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30. Mai 2019, von Michael Schöfer
Klimaschutz: Helfen auch Gebete?


Die Union hat in puncto Klimaschutz das Image eines Bremsers. Und das vollkommen zu Recht. Zwar schwadroniert die Bundeskanzlerin ständig über die geplante Dekarbonisierung, doch jedes Mal wenn konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, glänzen CDU und CSU (die "Dagegen-Parteien") durch Zurückhaltung. Deshalb passiert auch nichts. Oder jedenfalls nicht genug. Allerdings gelingt es der Union neuerdings immer weniger, die Wählerinnen und Wähler mit dieser Taktik bei der Stange zu halten. Dieses permanente "Sand in die Augen streuen" (z.B. der Euphemismus "Klimakanzlerin") wird mehr und mehr durchschaut und hat sich mittlerweile erschöpft. Die Europawahl stand unter dem Vorzeichen der Klimapolitik - und mit der kann die Union offenbar keinen Blumentopf mehr gewinnen. Minus 6,4 Prozentpunkte sind ein deutliches Zeichen.

Greifen wir als Beispiel Georg Nüßlein heraus, den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Angesprochen auf das Klimaschutzgesetz von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagt Nüßlein dem Deutschlandfunk: "Wir wollen kein abstraktes Gesetz; wir wollen ein Gesetz - und das haben wir von Anfang an gesagt -, in dem konkrete Maßnahmen genannt sind, wie wir den Klimaschutz voranbringen wollen. Das geht los bei der Gebäudesanierung über Wasserstoff-Strategie bis hin zu vielen anderen Themen, die man da in dem Zusammenhang auch einbauen kann." [1]

Zum Verständnis: Der Entwurf zum Klimaschutzgesetz "sieht vor, dass alle Bereiche (zum Beispiel Verkehr, Industrie, Landwirtschaft, Energie, Gebäude) ein festes Einsparziel und jährliche sinkende Jahresemissionsmengen zugewiesen bekommen sollen. Jedes Ministerium entscheidet in eigener Verantwortung, welche Maßnahmen es vorschlagen wird, um die erforderlichen Einsparungen zu erreichen. Wird das Ziel verfehlt, soll mit einem Sofortprogramm umgesteuert werden." [2] Svenja Schulze will also lediglich den Rahmen vorgeben, in dem sich die Ressorts bewegen dürfen.

Dennoch diffamiert Nüsslein diese Absicht als "planwirtschaftlichen Ansatz wie in der Volkswirtschaft der DDR". [3] Doch das ist Unfug. Charakteristisch für die realsozialistische Planwirtschaft der DDR waren zentrale Vorgaben für die volkseigenen Betriebe, in denen diesen detailliert vorgegeben wurde, was und wie viel sie zu produzieren haben. In den berühmt-berüchtigten Fünfjahresplänen legte die Regierung fest, "welche Produkte in welchen Mengen produziert werden sollten. (…) Die Vorgaben zur Planerfüllung und auch deren Kontrolle orientierten sich unter anderem an Gewicht oder Anzahl der produzierten Produkte, die Qualität der Produkte spielte hierbei jedoch keine Rolle." [4] Kritiker nannten das abwertend "Tonnenideologie". Unter anderem daran ist die DDR gescheitert.

Der Ansatz von Svenja Schulze ist im Grunde das genaue Gegenteil davon, denn sie sagt den Ministerien nur, wie hoch künftig die erlaubten CO2-Emissionen sein dürfen. Auf welchem Weg die Ministerien die Vorgaben erfüllen, zu denen sich Deutschland übrigens im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens selbst verpflichtet hat, bleibt ihnen überlassen.

