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31. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Nachträgliche Distanzierung unglaubwürdig


Im Nachhinein wollen angeblich alle im Widerstand gewesen sein, diese Ausrede zieht sich ja wie ein roter Faden durch die Geschichte autoritärer Systeme. Entweder wenn Gefolgsleute geschasst wurden oder wenn das von ihnen unterstützte Regime kollabiert ist. Ein aktuelles Beispiel ist Mustafa Yeneroglu, im deutschsprachigen Raum als glühender Verteidiger des türkischen Präsidenten Erdogan bekannt. Was die Achtung der Menschenrechte angeht, gebe es in der Türkei keine Probleme, bekundete er 2016 bei Anne Will. Erdogan sei ein lupenreiner Demokrat, versicherte er im gleichen Jahr in einer anderen Sendung von Anne Will. 2018, also lange nach dem Putschversuch, wies Yeneroglu bei "Hart aber fair" Kritik an der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei entschieden zurück, die entspreche nicht den Tatsachen. Das sind nur ein wenige Beispiele für seine zahlreichen Rechtfertigungsversuche.

Nun ist Yeneroglu aus der AKP ausgetreten, allerdings gibt es auch Meldungen, er sei von Erdogan höchstpersönlich hinausgeworfen worden. Wie dem auch sei, jedenfalls will er schon länger erhebliche Bedenken gegen die Politik von Erdogan gehabt haben (die er freilich in seinen Talk-Show-Auftritten gut zu verbergen wusste). Angeblich beklagte Yeneroglu intern "Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Verfolgung politischer Gegner insbesondere nach dem Putschversuch 2016" und "kritisierte auch die de facto Abschaffung der Pressefreiheit sowie die Inhaftierung von Journalisten". (taz.de) Diese Kritik sei jedoch auf taube Ohren gestoßen.

Die Öffentlichkeit reibt sich verwundert die Augen. Und jeder muss selbst entscheiden, ob er ihm seine Story abkauft. Meiner Meinung nach sind solche nachträglichen Distanzierungen wenig glaubwürdig.