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31. März 2020, von Michael Schöfer
Mit ein Grund für die hohe Zahl an Toten


Warum weicht die Mortalitätsrate unter den Corona-Infizierten in Ländern wie Spanien (8,67 %), Italien (11,39 %) oder Frankreich (6,71 %) so krass von der in Deutschland (1,02 %) ab? [1] Mit ein Grund liegt wohl in der unterschiedlichen Ausstattung des Gesundheitssektors, in der Zeit nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/2008 wurden nämlich in diesen Ländern im Vergleich zu Deutschland überproportional viele Krankenhausbetten abgebaut. Und die Belastungsgrenze ist dort offenbar bereits überschritten.

Die Statistik von Eurostat listet bedauerlicherweise nur die Krankenhausbetten auf, Daten über die Verfügbarkeit von Intensivbetten liegen nicht vor. Die nachfolgende Tabelle dürfte hierfür aber dennoch einen Anhaltspunkt bieten.

Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner [2]
Land 2006 2017 Differenz in %
Deutschland 829,71 800,23 - 3,55 %
Spanien 329,39 297,28 - 9,75 %
Frankreich 711,11 598,02 - 15,90 %
Italien 399,3 318,07 - 20,34 %
Schweden 288,78 222,49 - 22,96 %
Ø EU-28 574,41 504,3 - 12,21 %



Ist Deutschland also gut auf die Coronakrise vorbereitet, wie die Politik ständig behauptet? Ja und nein. Einerseits wurden die Krankenhausbetten in Deutschland bislang nur unterdurchschnittlich abgebaut. Zum Glück, denn der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung machte in seinem Jahresgutachten 2018/2019 sogar vermeintliche Überkapazitäten im Gesundheitswesen aus. Heute sind wir für jede "Überkapazität" dankbar. Deutschland verfügt pro 100.000 Einwohner über wesentlich mehr Krankenhausbetten als Spanien, Frankreich und Italien. Unser Land liegt auch deutlich über dem Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten, Spanien und Italien hingegen beträchtlich darunter.

Andererseits zeigt das Fehlen von Mundschutzmasken und Schutzkleidung, dass sich auch Deutschland schlecht auf eine jederzeit mögliche Pandemie vorbereitet hat. Allen Warnungen zum Trotz. Offenbar hat man die Bevorratung der notwendigen Schutzausstattung sträflich vernachlässigt. Doch nicht nur das, denn in Deutschland wird diese unverzichtbare Ausrüstung gar nicht mehr produziert - Hauptproduzent ist ausgerechnet China, das Ausgangspunkt der Pandemie war. Hier ist das Vermeiden von Clusterrisiken und der Abbau von entsprechenden Abhängigkeiten unabdingbar.

Bemerkenswert ist die Situation in Schweden, weil die Regierung in Stockholm einen Sonderweg beschreitet und dem Coronavirus mit der Strategie der Herdenimmunität entgegentritt. Bemerkenswert deshalb, weil diese Strategie ein außerordentlich rasches Anwachsen der Infiziertenzahl beinhaltet und das schwedische Gesundheitssystem darauf schlecht vorbereitet zu sein scheint. Der Sozialstaat Schweden hat erstaunlich wenig Krankenhausbetten zur Verfügung. Ein Experiment, das böse ins Auge gehen kann.

Die Coronakrise belegt zumindest dreierlei:

Erstens, dass der Staat notwendiger ist denn je. Diejenigen, die ihn möglichst zurückdrängen wollen, sind spätestens jetzt widerlegt. Ohne die massive Bereitstellung von Haushaltsmitteln würde die Wirtschaft binnen kurzem abstürzen. Noch mehr, als das ohnehin der Fall sein wird. Es kann aber nicht sein, dass wie in der Finanz- und Wirtschaftskrise die Verluste sozialisiert, die im darauffolgenden Aufschwung erzielten Gewinne jedoch privatisiert werden.

Zweitens rächt sich nun die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte, weil dabei offenkundig am falschen Ende gespart wird. Wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge leiden seit Jahren unter der Sparpolitik und erweisen sich jetzt als geschwächt und weniger widerstandsfähig. Der Satz "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not" ist ja nicht falsch, aber es kommt eben immer darauf an, wie und wo gespart wird.

Drittens müssen wir abermals konstatieren, wie schlecht die Beschäftigten in systemrelevanten Bereichen bezahlt werden. Wenig Geld, wenig Anerkennung, hohe Arbeitsbelastung - der Applaus von den Balkonen herunter ändert daran leider herzlich wenig. Die unattraktivsten Jobs werden oft am schlechtesten bezahlt, während sich die gut bezahlten Jobs in der Krise plötzlich als weniger wichtig erweisen. Dieses Ungleichgewicht muss unbedingt bereinigt werden.

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[1] Johns Hopkins University, Coronavirus Map, Stand: 31.03.2020, 17:00 Uhr, Verhältnis Verstorbene zu den bestätigt Infizierten
[2] Eurostat, Hospital beds per 100 000 inhabitants

Nachtrag (02.04.2020):
Einem aktuellen Bericht der OECD zufolge hat Deutschland auch deutlich mehr Intensivbetten als andere Länder.

Intensivbetten pro 100.000 Einwohner [3]
Deutschland 33,9 (Stand 2017)
Frankreich 16,3 (Stand 2018)
Spanien 9,7 (Stand 2017)
Italien 8,6 (Stand 2020)



[3] OECD, Beyond Containment:Health systems responsesto COVID-19 in the OECD, Seite 11, PDF-Datei mit 995 KB