Einsparziele der Bundesregierung laut Klimaschutzplan 2050 [5]
Handlungsfelder 1990
(
CO2-Äquivalent)
2030
(CO2-Äquivalent)
Minderung gegenüber
1990
Energiewirtschaft 466 Mio. t
175 bis 183 Mio. t 62 bis 61 %
Gebäude 209 Mio. t 70 bis 72 Mio. t 67 bis 66 %
Verkehr 163 Mio. t 95 bis 98 Mio. t 42 bis 40 %
Industrie 283 Mio. t 140 bis 143 Mio. t 51 bis 49 %
Landwirtschaft 88 Mio. t 58 bis 61 Mio. t 34 bis 31 %



Ausgerechnet diese Entscheidungsfreiheit brandmarkt Nüßlein als Planwirtschaft. Weiß der Mann überhaupt wovon er redet? Ihm geht es offenkundig bloß darum, den Klimaschutz zu torpedieren. Könnte ja der Industrie oder den Autobauern weh tun. Und dazu ist ihm jedes Scheinargument recht. Natürlich weiß Nüßlein, dass die DDR im Allgemeinen und die Planwirtschaft im Besonderen ein schlechtes Image haben. Er benutzt diese Begriffe vermutlich bewusst, um das Klimaschutzgesetz auf jede nur erdenkliche Weise verächtlich zu machen und dadurch zu verhindern. Eine perfide Taktik.

Klar wird das spätestens, wenn es um die von Nüßlein geforderten "konkreten Maßnahmen" geht. Als Svenja Schulze eine Klimaschutzabgabe auf Benzin und Heizöl vorschlug, hat Georg Nüßlein dieses Ansinnen kategorisch abgelehnt: "Wir sagen Nein zu höheren Steuern auf Kraftstoffe und Heizöl." [6] Die Einführung einer CO2-Steuer? Lehnt Georg Nüßlein ab. [7] Ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen? Zum entsprechenden Vorschlag der von der Bundesregierung (!) einberufenen "Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität" sagt Nüßlein ebenfalls Nein: "Wenn dieses von Umweltverbänden dominierte Gremium uralte Grünen-Vorschläge (Steuererhöhungen auf Diesel und Benzin, Tempolimit 130 auf Autobahnen, verpflichtende Verkaufsquoten) dem Minister als 'innovativ' und 'vernünftig' verkaufen will, dann bleiben diese Ideen leider, was sie sind: innovationsfeindlich und unvernünftig", schreibt er auf seiner Facebook-Seite. [8] Laut Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist ein Tempolimit "gegen den gesunden Menschenverstand". Nüßlein unterstützt diese haarsträubende Aussage.

Einmal sind ihm Vorschläge zum Klimaschutz zu unpräzise, ein andermal sind ihm Vorschläge zum Klimaschutz zu konkret. Was will der CSU-Politiker eigentlich? Nüßlein will "innovative Technologien entwickeln". Aha. Man kann das auch so interpretieren: Nüßlein will den Klimaschutz auf die lange Bank schieben. Er lehnt "unsere ganze Verzichtsdiskussion" ab und fordert stattdessen: "Wir müssen die Menschen mit Anreizen bewegen, nicht mit Zwang." Nüßlein setzt auf Konzepte, die in der Praxis bereits kläglich gescheitert sind (Freiwilligkeit). Überspitzt formuliert: Vielleicht helfen auch Gebete. Glücklicherweise merkt vor allem die junge Generation (Fridays for Future), dass die Union den Klimaschutz anderslautenden Bekundungen zum Trotz nicht ernst genug nimmt.

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[1] Deutschlandfunk vom 29.05.2019
[2] Bundesumweltministerium, Entwurf eines Klimaschutzgesetzes (Link nicht mehr aktuell, Erläuterungen zum Klimaschutzgesetz auf energiemarie.de)
[3] taz vom 27.02.2019
[4] Wikipedia, Tonnenideologie
[5] Bundesumweltministerium, Klimaschutzplan 2050
[6] Focus vom 30.01.2019
[7] Handelsblatt vom 15.02.2019
[8] Facebookseite von Georg Nüßlein, 22.01.2019, 02:38 Uhr

Postskriptum: Für diese Meinungsäußerung brauche ich weder bei Annegret Kramp-Karrenbauer noch bei Georg Nüßlein um Erlaubnis zu bitten. Ich bin froh in einem Land zu leben, in dem die Redefreiheit von der Verfassung garantiert wird. Und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Analog und digital. "Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen." (George Orwell, 1903-1950, britischer Schriftsteller)