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18. Juli 2020, von Michael Schöfer
Nobelpreis für Scheinheiligkeit


In "All cops are berufsunfähig" hat sich die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah furchtbar im Ton vergriffen, indem sie Polizisten auf die Müllhalde wünschte: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten." [1] Echt unterirdisch und menschenverachtend.

Menschengruppen verächtlich zu machen hat bei uns eine lange Tradition. Man denke bloß an die dunkelste Epoche Deutschlands. Die Nationalsozialisten verglichen Juden mit Ratten, was direkt in die Gaskammern von Auschwitz führte. Die verrohte Sprache der Nazis sollte den Boden für den Holocaust bereiten, was leider gelungen ist. In der antisemitischen Literatur wurden Juden generell als Schädlinge ("Volksschädlinge") und Parasiten/Schmarotzer bezeichnet. Wobei damit keineswegs nur tierische Schädlinge gemeint waren, so definierte der Brockhaus im Jahr 1933 Schädlinge als "tierische und pflanzliche Lebewesen" und verwies dabei ausdrücklich auf Unkräuter. [2] Dazu später mehr.

Nicht ohne Grund gibt es im Nachkriegsdeutschland den § 130 StGB (Volksverhetzung), doch der greift bedauerlicherweise nicht immer. "Was wir hier in diesem Land brauchen, sind mutige Bürger, die die roten Ratten dorthin jagen, wo sie hingehören - in ihre Löcher." Wer hat's gesagt? Franz Josef Strauß, der Übervater der CSU. [3] Strauß wird in der CSU nach wie vor verehrt wie kein anderer, seine dunklen Flecken werden dabei aber geflissentlich übersehen respektive gar nicht als solche erkannt (was genaugenommen noch viel schlimmer ist).

Als 2017 der damalige AfD-Vorsitzende Alexander Gauland die SPD-Politikerin Aydan Özoguz in Anatolien entsorgen wollte, hat mich das an die Sprache der Nazis erinnert. Man entsorgt Müll, aber keine Menschen. Außerdem ist Özoguz in Hamburg geboren und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, aber die Aussage "einmal Türke, immer Türke" gehört hierzulande nach wie vor zum Gedankengut von Rassisten. Die Anzeige wegen Volksverhetzung wurde allerdings 2018 eingestellt. Die taz kommentierte Gaulands Äußerung übrigens wie folgt: "Wenn politische Parteien gewaltsame rassistische Sprache etablieren und dafür Applaus ernten, sollte niemand gleichgültig reagieren." [4] Was Hengameh Yaghoobifarah anscheinend erfolgreich verdrängt hat.

Wie dem auch sei, jedenfalls hielt es die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) für notwendig, die taz-Kolumnistin wegen Volksverhetzung anzuzeigen. Der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt echauffierte sich: "Andere Menschen zu entpersönlichen, ihnen Würde und Menschsein abzusprechen und sie wie Unrat auf einer Müllhalde entsorgen zu wollen - wie hasserfüllt, degeneriert und voller Gewaltbereitschaft muss man eigentlich sein, um solche widerlichen Gedanken aufzuschreiben?" [5] Was daraus wird, bleibt abzuwarten.

Widerliche Gedanken. Stimmt absolut. Nur scheint es in der DPolG ebenfalls Menschen zu geben, die wie Yaghoobifarah etwas erfolgreich verdrängen, denn dort schreibt man die gleichen widerlichen Gedanken auf. Manuel Ostermann, seines Zeichens stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, postete am 16. Juli 2020 auf Twitter: "Es gibt Unkrautarten, die sehen optisch relativ ansehnlich aus, aber es ist und bleibt plagendes Unkraut. In etwa dasselbe wie bei den Grünen. Hilft nur bei der Wurzel packen und ziehen, ansonsten wächst es doppelt so schnell wieder nach." [6]



Es ist wichtig zu wissen woher etwas kommt, um es korrekt einzuordnen. Charakteristisch für den Antisemitismus war schon von jeher eine Sprache der Entmenschlichung, so wurden Juden häufig als Ungeziefer, Unkraut oder Krankheitserreger verunglimpft. Solche Metaphern lösten Assoziationsketten aus, die dann folgerichtig bei der Ungeziefer-, Unkraut- oder Krankheitserregerbekämpfung endeten. Mit ihrer Hilfe wurden Pogrome ausgelöst und gerechtfertigt. Wer daher Menschen mit Unkraut gleichsetzt oder vergleicht, greift bewusst auf diese unselige Tradition zurück, auch wenn er diesmal politisch Andersdenkende und keine Juden als Ziel auserkoren hat.

