe bekennen


Die EU-Außenbeuftragte Federica Mogherini hat zwar vom EU-Beitrittskandidaten Türkei "konkrete Schritte im Bereich von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Demokratie" gefordert, doch Ankara zeigt sich unnachgiebig. "Nur weil man journalistische Aktivitäten ausübt, heißt das nicht, dass man nicht auch terroristisch tätig ist", rechtfertigt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Verhaftung von Journalisten und den Schauprozess gegen die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet. Und was macht die EU-Kommission? Sie will mit der Türkei über Themen wie Energie, Transport und Wirtschaft reden. Unglaublich! Es wurde obendrein ein EU-Türkei-Gipfel im türkischen Adana angekündigt. Da die Beitrittsverhandlungen immer noch nicht beendet werden, bekommt die Türkei weiterhin Vorbeitrittshilfen in Milliardenhöhe, die kann der Despot in Ankara gut gebrauchen. Die türkischen Vertreter verlangen sogar Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen, der Zollunion und der Visafreiheit. Nicht auszuschließen, dass ihnen die EU auch noch Zugeständnisse macht. Man schämt sich, Bürger dieser EU zu sein.

"Sie haben den Entschluss gefasst, unentschlossen zu sein. Sie sind willens, keinen Willen zu haben. Mit eiserner Energie lassen sie die Zügel schleifen, allmächtig in ihrer Ohnmacht." Das ist keine Aussage über die EU-Kommission, sondern die eines gewissen Winston Churchill über die Regierung des britischen Premierministers Neville Chamberlain. Letzterer war bekanntlich für die gescheiterte Appeasement-Politik (Beschwichtigungspolitik) gegenüber Nazi-Deutschland verantwortlich. Churchills Urteil stammt aus dem Jahr 1937, es könnte heute aber genauso gut auf die EU-Kommission zutreffen. Seine Einschätzung erwies sich von Anfang an als richtig. Appeasement war schon immer der falsche Weg, mit Despoten umzugehen. Churchill: "An appeaser is one who feeds a crocodile, hoping it will eat him last." Als Chamberlains Versagen offensichtlich wurde, trat er zurück.

Da die EU-Kommission wohl kaum freiwillig zurücktritt, sollte das EU-Parlament gemäß Artikel 234 des EU-Vertrags erwägen, gegen die EU-Kommission einen Misstrauensantrag einzubringen. Wird der mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments angenommen, muss die EU-Kommission ihr Amt niederlegen. Das EU-Parlament sollte jetzt endlich Farbe bekennen. Der Versuch, Erdogan zu beschwichtigen, wird scheitern. Je eher sich auf Seiten der EU eine realistische Position durchsetzt, desto besser. Und wenn es nicht anders geht, müssen die Appeaser eben weichen.