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23. Mai 2017, von Michael Schöfer
Hätten Sie es gewusst?


In der Debatte um den Gesetzentwurf von Heiko Maas gegen Hasspostings hat vor kurzem Maram Stern, stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses, in der Süddeutschen seine Argumente vorgetragen. Der Haupteinwand gegen das Gesetz ist ja, dass plötzlich Privatunternehmen entscheiden sollen, was strafbar ist und was nicht. Gewiss, es gibt eindeutige Fälle, wie etwa Mordaufrufe.

Aber schon bei Gewaltandrohungen kommt es darauf an. § 241 StGB (Bedrohung) lautet nämlich: "Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft." Die Betonung liegt auf "Verbrechen". § 12 StGB definiert, was ein Verbrechen ist: "Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind."

§ 223 StGB (Körperverletzung) sagt wiederum: "Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Die Körperverletzung ist daher nur ein Vergehen, aber kein Verbrechen. Demzufolge ist die Androhung einer Körperverletzung, soweit sie nicht mit einer anderen Straftat wie z.B. der Nötigung einhergeht, in Deutschland nicht strafbar.
  • "Ich schlag dich tot!" = strafbar, weil mit einem Verbrechen gedroht wurde
  • "Ich schlag dir aufs Maul, wenn du nicht sofort in deine Wohnung zurückkehrst." = strafbar als Nötigung (§ 240 StGB: "Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt…") Das empfindliche Übel muss kein Verbrechen sein.
  • "Ich schlag dir aufs Maul." = nicht strafbar, weil weder ein Verbrechen noch eine Nötigung
Hätten Sie es gewusst? Noch wichtiger: Würde es Facebook wissen? Wie dem auch sei, Maram Stern ist jedenfalls der Auffassung: "Natürlich sind die Unternehmen nicht die letzte Instanz. Sie ersetzen nicht die Gerichte. Wer sich unrechtmäßig behandelt fühlt, dem steht der Rechtsweg offen, und am Ende entscheidet die Justiz." Das hieße dann konkret: Wenn Facebook ein Posting löscht, das keine Straftat ist, kann der Urheber des Postings das soziale Netzwerk verklagen.

Viel Spaß dabei, das fängt schon mit dem Gerichtsstand an (Irland oder Deutschland?) und hört mit den vermutlich horrenden Kosten noch lange nicht auf. Da ist es mir wirklich lieber, es bleibt wie bisher: Ein deutsches Gericht sagt, was gegen das Gesetz verstößt und was nicht. Und was strafbar ist, wird gelöscht. Aber wirklich nur das, keine Zensur durch die Hintertür, gegen die man sich auf dem Privatklageweg zur Wehr setzen muss.