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09. Februar 2017, von Michael Schöfer
Trump ist das Symptom des Niedergangs der Mittelschicht


Seit 1979 sind in den USA sieben Millionen Industriearbeiterjobs verloren gegangen, hat die Süddeutsche vor einigen Tagen geschrieben ("Der Retter, den keiner braucht"). Was Trump jedoch laut SZ noch nicht bemerkt hat: Die US-Firmen holen angeblich längst Arbeitsplätze aus dem Ausland ins eigene Land zurück, in den vergangenen sechs Jahren seien 265.000 Industriearbeiterjobs in die Vereinigten Staaten zurückgeholt worden. Das ist allerdings nur ein schwacher Trost für die ehemaligen Industriearbeiter, denn bleibt es bei diesem Tempo, bräuchten die USA mehr als 26 Jahre, um den Schwund der letzten vierzig Jahre wenigstens auszugleichen.

Gutbezahlte Journalisten eignen sich mit der Zeit eine verquere Logik an. Karl Marx hatte offenbar recht: Das Sein prägt das Bewusstsein. So schreibt die SZ im gleichen Artikel: Ärmere Amerikaner würden sich nicht als "reine Opfer der Globalisierung" eignen, schließlich profitieren sie von den Billigimporten aus China. "Kleider zum Beispiel kosten heute genauso viel wie 1986 und Möbel sind so günstig wie vor 35 Jahren. Der globale Handel macht es möglich."

Aber auch das ist bloß ein schwacher Trost, denn heute liegt der Mindestlohn dem US-Arbeitsministerium zufolge preisbereinigt unter dem Niveau der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Der gesetzlich festgelegte bundesweite Mindestlohn beträgt derzeit 7,25 US-Dollar. In Preisen von 2012 hatte der Mindestlohn von 1956 einen Wert von umgerechnet 8,29 US-Dollar, der von 1968 einen Wert von 10,34 US-Dollar und der von 1978 einen Wert von 9,14 US-Dollar. Es geht freilich nicht nur um den Mindestlohn, die durchschnittlichen Reallöhne stagnieren dort ganz allgemein seit Jahrzehnten. Profitiert haben im Wesentlichen nur die Superreichen. Was nützen Preise wie in den achtziger Jahren, wenn die Löhne bloß das Niveau der Siebziger erreichen?

Wenig tröstlich ist auch die Nachricht, die Globalisierung habe insbesondere in China viele Menschen aus der Armut geholt. Ein Scheinargument. Für die Chinesen ist das natürlich gut, doch warum sollte ein Amerikaner, der sich mit zwei oder sogar drei mies bezahlten Dienstleistungsjobs gerade noch so über Wasser halten kann, deswegen freuen?

Trump ist sicherlich nicht der Retter. Aber er ist auch nicht die Krankheit, sondern lediglich das Symptom des Niedergangs der Mittelschicht. Menschen, deren Schicksal vom Establishment seit langem ignoriert wurde.