Stilmittel des Antisemitismus waren übrigens nicht nur Texte, sondern oft auch Bilder und Karikaturen, man denke bloß an die Zeichnungen im NSDAP-Hetzblatt "Der Stürmer". Schließlich richtete sich die Propaganda der Nationalsozialisten explizit an die sogenannte ungebildete Masse: "An wen hat sich die Propaganda zu wenden? An die wissenschaftliche Intelligenz oder an die weniger gebildete Masse? Sie hat sich ewig nur an die Masse zu richten!" (Hitler, Mein Kampf, Seite 196) Und ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. "Die Brennessel" war eine satirische Zeitschrift der NSDAP, dort erschien in der Ausgabe vom 13. Juli 1932 diese Karikatur. Sie trägt den Titel "Kampf dem Unkraut".


[mit freundlicher Genehmigung des HStAD, Bild ist public domain]

Oder: "Man kann eine Krankheit, eine Seuche, nur dadurch wirksam bekämpfen, daß man den Bazillus erkennt und vernichtet. Man kann ein Unkraut nur dadurch ausrotten, daß man seine Wurzeln beseitigt." (Erwin Noack, Rechtswahrer im Reichsrechtsamt der NSDAP, "Der Jude und sein Recht", 1938) [7] Mehr muss man dazu gar nicht schreiben.

Grüne = Unkraut. Was ist das anderes als "Menschen zu entpersönlichen, ihnen Würde und Menschsein abzusprechen"? (O-Ton Rainer Wendt) Das verschlägt nicht nur mir die Sprache, sondern offenbar auch dem stets aufgeregten Gewerkschaftsvorsitzenden. Empörung seinerseits? Eine Distanzierung? Gar eine Anzeige wegen Volksverhetzung? Fehlanzeige! Im Gegenteil, Wendt scheint große Stücke auf Ostermann zu halten: "Mein Kollege Manuel Ostermann, klar in der Sprache und in seinen Positionen. Ein junger Polizist, der Klartext redet." [8] Stimmt, Ostermann spricht in der Tat Klartext, aber was für einen. Kann der Polizist während des Dienstes gegenüber Grünen überhaupt noch seiner beamtenrechtlichen Neutralitätspflicht nachkommen? Entspricht das noch dem Mäßigungsgebot? Die Zweifel daran sind nicht unberechtigt.

Nur zur Erinnerung:
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben. (§ 60 Bundesbeamtengesetz, Grundpflichten)

Ist Hengameh Yaghoobifarah anders zu bewerten als Manuel Ostermann? Oder greift hier das Motto "Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe"? Der entscheidende Unterschied ist wohl: Yaghoobifarah arbeitet für die links-alternative taz und Ostermann als Polizeibeamter für den Staat. Yaghoobifarah passt hervorragend in die Schublade, in die Rechtskonservative ihre links-grünen Feindbilder einsortieren, Ostermann gilt trotz vergleichbarem Sprachgebrauch innerhalb seiner Gewerkschaft nach wie vor als anständiger Junge. Laut Aussage von Alexander Mitsch, dem Vorsitzenden der stockkonservativen WerteUnion, ist Manuel Ostermann dort Mitglied. [9] Angesichts seiner Äußerungen wenig verwunderlich. Kurioserweise will die WerteUnion die taz vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Sie betrachte die Polizei als Feindbild, behauptet die WerteUnion und nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf die Kolumne von Yaghoobifarah. [10] Was ist mit dem Grünen-Feindbild von Manuel Ostermann? Soll man auch die WerteUnion vom Verfassungsschutz beobachten lassen?

Da sind offenkundig bei einigen die Maßstäbe verrutscht. Zumindest die Verrohung der Sprache liegt bei beiden auf dem gleichen primitiven Niveau. Ein Niveau, das weder Yaghoobifarah noch Ostermann zur Ehre gereicht. Allerdings: Bei Yaghoobifarah läuft die Empörungsmaschine heiß, Ostermann hingegen darf weiterhin offiziell eine Polizeigewerkschaft repräsentieren. Oder ist er inzwischen zurückgetreten? Wenn es einen Nobelpreis für Scheinheiligkeit gäbe, wüsste ich ein paar aussichtsreiche Kandidaten.

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[1] taz vom 15.06.2020
[2] Institut für Zeitgeschichte, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 13 (1965) Heft 2, Seite 124, Alexander Bein, Der Jüdische Parasit, Bemerkungen zur Semantik der Judenfrage, PDF-Datei mit 1,4 MB
[3] Bayerische Staatszeitung vom 01.10.2018
[4] taz vom 28.08.2017
[5] DPolG vom 16.06.2020
[6] Twitter (Hinweis: Der Twitter-Account von Manuel Ostermann war am 20.07.2020 noch erreichbar, wurde aber mittlerweile deaktiviert oder gelöscht, zumindest meldet Twitter am 21.07.2020: "Dieser Account existiert nicht")
[7] Philipp Overkamp, Der völkische Volksbegriff und die Staatsrechtslehre des Nationalsozialismus, Bucerius Law Journal, Heft 02/2018, Dezember 2018
[8] Facebook-Seite von Rainer Wendt vom 08.09.2019
[9] Focus-Online vom 12.02.2019
[10] WerteUnion, Offener Brief an Thomas Haldenwang vom 14.07.2020, PDF-Datei mit 136 KB