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29. Dezember 2017, von Michael Schöfer
Das Ganze riecht nach Vertuschung


Kurz nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals, gab es an der Spitze des Unternehmens einen Wechsel: Der bisherige Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn ging, Matthias Müller rückte ins höchste Führungsamt auf. Und der neue Chef versprach schnurstracks nicht nur Läuterung, sondern ebenso rückhaltlose Aufklärung. "Wir klären jetzt schonungslos auf", schrieb er in einem Brief an seine Mitarbeiter. Er sicherte ihnen "eine umfassende Aufklärung des Abgas-Skandals" zu. VW werde alles tun, "um das Vertrauen der Kunden, Partner, Investoren und der gesamten Öffentlichkeit Stück für Stück zurückzugewinnen". [1] In einer Rede vor seinen Führungskräften soll er gesagt haben: "Das unfassbare Fehlverhalten bei Volkswagen, das in den letzten Tagen ans Licht gekommen ist, schmerzt und ärgert auch mich ungeheuer." [2]

Doch daran, ob die zur Schau getragene Reue echt und das Aufklärungsversprechen aufrichtig war, gibt es berechtigte Zweifel. Beobachter hatten ohnehin Mühe, die Mär von der Motorenmanipulation durch untergeordnete Chargen zu glauben. Nicht bei einem Konzern, in dem sich Martin Winterkorn angeblich akribisch um jedes Detail gekümmert haben soll. Nicht bei einem Konzern, in dem es offenbar eine Angstkultur gab. Als "Nordkorea ohne Arbeitslager" charakterisierte einmal der Wirtschaftsjournalist Dietmar Hawranek die Unternehmenskultur bei Volkswagen. Und dann sollen sich Motorenentwickler ohne Rückendeckung durch den Vorstand getraut haben, bei Millionen Dieselfahrzeugen die Abgasreinigung zu manipulieren und die Behörden zu täuschen? Das glaube, wer will. Ich zumindest nicht.

Genau das sollte eigentlich das Aufklärungsbemühen von Matthias Müller zutage fördern. Allerdings: Je mehr Zeit ins Land ging, desto mehr bekam man den Verdacht, dass VW die Öffentlichkeit hinhielt und den Ermittlungsbehörden auf der Nase herumtanzte. Anstatt schonungslos aufzuklären klagte man sogar vor dem Bundesverfassungsgericht. Hintergrund: Volkswagen beauftragte die Rechtsanwaltskanzlei Jones Day mit der Untersuchung des Skandals, die sichtete innerhalb des VW-Konzerns zahlreiche Dokumente und führte mehr als 700 Mitarbeiterbefragungen durch. Gegen die Beschlagnahme dieser Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft München wehren sich Konzern und Kanzlei vor dem höchsten deutschen Gericht und berufen sich auf ein angeblich bestehendes Mandatsverhältnis zwischen VW und Jones Day. "So agiert nur jemand, der viel zu verbergen hat. Der nicht will, dass die ganze Wahrheit ans Licht kommt", kommentiert die Süddeutsche. [3] Insofern schmerzt meinem Eindruck nach wohl nicht "das unfassbare Fehlverhalten bei Volkswagen", sondern dass es überhaupt ans Licht gekommen ist. Und viel mehr als das soll offenbar auch nicht bekannt werden.

Doch es kommt noch toller: VW wehrt sich nach Presseinformationen vor dem Verfassungsgericht auch gegen einen auf Antrag von amerikanischen Aktionären gerichtlich bestellten Sonderprüfer, der sollte nämlich herausfinden, "was Vorstand und Aufsichtsrat von VW wann von den Manipulationen erfahren und ob sie ihre Pflichten verletzt haben". [4] Volkswagen behauptet freilich, das Unternehmen sei dadurch in seinen Grundrechten verletzt worden. Das ist schon als skurril zu bezeichnen, denn das Unternehmen gehört ja nicht dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat, sondern vielmehr den Aktionären. Und wenn Letztere als Eigentümer des Unternehmens herausfinden wollen, ob der Vorstand bei der Geschäftsführung auch wirklich zum Wohle der Eigentümer gehandelt hat, sollte sich der Vorstand dem nicht entziehen dürfen.

Man kann nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht beide Klagen abweist. Wie es letztlich auch ausgeht, schonungsloses Aufklären und das Zurückgewinnen von Vertrauen sieht mit Sicherheit anders aus. Das, was Matthias Müller bei Übernahme des Vorstandsvorsitzenden lauthals versprochen hat, ist bislang vollkommen uneingelöst. Es bleibt der Eindruck zurück, Volkswagen spiele auf Zeit und sei an einer ernsthaften Aufklärung desinteressiert. Warum? Darüber kann man nur spekulieren, aber vielleicht sind tatsächlich nicht bloß untergeordnete Chargen in den Abgasskandal verwickelt. Das wäre jedenfalls ein plausibles Motiv, die Aufklärung zu behindern. Nun rächt sich, dass man die Ermittlungen anfangs im Wesentlichen dem Konzern selbst überließ. Die Behörden hätten hier gleich zu Beginn energisch handeln müssen.

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[1] Handelsblatt vom 27.09.2015
[2] Bild vom 29.09.2015
[3] Süddeutsche vom 21.12.2017
[4] Süddeutsche vom 28.12.2017